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Wie wichtig „widerlegbar“ sein kann…

… zeigt aktuell das Vorhaben der schwarz-gelben Bundesregierung. Denn geht es nach ihr, soll in Zukunft die bloße Erwähnung in einem Verfassungsschutzbericht reichen, um Vereinen den Status ihrer Gemeinnützigkeit, und damit ihre finanzielle Existenz, zu entziehen. Der geringste Verdacht kann das sofortige Aus für viele Demokratievereine bedeuten.

Von Anna Brausam

Vor nicht all zu langer Zeit, genauer gesagt erst Ende April, bestätigte das Dresdner Verwaltungsgericht die Rechtswidrigkeit der sogenannten Demokratieerklärung. Die umstrittene Klausel geht auf das Bestreben der Bundesfamilienministerin Kristina Schröder zurück, Vereinen und Initiativen, die sich zivilgesellschaftlich engagieren, eine Erklärung abzuverlangen, in der sie sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen, wenn sie Fördermittel vom Bund erhalten möchten. Hier sollen aber nicht nur staatlich geförderte Initiativen ihre eigene Verfassungstreue bekunden, sondern auch Garantieerklärungen für ihre Partner abgeben. Die Abstrafung der Extremismusklausel durch das Dresdener Verwaltungsgericht wurde als Erfolg gegen das stete Misstrauen und die anhaltende Kontrolle zivilgesellschaftlichen Engagements durch das Familienministerium gewertet.

Entzug der Gemeinnützigkeit

Doch diese Errungenschaft droht jetzt durch ein neues Gesetzesvorhaben relativiert zu werden: Denn die schwarz-gelbe Bundesregierung will im Entwurf des Jahressteuergesetzes 2013 zwar nur ein einziges Wort streichen, dieses Vorhaben kann aber weitreichende Konsequenzen für gemeinnützige Vereine haben. Seit 2009 heißt es in § 51 Abs. 3 der Abgabenordnung in Bezug auf die Voraussetzungen der Steuerbegünstigung: „Bei Körperschaften, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt sind, ist widerlegbar davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des Satzes 1 nicht erfüllt sind.“ Wenn es nach Auffassung der Regierung geht, soll das Wort „widerlegbar“ nun aber gestrichen werden. Das hätte zur Folge, dass Vereinen, die in einem der 17 Verfassungsschutzberichte genannt werden, mit sofortiger Wirkung die Gemeinnützigkeit entzogen wird. Diese Praxis ist zwar bereits seit 2009 möglich, doch das kleine Wörtchen „widerlegbar“ hat den Organisationen und Initiativen die Möglichkeit verschafft dagegen zu klagen. Und dies bereits mehrmals mit Erfolg! So wurde der Neuruppiner Verein „MittenDrin“, der dieses Jahr mit dem Julius-Rumpf-Preis für sein Engagement gegen Rechts ausgezeichnet wurde, bereits zweimal im Verfassungsschutz als Beispiel für „linksextremistische Aktivitäten in Jugendzentren“ geführt. MittenDrin wehrte sich jedoch im letzten Jahr erfolgreich gegen die haltlosen Vorwürfe. Das Potsdamer Verwaltungsgericht warf dem Brandenburger Verfassungsschutz vor, „tendenziös und unzulässig ungenau“ gearbeitet zu haben, was zur Folge hatte, dass sämtliche Einträge über den „MittenDrin“ e.V. im Bericht geschwärzt werden mussten. Es lassen sich auch noch weitere Beispiele nennen, bei denen Vereine erfolgreich Widerspruch eingelegt haben. Da wäre die Al-Rahman Moschee, die zu unrecht im Verfassungsschutz als salafistisch geführt wurde oder die bayerische Archivstelle AIDA, deren Eintrag im Verfassungsschutzbericht nach Einspruch auch geschwärzt werden musste. Diese Beispiele verdeutlichen, wie wichtig „widerlegbar“ in einem Gesetzestext sein kann.

