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Eine Straße für Amadeu Antonio

Seit Monaten streitet die Stadt Eberswalde über die Umbenennung einer Straße nach dem ermordeten Angolaner Amadeu Antonio Kiowa im Jahre 1990. Er war eines der ersten Opfer rechter Gewalt nach der Wende. Bis heute fällt es Eberswalde schwer eine angemessene Art des Erinnerns und der Auseinandersetzung mit alltäglichen und strukturellen Formen von Rassismus in ihrer Region zu finden.

Von Anna Brausam

Amadeu Antonio Kiowa traf in der Nacht zum 25. November 1990, nach einem Besuch mit Freunden im Lokal „Hüttengasthof“ in Eberswalde, auf circa 50 Neonazis, die nach einer Zeugenaussage vor Gericht „Neger klatschen“ wollten. Eine Hetzjagd auf Amadeu Antonio und seine Freunde begann. Mit Lattenzäunen und Baseballschlägern wurde brutal auf sie eingeschlagen. Bei dem Versuch zu fliehen, teilte sich die Gruppe. Amadeus Freunde konnten entkommen. Er selbst jedoch nicht. Der angolanische Vertragsarbeiter wurde im späteren Verlauf von rund zehn Neonazis weiter verfolgt, brutal geschlagen und ins Koma getreten. Elf Tage später, ohne je das Bewusstsein wiedererlangt zu haben, starb Amadeu Antonio.

Das Ringen um ein angemessenes Erinnern der Stadt Eberswalde

In diesem Jahr, am 12. August, wäre sein 50. Geburtstag gewesen, wäre er nicht Opfer eines rassistisch motivierten Verbrechens geworden. Anlässlich dieses Datums stehen die politischen Verantwortlichen der Stadt Eberswalde mehr denn je unter Druck, nach über zwei Jahrzehnten des Herumeierns, ein würdiges Gedenken an Amadeu Antonio zu finden.

Die am 16. Todestag ins Leben gerufene Kampagne „Light me Amadeu“ fordert seit Jahren eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Mord an dem Angolaner. Ein zentrales Bemühen stellt dabei ein Teilstück der Eberswalder Straße zwischen Heegermühler Straße und Kopernikusring, den Tatort, nach Amadeu Antonio zu benennen. Im August vergangenen Jahres wurde die Straße schon einmal für ein paar Minuten symbolisch umbenannt – an dem Tag, an dem der Angolaner 49 Jahre alt geworden wäre. Die Initiative strebt aber eine dauerhafte Änderung an.

Die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen hat den Vorschlag der Kampagne „Light me Amadeu“ aufgegriffen und in der Stadtverordnetenversammlung vorgelegt. Der Antrag der Grünen auf eine Straßenumbenennung stieß jedoch zunächst nicht auf große Zustimmung. Noch im Februar sprach sich FDP-Bürgermeister Friedhelm Boginski gegen eine Umbenennung aus, da sich eine würdigere Form des Erinnerns finden lassen würde. Die Fraktionsvorsitzende der Bündnis 90/ Die Grünen, Karen Oehler, ist da anderer Meinung: „Davon, dass dieser Straßenabschnitt unwürdig für ein Gedenken sei, kann keine Rede sein. Es ist der Ort, an dem die schreckliche Tat geschah. Hier lebte Amadeu, und hier wurde sein junges Leben zerstört. Mit der Namensgebung wird das für Jeden sichtbar mit diesem Bereich der Stadt verbunden. Die Benennung dieser wichtigen, belebten Verkehrsachse nach Amadeu Antonio wäre mutig und ein wirkliches Bekenntnis zu Verantwortung und Toleranz, im Gegensatz zu einem Gedenkstein an einer kaum beachteten Kranzniederlegungsstelle.

Amadeu-Antonio-Straße - Ein zähneknirschender Kompromiss?

