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Plädoyer für einen ›political turn‹ im Umgang mit Rechter Gewalt

Dieser Beitrag kritisiert die mindestens seit den 1990er Jahren bestehende Tendenz, Rechte Gewalt innerhalb der öffentlichen Diskussion als reine „Jugendgewalt“ zu thematisieren und ihre Rolle im Kontext der rechtsextremen Ideologie dadurch deutlich unter ihrem realen Wert zu verhandeln.

Von Stefan Dierbach

Wer sich anlässlich des Jahrestages der Auflösung des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU) im November 2011 mit der Biographie der drei Mörder beschäftigt, der stößt auf einen Umstand, der Anfang und Mitte der 1990er Jahre nicht ungewöhnlich gewesen ist: Sie wurden im örtlichen Jugendclub mit dem Ansatz der sogenannten »akzeptierenden Sozialarbeit« betreut. Dieses pädagogische Prinzip basiert auf dem Kerngedanken, sich als Sozialarbeiter nicht um die Probleme zu kümmern, die von den Jugendlichen verursacht werden, sondern in erster Linie um diejenigen, unter denen sie zu leiden haben.

Zwischen beiden Phänomenen, so die These damals, bestünde ein direkter kausaler Zusammenhang und persönliche Probleme bei der Lebensbewältigung galten deshalb als hauptsächliches Motiv für die Hinwendung zu rechtsextremen Positionen. Auch die Anwendung von Gewalt wurde in diesem Zusammenhang als Symptom einer individuellen Krise gedeutet, die ihre Ursache nicht in dem Grad der politischen Orientierung auf Seiten des Täters sondern in den negativen Folgen des gesellschaftlichen Wandels hat.

Fokus auf Altersphase ist trügerisch

Dieser Zugang, der damals auch in weiten Teilen des sozialwissenschaftlichen Mainstreams vertreten wurde, hatte fatale Folgen, die bis in die heutige Zeit den Diskurs über Rechte Gewalt maßgeblich prägen. Eine davon besteht in der Thematisierung Rechter Gewalt als Problematik einer Altersphase.

Der dabei angelegte analytische Bezug auf den Faktor »Jugend« stellt im Hinblick auf das real existierende Bedrohungspotenzial der Rechten Gewalt eine bedeutende Entschärfung dar, indem für die Gruppe der sogenannten »Jugendlichen« unterstellt wird, dass deren Taten nicht das Ergebnis einer persönlichen Entscheidung sind, die auf der Grundlage eines Bewusstseins über Sinn, Zweck und Ziel einer Handlungen anzusehen sind, sondern diese das Produkt einer unbewussten Umformung von gesellschaftlich bedingten Problemen sind. Die Rolle der Ideologie gerät dabei tendenziell aus dem Blickfeld der Auseinandersetzung und stattdessen wird die Thematik nicht selten mit Hilfe von psychologischen Theorien zu entschlüsseln versucht.

Die Gründe für eine rechte Gewalttat sind danach nicht durch die Absicht und das Ziel zu rekonstruieren, welches der Täter damit verfolgt haben könnte (z.B. »Deutschland den Deutschen – Ausländer raus«), sondern ist die Folge von Impulsen, die sich jenseits politischer Begründungen quasi hinter dem Rücken der handelnden Subjekte realisieren, eben weil es sich dabei um »Jugendliche« handelt.

Doch der Fokus auf Jugendliche ist trügerisch: Nur ein Drittel der Straftatverdächtigen in diesem Bereich sind tatsächlich »Jugendliche« im Sinne der gesetzlichen Definition.

Trotzdem hatte das Deutungsmuster »rechts=jung+unpolitisch« innerhalb der sozialpädagogischen Praxis der 1990er Jahre Hochkonjunktur: Rechtsrock, Nazi-Parolen und rechtsextreme Symbolik wurden oftmals unkommentiert geduldet und hinsichtlich ihrer politischen Dimension nicht ernst genommen.

Ist die »Sturm- und Drang«-Zeit des Jugendalters vorüber, so die stille Hoffnung hinter dieser Haltung, werde sich das Symptom des Rechtsextremismus von alleine verflüchtigen.

Konsequente Auslebung der Ideologie

Der im Jahre 2012 bekannt gewordene Lebensweg der drei Akteure der »Zwickauer Terrorzelle« macht deutlich, wie falsch diese Annahme gewesen ist. Was diese Rechtsterroristen während ihrer Pubertät begannen, inhaltlich richtig zu finden, das haben sie als junge Erwachsene konsequent und radikal in die Tat umgesetzt. Die Adaption und die Integration rechtsextremen Gedankengutes können deshalb nicht länger als eine Strategie zur Bewältigung von Adoleszenzproblemen gelten, die wie von Zauberhand verschwinden, wenn diese gelöst sind, sondern muss im schlechtesten Fall als ein sich stetig verfestigender Prozess der politischen Sozialisation verstanden werden.

