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Freiberg: Eine Alternative bieten

Nominiert für den Sächsischen Förderpreis für Demokratie: Buntes Leben, Freiberg

Gute Arbeit gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus hat viele Gesichter – wir stellen Ihnen 15 ausgewählte Projekte vor, die für den Sächsischen Förderpreis für Demokratie nominiert sind. Projekt IV: Die Jugendinitiative Buntes Leben schafft eine Gegenkultur in Freiberg – wo die NPD bei den Unter-18-Jährigen die beliebteste Partei ist.

Seit wann gibt es Eure Jugendinitiative?
Die Jugendinitiative „buntes leben“ bildete sich im Herbst 2003 um die alternative Stadtzeitung „FreibAerger“, die seit 1998 zweimonatlich erscheint und aus der Perspektive von Jugendlichen und StudentInnen über Freiberg berichtet. Als im Landkreis Freiberg rechtsradikale Organisationen wie die NPD, Junge Nationaldemokraten, schlagende Verbindungen wie die Burschenschaft „Glückauf“, Kameradschaften wie die KS „Norkus“ und „Neue Ordnung Deutschland“(NOD) immer mehr Zulauf bekamen, wollten wir diesem Trend etwas entgegen zu halten. Wir sind keine Organisation, also weder ein Verein noch ein Parteiverband, wir organisieren uns immer nach unseren Interessen.

 
Wie kam es zur Gründung?
Auslösendes Moment für unser Engagement ist die Tatsache, dass es in unserem Landkreis eine Menge von Aktivitäten von Rechtsradikalen gibt und einige von uns auch schon Opfer rassistischer und nazistischer Angriffe wurden. Konkrete Vorfälle waren z.B. der Kauf eines Dorfgasthauses in Gränitz durch den früheren Bundesvorsitzenden der NPD, Günter Deckert, im Juli 2001. Auch der Einzug der NPD in die Kommunalparlamente und den sächsischen Landtag 2004 haben uns in unserem Engagement bekräftigt. Ein Nazi-Treffpunkt wie in Gränitz kann sehr schnell zu einer akuten Bedrohung von Jugendzentren im Landkreis Freiberg werden. Wir haben mit anderen Bürgerinitiativen Mahnwachen in Gränitz und ein Frühlingsfest organisiert, zu denen über 200 Personen gekommen sind. Unsere Öffentlichkeitsarbeit hat dazu geführt, dass das Landratsamt Freiberg das Vorhaben von Deckert mit Hilfe des Baurechts eine Zeitlang gestoppt hat. Leider hat Deckert vor Gericht den weiteren Ausbau seines Gasthofs durchsetzen können.

Was macht Ihr konkret?
Im Augenblick arbeiten regelmäßig etwa 30 Personen im Alter von 16- 28 Jahren mit. Darunter sind SchülerInnen, StudentInnen, ArbeitnehmerInnen und Arbeitslose, aber auch ein Lehrer. Einige von uns legen ihr Hauptaugenmerk auf kulturelle Veranstaltungen, andere arbeiten an der Stadtzeitung mit, ein paar recherchieren und pflegen das Archiv. Wir organisieren Veranstaltungen, z.B. zum Thema Rechtsrock oder zur Jugendarbeitslosigkeit und veranstalten Treffen mit ausländischen MitbürgerInnen, arbeiten innerhalb der Schule an Projekten mit wie „Schule ohne Rassismus“ und nehmen regelmäßig am „Fest der Kulturen“ mit einem eigenen Stand in Freiberg teil. Unsere Jugendinitiative wurde im Jahre 2004 von der Europäischen Union mit 5000 €, 2005 von der Amadeu Antonio Stiftung mit 1000 € und 2006 vom Programm „Weltoffenes Sachsen“ vom Freistaat Sachsen mit 5000€ gefördert. Mit den Fördermitteln konnten wir ein kleines Archiv finanzieren, öffentliche Vortrags-Veranstaltungen organisieren, eine Fotoausstellung über Rechtsradikalismus im Landkreis Freiberg zusammenstellen, Zeitungsseminare für Jugendliche durchführen, in denen wir mit Profis aus der Presse jungen Leuten Grundlagen für die Recherche und Zeitungsarbeit zum Themenkomplex Rechtsradikalismus, Rassismus und Antisemitismus vermitteln. Wir haben Flugblättern gedruckt und verteilt und stellen der Stadtzeitung in Freiberg regelmäßig Artikel über Rechtsradikalismus zur Verfügung. Ein wesentlicher Aspekt unserer Tätigkeiten wird sich immer auf Aufklärung beziehen.