Nach langer Diskussion in der Stadtverordnetenversammlung wurde nun Ende März bekannt gegeben, dass der Bürgermeister den Antrag der Fraktion der Grünen doch unterstützen wird. Und man wolle zudem zeitnah über ein gänzlich neues Gedenkkonzept für Amadeu Antonio arbeiten. Wie dieses Konzept konkret aussehen soll, ist dabei noch unklar. In der nächsten Stadtverordnetenversammlung, am 26. April, wird dann endgültig über den Antrag entschieden, der höchstwahrscheinlich die Mehrheit aller Fraktionen finden wird. So wird voraussichtlich am 50. Geburtstag von Amadeu Antonio das neue Straßenschild im Rahmen eines Festakts angebracht werden.

Obgleich der Eindruck entsteht, dass die Zustimmung in der Stadtverordnetenversammlung für viele Fraktionsmitglieder mehr ein zähneknirschender Kompromiss sein wird, um der anhaltenden Negativdiskussion ein Ende zu setzen. Dies zeigt sich unter anderem angesichts der Aussagen Carsten Zinns deutlich. Er ist der Ortsvorsteher des Brandenburgischen Viertels, Gewerkschafter und Stadtverordneter der Fraktion der Fraktionslosen. Carsten Zinn genießt den zweifelhaften Ruf, auf politische Korrektheit zu pfeifen, wenn es um soziale Belange geht. Er beschwert sich vor allem über die Missachtung der „großen Vorbehalte in der Einwohnerschaft in den Ortsteilen Finow und Brandenburgisches Viertel“ und den von der Namensänderung betroffene Unternehmen in Finow (in diesem Ortsteil befindet sich die Eberswalder Straße). In der Mehrheit aller Gespräche mit den Bürgerinnen und Bürgern habe es Konsens gegeben, dass die rassistische Tat von November 1990 verabscheuungswürdig und zu verurteilen sei. Dennoch gebe es Zweifel und Ablehnungen, was die Umbenennung betreffe. Er fordere ein „tabulose Debatte“ mit den betroffenen Einwohnerinnen und Einwohnern, dem Finower Ortsvorsteher, aber auch den betroffenen Unternehmen.

Die Straßenumbenennung muss mehr sein als eine bloße Imagekampagne

Unterstützung erhält Carsten Zinn von dem Vorsitzenden des Ortsvereins Finow, Ringo Wrase (SPD), der in der Barnimer Post auch eine „unideologische Entscheidung" in der Stadtverordnetenversammlung im April fordert. Wie Zinn, hält er es für untragbar, dass die Bürger von Finow, bei der sich „eine mehr als 90-prozentige Ablehnung zur Namensänderung" abzeichne, bei der Entscheidung übergangen werden. Ringo Wrase unterstellt zudem der Kampagne „Light me Amadeu", sie unterliege dem „Irrglauben" , dass sich Eberswalde mit einer Straßenumbenennung „immun gegen Rassismus" mache. Er unterschlägt dabei die Tatsache, dass sich die Initiative zwar für eine Umbenennung als mahnendes Zeichen ausspricht, aber sich vor allem auch seit Jahren vor Ort gegen aktuelle Formen von Menschenfeindlichkeit und Rassismus engagiert. So setzt sie sich unter anderem für bessere Lebensbedingungen von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern im Landkreis Barnim ein.

Es ist beschämend, dass die Straßenumbenennung von einigen für bloße Stimmungsmache missbraucht wird. Wenn Eberswalde einer Amadeu-Antonio-Straße Ende April zustimmen wird, muss sie die Möglichkeit erkennen, die eine Straßennamensänderung für die Stadt eröffnet. Sie darf nicht nur zustimmen, weil die politischen Verantwortlichen eine Imageschädigung der Stadt aufgrund der lang anhaltenden Negativdiskussion abwenden wollen. Vielmehr sollte sie damit zeigen, dass die Stadt ihre Geschichte nicht verleugnet und eine konstruktive Auseinandersetzung mit den Themen Rassismus und Menschenfeindlichkeit nicht scheut. Dass die politischen Verantwortlichen nun auch ein Erinnerungskonzept erarbeiten wollen, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Die Stadt darf allerdings nicht der Gefahr unterliegen, darüber die gegenwärtigen alltäglichen und strukturellen Formen von Rassismus aus dem Blick zu verlieren. Die Warnung Ringo Wrases, dass die Umbenennung der Straße, Eberswalde nicht  „immun gegen Rassismus" mache, sollte sich also nicht an die Initiative „Light me Amadeu" richten, sondern vielmehr an die Politiker der Stadt, und damit auch an ihn selbst.