Ein wichtiger Hinweis auf die Frage, ob Rechte Gewalt als Ausdruck einer solchen Politisierung auf Seiten der Täter gelten kann, ergibt sich aus einer  Analyse der Opfer: Diese werden nicht - wie etwa bei einem Amoklauf - per Zufallsprinzip ausgewählt, sondern es ist eine klar definierte Gruppe von Menschen davon betroffen: Es trifft vermeintliche Ausländer, Linke und sonstige politische Gegner, Obdachlose, Menschen mit physischem oder psychischem  Assistenzbedarf, homosexuelle Menschen und Menschen islamischen oder jüdischen Glaubens. Sie werden zu Opfern gemacht, weil sie aufgrund des Vorliegens eines dieser Merkmale seitens der rechtsextremen Ideologie als »Feinde«, »Asoziale« oder »unwertes Leben« markiert werden. Diese Taten sind aus diesem Grund nicht als das Ergebnis einer ungerichteten und zügellosen Wut anzusehen, sondern einer zielgenauen Lokalisierung.

Ich halte die Etikettierung Rechter Gewalt als »nicht-politisch« deshalb für grob fahrlässig, weil damit die Realität rechtsextremer Hegemoniebestrebungen, bei welcher die Anwendung Rechter Gewalt als Teil eines »Kampfes um die Straße« eine gewichtige Rolle spielt, nicht in den Blick genommen wird. Gleichzeitig dient sie als Entlastung, sich nicht mit jenen rechtsextremen Prämissen und inhaltlichen Positionen auseinandersetzen zu müssen, die in zunehmendem Maße auch in der Mitte der Gesellschaft anzutreffen sind. Dadurch wird im Hinblick auf das Problem der Rechten Gewalt ein seltsam anmutender Zustand der Sorglosigkeit verbreitet, den ich als „Credo der Entlastung“ bezeichnen möchte. Dieses besteht aus den folgenden drei Elementen:

Erstens - ,Rechte Gewalt wird nur von Jugendlichen verübt, sie ist zweitens - nicht politisch motiviert und sie hat drittens - auf keinen Fall etwas mit der äußerst unangenehmen Geschichte des Nationalsozialismus zu tun! So interpretiert, findet Rechte Gewalt zwar statt, kann den Dornröschenschlaf der deutschen Mehrheit aber nicht wirklich stören.

Rechte Gewalt als zentrale Herausforderung für die Gesellschaft

Als Fazit lässt sich festhalten: Rechte Gewalt stellt eine zentrale Herausforderung für die gesamte Gesellschaft dar, denn Ihr Einsatz zielt auf die Etablierung eines radikal abweichenden Wertsystems. Sie ist aus diesem Grund als Form des politischen Handelns zu charakterisieren und zu analysieren. Deshalb scheint es dringend erforderlich zu sein, Erklärungsansätze zu kritisieren, die Rechte Gewalt aus dem Kontext der ihr zu Grunde liegenden Ideologie zu lösen versuchen, indem sie die Täter und ihre Taten als unpolitische Phänomene klassifizieren. Diese Praxis ist umgekehrt immer dort selber als politisch zu bezeichnen, wo sie die Rolle Rechter Gewalt als Teil einer auf gesellschaftliche Hegemonie ausgerichteten Strategie zu ignorieren hilft, denn es ist nicht zuletzt diese Ignoranz gewesen, die dazu geführt hat, die terroristische Gewalt des „Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) über viele Jahre lang nicht als rechtspolitisch motiviert anzusehen.

Solche Unschuldsvermutungen kann sich die Gesellschaft zukünftig nicht mehr erlauben: Will sie den Kampf gegen den militanten Rechtsextremismus tatsächlich erfolgreich führen, muss sie ihn zuallererst ernst nehmen.
 
 
Über den Autor:
Stefan Dierbach, Diplom-Pädagoge (Dr. phil.), geboren 1968, ist Lehrer für Sozialpädagogik, Recht und Psychologie an einer Fachschule für Sozialpädagogik in Hamburg-Altona. Forschungsschwerpunkte: Allgemeine Pädagogik, Jugend, Gewalt und Rechtsextremismus. Letzte Buchveröffentlichung: »Jung, rechts, unpolitisch? Die Ausblendung des Politischen im Diskurs über Rechte Gewalt«, Bielefeld 2010. Er ist wissenschaftlicher Kooperationspartner des Berliner Vereins »Cultures interactives e.V« sowie Lehrbeauftragter für Sozialpädagogik an der Universität Hamburg. Kontakt unter stefandierbach@yahoo.de
 
Hinweis:
Dieser Text ist eine gekürzte Version des Beitrages »...denn sie wissen, was sie tun!« Eine Kritik der Wahrnehmung Rechter Gewalt als »unpolitische Jugendgewalt«, In: Rundblick Nr. 04/2012. Hrsg.: Verein Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e.V. (IDA-NRW). Wir danken für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung.

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Cover des Buches via transcript Verlag