Was sind für Euch persönlich Gründe, Euch gegen Rechtsextremismus zu engagieren?
Für uns ist es selbstverständlich, gegen politische Bestrebungen vorzugehen, die autoritäte Lösungen für gesellschaftliche Probleme anstreben. Deshalb sind wir nicht nur gegen Rechtsradikale, sondern auch gegen Obrigkeiten, die ohne Rücksicht auf die Würde des einzelnen Menschen ihre Interessen durchsetzen – wir engagieren wir uns etwa auch im Fall des „Stadtumbaus“ für die älteren Menschen, die ihre Wohnungen, zumeist ihren letzten Ruhesitz, aufgeben sollen, damit die Stadt Freiberg den Verfall des Mietpreises aufhalten kann. Das war eine sehr schöne Erfahrung, mit Über-80jährigen im Rathaus zu protestieren und für den Erhalt der Wohnungen einzutreten. Wir haben auch in Freiberg erleben müssen, wie Rechtsradikale Brandanschläge auf Asylunterkünfte verübt haben und kennen den rüden Umgang mancher Verwaltungsangestellter mit Asylsuchenden. Als unsere Initiative aufdeckte, dass ein in Italien zu lebenslanger Haft verurteilter früherer SS-Mann in einem Freiberger Altenheim unbehelligt lebt, wurden wir zunächst als „Nestbeschmutzer“ angesehen. Dann haben die lokale Presse und der MDR das Thema aufgegriffen. Wir haben Unterschriften gesammelt von BürgerInnen aus Freiberg, mit denen wir erreichen wollten, dass die verurteilten ehemaligen SS-ler, die an dem Massaker in Sant´Anna di Stazzema beteiligt waren, auch vor ein deutsches Gericht gestellt werden. Die zuständige Staatsanwaltschaft in Stuttgart ermittelt allerdings immer noch ergebnislos vor sich hin.

Wie sieht die Situation in Eurer Region in Bezug auf Rechtsextremismus aus?
Im Landkreis Freiberg hat die NPD wie auch andernorts in Sachsen um die 10 % WählerInnenstimmen erhalten. Ins Stadtparlament von Freiberg zog die NPD mit 2, inden Kreistag mit 1 Mandat ein. Zur letzten Bundestagswahl fanden in Freiberg unter anderem auch Wahlen für unter 18-Jährige statt, da lag die NPD ganz vorne vor der CDU, SPD und Linkspartei. Nicht zuletzt solche Ergebnisse zeigen, dass man gerade in Orten wie Freiberg verstärkt Jugendarbeit unterstützen muss. In der Stadt Freiberg können die NPD und ihr Gefolge aus „Freien Kameraden“ jederzeit fünfzig Leute für Aktionen mobilisieren. Hinzu kommt ein ähnliches starkes Reservoir aus gewaltbereiten rechten Hooligans, die sich an den Dresdner Dynamo Fans orientieren.

Habt Ihr selbst Erfahrungen mit Rechtsextremen?
Ich selber bin bei einem Angriff von rechten Jugendlichen am Kiefer verletzt worden. Am selben Abend wurde ein Freund von Neo-Nazis im Tivoli, einem Veranstaltungssaal in Freiberg, zusammengeschlagen. Er erlitt Platzwunden, die im Krankenhaus genäht werden mussten. Der Angriff auf mich erfolgte deshalb, weil ich mit meinem Freund einen Döner aß. Dass, so erklärte eine Zeugin aus der Clique der rechten Jugendlichen im späteren Gerichtsverfahren, reiche bei ihren Freunden als Grund für einen Angriff aus.