Existenzbedrohung für Vereine

Denn bis jetzt hat ein betroffener Verein die Wahl, ob er gegen den Entzug der Gemeinnützigkeit das Finanzgericht anruft oder ob er die Streichung aus dem Verfassungsschutzbericht vor dem Verfassungsgericht einklagt. Mit dem neuen Gesetz entfällt jedoch die kostengünstigere Möglichkeit zum Gegenbeweis vor dem Finanzgericht. Fatal und existenzbedrohend für diejenigen Initiativen und Organisationen, für die der sofortige Entzug der Gemeinnützigkeit gleichbedeutend ist mit dem Verlust aller finanziellen Ressourcen. Denn ohne Gemeinnützigkeit dürfen Vereine keine Spendenquittungen mehr ausstellen und müssten den vollen Satz der Umsatzsteuer zahlen, und dies rückwirkend für mehrere Jahre! Den Weg vor das Verfassungsgericht können sich viele dann nicht mehr leisten, weil das Budget für langwierige Prozessverfahren fehlt.

Dass verfassungswidrigen Vereinen die Gemeinnützigkeit entzogen wird, hat durchaus seine Berechtigung. Doch für eine unter Verdacht geratene Organisation sollte die Möglichkeit bestehen, den Gegenbeweis antreten zu dürfen und zwar chancengleich für alle. Denn das Bestehen beziehungsweise Nicht-Bestehen eines Vereins in die Hände einer Behörde zu legen, die spätestens seit der Selbstenttarnung des NSU offenbart hat, dass ihr Handeln nicht überprüfbar und kaum nachvollziehbar ist, ist äußerst fragwürdig. „Ich teile das Ziel der Bundesregierung, Missbrauch zu verhindern. Verfassungsfeindliche Organisationen können nicht gemeinnützig sein. Doch die Lösung der Bundesregierung geht völlig am Problem vorbei. Denn Einschätzungen von Geheimbehörden können nicht transparent geprüft werden. Und es ist auch nicht mit meinem Verständnis von einem Rechtsstaat vereinbar, wenn 17 intransparenten Geheimbehörden ein Freibrief erteilt wird, nach eigenem Ermessen Organisationen über die Aberkennung des Gemeinnützigkeitsstatus den Geldhahn abdrehen zu können“, sagt Lisa Paus von Bündnis 90/ Die Grünen, Mitglied des deutschen Bundestages und Obfrau des Finanzausschusses.

Ein breites Protestbündnis formiert sich

Am 12. September will der Finanzausschuss des Bundestages erneut über das geplante Jahressteuergesetz 2013 beraten. Doch ein breites Bündnis aus Umwelt-, Menschen- und Bürgerrechtsgruppen plant nun einen massiven Protest gegen dieses Vorhaben. Der Gesetzesentwurf „kann nicht Sinn und Funktion der Regelungen zur Gemeinnützigkeit sein. Bürgerschaftliches Engagement und zivilgesellschaftliche Arbeit sind konstitutiv für unsere demokratische Gesellschaft: Die Versagung von Gemeinnützigkeit verhindert die Beteiligung an der Gestaltung unseres Gemeinwesens!“, so das Bündnis. Ein erster kleiner Erfolg konnte bereits verbucht werden: Der Bundestag verwies das Gesetz Ende Juni an die Ausschüsse. Die Opposition fordert eine Änderung. So  meint auch Wolfgang Neskovic, Justiziar der Linken im Bundestag und ehemalige Richter am Bundesgerichtshof gegenüber der taz: „Diese Regelung öffnet die Tür für politische Willkür – über die Nennung im Verfassungsschutzbericht könnte dann gezielt missliebigen politischen Vereinigungen der finanzielle Boden entzogen werden.“

Bleibt zu hoffen, dass der Protest Wirkung zeigt; und die Bundesregierung zunächst vielleicht lieber noch einmal einen kritischen Blick auf die Verfassungsschutzbehörden in diesem Land riskiert, bevor sie ihnen unreflektiert noch mehr Macht in die Hände spielt.

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Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln. Foto: A. Kirch via wikipedia