Sie sind hier

"Kneifen darf man in keinem Fall!"

Als Frontmann von BAP hat Wolfgang Niedecken bundesweit dafür gesorgt, dass "Kölschrock" jedem ein Begriff ist. Doch der Künstler ist auch für sein soziales und politisches Engagement bekannt: Seit Jahren kämpft er gegen Rassismus und war 1992 einer der Initiatoren des Kölner Konzerts "Arsch huh, Zäng ussenander". Zudem ist er seit 2004 "Sonderbotschafter" der Hilfsaktion Gemeinsam für Afrika. Gefragt, ob er Birlikte unterstützen würde, sagte er ohne Zögern zu und wird nun bei der großen Kundgebung am 9. Juni auftreten. Im Interview erklärt er, warum.

Herr Niedecken, Sie setzen sich bereits seit Jahren gegen Rassismus und Rechtsextremismus ein - was gab den Ausschlag für Ihr Engagement?
Bereits Anfang der 1970er hatte ich regen Kontakt zu türkischen Mitbürgern, als ich in der Teuteburger Straße wohnte. Das Haus war bunt gemischt und ich war bei allen türkischen Familien immer sehr willkommen. Damals war ich auch zum ersten Mal in der Türkei. Das, was ich in dieser Zeit gelernt habe, ist mein ganz persönlicher Anlass, mich gegen Rassismus und nun für Birlikte zu engagieren. Mich braucht da niemand lange überzeugen. Aus jener Zeit stammt auch das Lied "Neppes, Ihrefeld Un Kreuzberg" - aus heutiger Sicht ist der Song vielleicht etwas naiv, aber er hat das Herz am richtigen Fleck, nicht am rechten (lacht).

"Neppes, Ihrefeld Un Kreuzberg" haben Sie aber schon eine Weile nicht mehr gespielt oder?
Ja, Birlikte gab den Ausschlag, den Song zum ersten Mal nach 35 Jahren wieder auf die Bühne zu bringen. Er war wirklich nicht gut, aber ich habe ihn nun stark überarbeitet und die Band hat ein wunderbares neues Arrangement geschrieben. Zu der Zeit, als ich das Stück geschrieben habe, war ich handwerklich einfach noch nicht so weit. Dennoch wollte ich den Song damals unbedingt auf der Platte "BAP rockt andere kölsche Leeder" haben, die sonst vor allem satirische Stücke enthielt. Es war mir einfach wichtig, mich zu meinen Familien zu bekennen.

Aber erreicht man damit wie auch mit Veranstaltungen wie Birlikte nicht nur diejenigen, die ohnehin nicht überzeugt werden müssen?
Das ist ja immer so - nach jeder Veranstaltung wird man schlauer. Ich bin zum Beispiel sehr gespannt, wie viele Deutsch-Türken zu Birlikte kommen. Ereignisse wie Birlikte bieten da immer eine Chance - man muss schauen, ob diese wahrgenommen wird.

Nun wird mit Birlikte an das NSU-Nagelbombenattentat erinnert, das vor zehn Jahren in der Keupstraße passierte. Ist ein Festival eine würdige Form des Gedenkens?
Man sollte Betroffenheit nicht anberaumen oder zum Lachen in den Keller gehen. Ich spreche nur für mich, bin mir aber sicher, dass alle Programmpunkte sehr gut vorbereitet sein werden. Alle auftretenden Acts werden sich ihre Gedanken zum Thema machen und nicht einfach nur ihre größten Hits spielen. Zudem wäre es einfach etwas sehr Besonderes, wenn die Menschen zu Pfingsten auch wirklich zusammen feiern würden.

Am Sonntag gibt es das Straßenfest in der Keupstraße, am Montag dann die Kundgebung auf dem Gelände an der Schanzenstraße ...
Stimmt, das war mir auch sehr wichtig. Wenn man so eine Veranstaltung machen will, muss man dahin gehen, wo der Anschlag stattfand. Kurzzeitig stand das Gelände an der Schanzenstraße ja auf der Kippe, da hatte ich schon Schweißperlen auf der Stirn. Denn hätte die Kundgebung auf der Deutzer Werft stattgefunden, wie es zwischenzeitlich im Raum stand, dann wäre sie nur als eine Neuauflage der Arsch huch!-Veranstaltung von 2012 aufgefasst geworden. Ich wollte bereits den Kölner Oberbürgermeister anrufen, aber es hat ja doch noch alles geklappt wie gewünscht.