Was waren für Euch die wichtigsten Erfahrungen der bisherigen Arbeit?
Eine regelmäßige Erfahrung ist der immer noch weit verbreitete Argwohn, gerade von Erwachsenen, wenn man über die tatsächliche Existenz von Neonazis spricht. Oftmals wurde deren Existenz, gerade von Parteifunktionären (es gibt nur wenige Ausnahmen) und Personen aus der Verwaltung und der Polizei geleugnet. Auch wenn deren Aktivitäten unübersehbar waren. Erfolge zeichnen sich ja schon darin ab, dass es uns nun schon mehrere Jahre gibt und wir trotz der starken Abwanderung von Jugendlichen in Freiberg immer neuen Zuwachs verzeichnen können.

Was wünscht Ihr Euch für die Zukunft? Und was sind konkret die nächsten Pläne?
Wir wünschen uns mehr Unterstützung und Anerkennung bei unserer Arbeit. Erst vor kurzem erreichte uns ein Schreiben von der Sächsischen Aufbaubank, indem unsere sämtlichen Vorhaben, die ein Jahr zuvor noch förderungswürdig waren, als nicht mehr förderbar erklärt wurden. Plötzlich konnten wir in einem Ablehnungsbescheid von der „Sächsischen Aufbau Bank“ lesen, dass sich das Landesprogramm nicht als ein Programm zur Finanzierung allgemeiner Kinder- und Jugendarbeit verstehe. Eine hanebüchene Begründung!

Was brauchen Menschen und Initiativen in Sachsen am dringendsten, um Rechtsextremismus wirkungsvoll entgegentreten zu können?
Junge Leute benötigen einen Ort, an dem sie sich ungestört und eigenständig treffen und entfalten können. Wir haben aufgrund unserer Aktivitäten viele Kontakte knüpfen können, nach Israel, Italien und Tschechien. Das möchten wir nicht missen. Wir würden gerne weiter machen und wünschen uns deshalb moralische und finanzielle Unterstützung. Wir legen sehr viel Wert auf subjektive Ehrlichkeit, die wir in der Zusammenarbeit mit politischen Parteien vermissen. Jugendliche sind nicht politikverdrossen, sondern die Parteien sind selten in der Lage, junge Leute und ihre Anliegen ernstzunehmen. Eine Auseinandersetzung mit Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit, die sich auf Zeiten von Wahlkämpfen reduzieren lässt, reicht nicht aus. Der Jugend eine Chance geben, heißt auch, ihr Vertrauen entgegen zu bringen. Ich finde, wir haben dieses Vertrauen verdient und die etablierten Parteien sollten ruhig ein wenig mehr Demokratie wagen – das können Rechtsradikale nämlich überhaupt nicht.

Die Fragen beantwortete Clara von der Jugendinitiative Buntes Leben Freiberg, die zu den 15 Projekten gehört, die für den Sächsischen Förderpreis für Demokratie nominiert sind, der am 9. November gemeinsam von der Kulturstiftung Dresden der Dresdner Bank, der Stiftung Frauenkirche Dresden, der Freudenberg Stiftung und der Amadeu Antonio Stiftung vergeben wird.

Mehr im Internet:
Sächsischer Förderpreis für Demokratie:
www.demokratiepreis-sachsen.de
Die Freibärger Stadtzeitung:
www.freibaerger.de

Mehr auf mut-gegen-rechte-gewalt.de:

80 x Mut in Sachsen

Nominiert für den Sächsischen Förderpreis für Demokratie 2007:

  1) Aktion Zivilcourage Pirna
  2) arche noVa e.V., Dresden
  3) Bürgerbündnis für Menschenwürde, Mittweida
  4) Buntes Leben, Freiberg
  5) Hatikva e.V., Dresden
  6) Jugendforum Chemnitz
  7) Gruppe KLARA, Dresden
  8) Kreativhaus, Dresden
  9)  Landesjugendpfarramt Sachsen, Leipzig 
10)  Netzwerk für Demokratische Kultur, Wurzen
11) Oberlausitz - Neue Heimat e.V., Löbau
12) Schulmuseum, Leipzig
13) Sprungbrett e.V., Riesa
14) Stadtverwaltung Glauchau
15) Treibhaus e.V., Döbeln

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Demonstration von Buntes Leben mit Transparent: Stoppt Nazis