Auch alltägliche und strukturelle Formen von Rassismus in den Blick nehmen

Eberswalde muss sowohl einen Weg finden mit ihrer Vergangenheit angemessen umzugehen, als auch ein Konzept für die Zukunft zu entwickeln, um präventiv gegen Alltagsrassismus und menschenfeindliche Stereotype vorzugehen.

Wie wichtig ein Antirassismuskonzept wäre, zeigt die Tatsache, dass Amadeu Antonio kein Einzelfall geblieben ist. Knapp zwei Jahre später, am 26. August 1992, griff die militante „Kameradschaft Eberswalde“ das örtliche Flüchtlingsheim an. Nur einen Tag zuvor ging der Pogrom auf ein Asylbewerberheim in Rostock-Lichtenhagen zu Ende. Um „ein zweites Rostock“ zu verhindern, sind die Asylsuchenden in Eberswalde evakuiert worden. Damals wurden sie in ein ehemaliges DDR-Ferienlager in Althüttendorf gebracht, welches abgeschieden im Wald liegt. Doch auch hier waren sie vor Angriffen nicht geschützt. Bereits vier Monate später, am 1. Dezember 1992, gab es einen weiteren Brandanschlag auf das Flüchtlingsheim. Eine Baracke wurde völlig niedergebrannt. Bis zum heutigen Tag leben Asylsuchende in Eberswalde in diesen Baracken – in einem desolaten Zustand und in isolierter Lage.

Die Stadt hat es seitdem nicht geschafft, die Asylsuchenden zurück ins Zentrum zu holen. Im Gegenteil: Im Jahr 2010 wurde entschieden, dass das Flüchtlingsheim Althüttendorf für mindestens weitere fünf Jahre betrieben wird. Die beiden Angriffe wirken somit bis heute nach. In Eberswalde befinden sich Asylsuchende damit nicht nur im übertragenen Sinne am Rande der Gesellschaft. Wenn sie nur weit genug aus dem Stadtgebiet ausgesiedelt sind, muss die Stadt ihre eigene Verantwortung für die Angriffe auch nicht weiter reflektieren.

Auch Kai Jahns von der Kampagne „Light me Amadeu“ machte in einem Artikel der Märkischen Oberzeitung darauf aufmerksam, dass durch eine Umbenennung der Eberswalder Straße auch das Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger für die Angriffe auf das Asylbewerberheim in den 1990er Jahren sensibilisiert werden könnte: „Die Eberswalder Straße sei zudem geeignet, weil dort in unmittelbarer Nähe vor 20 Jahren ein Übergangsheim für Flüchtlinge abgebrannt sei.“

Die Straßenumbenennung ist nicht der Schlusspunkt

Mit der Straßenumbenennung könnte Eberswalde somit nicht nur ein Zeichen setzen, das Gedenken an Amadeu Antonio angemessen zu würdigen, sie könnte in diesem Kontext auch die Chance wahrnehmen einen mutigen Schritt zu gehen und ein anderes dunkles Kapitel ihrer Stadtgeschichte aufzuarbeiten. Gerade aus diesem Grund darf die Umbenennung nicht den Schlusspunkt in einer Diskussion um Rassismus bilden. Vielmehr muss sich die Stadt auch in Zukunft intensiv um eine konzeptionelle Auseinandersetzung mit gegenwärtigen alltagsrassistischen und menschenfeindlichen Einstellungen bemühen. Denn alltagsrassistische Stereotype bilden den Nährboden für menschenverachtende Taten.

Wir sind alle in der Pflicht entschieden gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit vorzugehen und uns mit Menschen, die Ausgrenzung erfahren und Opfer rechter Gewalt werden, zu solidarisieren. Denn ohne Rassismus könnte Amadeu Antonio am 12. August 2012 seinen 50. Geburtstag feiern.
 

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