Nun hoffen alle Beteiligten, dass von Birlikte ein großer Impuls gegen Rassismus und Rechtsextremismus ausgeht - wie könnte man diesen verstetigen?
Man kann nie vorher wissen, was man mit einer solchen Veranstaltung erreicht. Aber ich hoffe, dass wir am Pfingstwochenende ins Gespräch kommen und Freundschaften geschlossen werden. Zudem inspiriert Birlikte Gedanken der Empathie: Was mag in den Betroffenen in den vergangenen sieben Jahren vorgegangen sein? Sie waren ja ständigen Verdächtigungen und Misstrauen ausgesetzt – da kann ich mich selbst nicht ausnehmen. Wir machen jetzt erst einmal Birlikte und dann schauen wir, welche Ideen daraus entstehen. Ich bin immer ein Freund organischer Entwicklungen.

Nun gibt es viele Künstler, die Birlikte unterstützen, aber auch einige, die nie an solchen Veranstaltungen teilnehmen. Können Sie das verstehen?
Es gibt Gründe, die ich nachvollziehen kann, und andere, die ich überhaupt nicht verstehe - wenn etwa die Imagepolizei Engagement verhindert ... Einige meinen, sie würden sich nicht vor einen Karren spannen lassen wollen - das mache ich auch nicht, ich spanne mich höchstens selbst davor, wie etwa bei meinem Engagement für ehemalige Kindersoldaten in Afrika. Andere Bedenken zerschlagen sich von selbst. Beim ersten Arsch huh!-Treffen 1992 hatte ich großes Bauchweh, aber dann habe ich gespürt, wie dringend die ganze Stadt diese Veranstaltung wollte und habe den Song "Arsch huh" geschrieben. Am Ende ist es ein großer Erfolg geworden. So etwas kann man vorher nicht wissen, sondern muss einfach machen.

Am Wochenende fanden in Köln große Demonstrationen statt: für und gegen den türkischen Premier Erdogan. Wie positionieren Sie sich dazu?
Ich habe natürlich eine Meinung zu Erdogan, eine kritische, wenn ich das genauer sagen soll. Aber man sollte in keinem Fall oberlehrerhaft daher kommen oder schulmeistern. Bei Birlikte geht es um den Anschlag und um Empathie - alles andere wäre anmaßend.

Stichwort Positionierung: Was kann denn jeder Einzelne tun, um sich gegen Rassismus einzusetzen?
Eigentlich ist das ganz einfach - und doch tun wir es manchmal nicht, wie ich mich selbst schon ertappt habe. Ich stand einmal beim Bäcker und ein Typ im Blaumann verbreitete da rechtsextreme Parolen. Und ich sagte nichts. Genau darum geht es: Wir müssen Zivilcourage beweisen. Das muss noch nicht einmal viel sein, denn für die Szene beim Bäcker hätte es nicht viel Zivilcourage gebraucht, um den in die Schranken zu weisen. Aber kneifen darf man in keinem Fall!

Das Arsch huh!-Konzert im 1992 war ja eine Reaktion auf Rostock-Lichtenhagen und Solingen. Wie ist die Situation heute im Vergleich?
Damals brannten Asylheime und es gab noch stärkere Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern. Aber auch heute sehe ich große Gefahren und fühle mich ohnmächtig. Denn ich merke immer sehr stark, wie limitiert meine Möglichkeiten sind.

Haben die gerade abgehaltenen Europawahlen Ihre Sorgen verstärkt?
Angesichts des Wahlergebnisses in Frankreich läuft es einem kalt den Rücken runter. Sicherlich war die Wahlbeteiligung niedrig, was immer ein Vorteil für die extremen Parteien ist, aber dennoch ...

... und das Wahlergebnis in Deutschland? Hier hat die AfD ja einen großen Erfolg gefeiert ...
Die AfD ist für mich eine FDP mit anderen Mitteln. Das sind in meinen Augen keine Rechtsradikalen, sondern empathiefreie Egoisten. Man darf den Faschismus-Vorwurf auch nicht überstrapazieren, sonst führt das zur Relativierung historischer Gräuel. Schön ist allerdings, dass Pro Köln eine Niederlage eingefahren hat. Die haben anfangs unpolitische Menschen erreicht und hier vor allem die patriotischen Kölner, für die "Pro Köln" erst mal ganz gut klang. Aber die wurden glücklicherweise entzaubert.

Mit Birlikte, aber auch anderen Initiativen und Veranstaltungen wird hoffentlich einiges in Gang gesetzt - was ist außerdem nötig?
Wir brauchen eine starke Zivilgesellschaft und wir brauchen Bildung. Das sehe ich ja auch immer wieder bei den Projekten in Afrika. Mit Bildung kommt Aufklärung und wer aufgeklärt ist, lässt sich nicht so leicht beeinflussen. Außerdem führt das Internet dazu, dass prinzipiell jeder alles wissen kann. Du bist also auf Deinem Holzweg nie allein.

Wie würdest Du als Birlikte-Unterstützer die Stimmung der Organisatoren beschreiben?
Ich war bei der Pressekonferenz dabei und es hat mir teilweise wirklich eine Gänsehaut gemacht, wie sehr Menschen aus der Keupstraße sich freuen. Es war zum Beispiel beeindruckend, als Meral Sahin von der IG Keupstraße in die Runde rief: "Warum fragt mich denn niemand mehr etwas? Wollen Sie nicht mehr wissen?" Ich habe schon viele Pressekonferenzen erlebt, aber das hat sich noch niemand getraut. Insgesamt finde ich es toll, dass man nicht das Gefühl hat, hier würde jemanden etwas aufs Auge gedrückt. Birlikte ist eben kein vom Kölner Tourismusamt gesponserter Reinwaschprozess! Ich wäre auch nicht dabei gewesen, wenn es nur darum gegangen wäre, dass sich Kölner wieder mal gegenseitig auf die Schulter klopfen.

Was darf man nun von BAP bei Birlikte erwarten?
Zuerst einmal freuen wir uns alle, dass wir dabei sind. Ich hoffe, dass unser filigranes Unplugged-Programm nicht untergeht und dass die Leute bereit sind zuzuhören. Zudem habe ich gerade im Türkei-Urlaub eine Saz für unseren Gitarristen gekauft, der sich seit einer Woche in Hamburg damit auseinandersetzt. Mal sehen, ob wir das Instrument bei einem Stück einsetzen können. Die eine oder andere Idee hätten wir schon ...

Das Interview führte Alice Lanzke und ist zuerst erschienen auf stern.de.
Foto: © Raimond Spekking / CC BY-SA 3.0

"BIRLIKTE - Zusammenstehen"
Über das Pfingstwochenende vom 7. bis 9. Juni wird auf der rechtsrheinischen Seite von Köln das Kunst- und Kulturfest "BIRLIKTE - Zusammenstehen" stattfinden. Unter anderem werden BAP, Udo Lindenberg, Peter Maffay und Hardy Krüger auf dem Festival erwartet, das bis zu 75.000 Besucher anlocken soll. Die Veranstaltung wird von der Interessensgemeinschaft Keupstraße und dem Schauspiel Köln Organisiert. Weitere Unterstützung erhält das Projekt von Bundespräsident Joachim Gauck, Vizekanzler Sigmar Gabriel, der Schauspieler Senta Berger, Clueso und Andrea Sawatzki. stern ist mit seiner Kampagne "Mut gegen rechte Gewalt", Teil von "BIRLIKTE - Zusammenstehen".
 
 

Wolfgang Niedecken unterstützt das Kulturfest "Birlikte" in der Kölner Keupstraße und erklärt, warum er sich gegen Rassismus stark macht. © Raimond Spekking / CC BY-SA 3.0