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Im Angstraum


Im Südosten Berlins engagieren sich Bürger gegen Neonazis. Doch die Regierung verlangt von ihnen: Misstraut euren Mitstreitern.

Von Marion Kraske, Artikelübernahme mit freundlicher Genehmigung des Freitags

Es gibt Geschichten, in denen ist eigentlich alles klar: weiß und schwarz, gut und böse – die Rollen sind klar verteilt. Auch diese Geschichte müsste davon handeln, doch inzwischen ist nichts mehr klar hier, im Berliner Südosten. Aus Sicht der Protagonisten scheinen die Grenzen zu verwischen. Die Guten fühlen sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. Die Bösen lachen sich ins Fäustchen.

Vom S-Bahnhof führt ein langer Tunnel hinein ins Wohnviertel von Schöneweide. Der Tunnel ist knatschbunt, er strotzt vor farbigen Figuren und wilden Graffitis. Von Menschenwürde ist da die Rede, von Respekt. Von Love and Peace. Die Europäische Union hat die Malereien mitfinanziert. Weil der Tunnel, wenn man genauer hinsieht, mehr ist als nur einer von vielen. Weil er Zeugnis davon gibt, dass es im Viertel nicht so friedlich zugeht, wie die gut gemeinten Parolen es vermuten lassen. Denn inmitten all der Farbe tauchen immer wieder Hinweise auf eine andere Welt auf: Hier ein Hakenkreuz, da ein NPD-Aufkleber, dort eine Sprechblase: „Heil Hitler“.

Auf der anderen Straßenseite sitzt Kati Becker in einem kleinen Anbau neben dem Bürgeramt und nimmt die Meldungen der Woche entgegen. Über Facebook kam soeben die Nachricht herein, dass eine Horde schwarzgekleideter Männer mit Baseballschlägern unweit eines Parks gesichtet worden ist. Vom anderen Ende des Bezirks Treptow-Köpenick meldet ein Bürger eine NS-Schmiererei, Hakenkreuze und SS-Runen. Das ist Kati Beckers Alltag. Becker ist Anfang 30, sie trägt die Haare zu einem Zopf gebunden, schwarzer Pullover, mehrere Ringe zieren ihre Ohrläppchen. Wenn sie spricht, spricht sie leise, aber mit Nachdruck. Kati Becker ist in Schöneweide aufgewachsen. Elf Jahre nach der Wende machte sie Abitur, studierte Sozialwissenschaften. Als Jugendliche wurde sie von Neonazis angegriffen und engagierte sich in der Antifa-Bewegung. Heute dokumentiert sie, wie der Stadtteil von Rechtsradikalen unterwandert wird.

Der Meldungsspeicher von Kati Becker ist voll: Am 23.6. werden Jugendliche verfolgt und bedroht. Sie hatten zuvor ein Bild auf eine Hauswand gemalt. Es zeigt Kühe auf einer grünen Wiese. Den Slogan dazu hat das Jugendbündnis „Bunt statt Braun“ ersonnen: „Schöner weiden ohne Nazis“. Es ist so etwas wie eine Durchhalteparole für die Menschen, die hier leben.

Am 28.6. werden abends zwei Polizeibeamte in Zivil von Vermummten gejagt und bedroht, erst als die beiden Männer sich als Beamte zu erkennen geben, lassen die Täter von ihnen ab. Bei einer Durchsuchung in einem rechten Szenetreff werden anschließend Schlagwaffen und Messer sichergestellt. Am 11. Juli wird ein Vietnamese im Treppenhaus seines Hauses zusammengeschlagen. Am 3. September – mitten im Berliner Wahlkampf – werden Mitarbeiter der SPD angepöbelt, erst die anrückenden Polizeibeamten machen der Randale ein Ende.

Kati Beckers Register ist ein Dokument eines Kampfes, des Kampfes um die Hoheit über den öffentlichen Raum. Und der wird nicht nur im Bezirk geführt, sondern in ganz Deutschland. Es ist eine Auseinandersetzung zwischen jenen, die die Demokratie bekämpfen, und jenen, die sie mit bescheidenen Mitteln verteidigen.

Neonazis, NPD-Anhänger, rechte Schläger – sie alle treiben im Bezirk ihr Unwesen. In Treptow-Köpenick fühlen sie sich stark, die NPD unterhält hier ihre Bundeszentrale. „Die organisierte Rechte“, sagt Kati Becker, „hat sich hier eingenistet, ihre Strukturen haben sich verfestigt.“ Viele Nazis sind in den vergangenen Jahren gezielt hierher gezogen. Jetzt testen sie aus, was geht.

Glaser im Dauereinsatz

Früher war Schöneweide ein Zentrum der Großindustrie, einer der Arbeitgeber: Die Berliner Metallhütten- und Halbzeugwerke (BMHW). Nach der Wende brach die Produktion zusammen, 90 Prozent der Menschen verloren ihre Stelle, das Viertel verslumte. Wer heute durch Schöneweide geht, sieht, was das heißt. Wo einst mehr als 2.000 Menschen ihrer Arbeit nachgingen, liegen heute öde Industriebrachen, Mahnmale einer untergegangenen Epoche. Und daneben tobt die Gegenwart. Die Rechten haben ihr Terrain markiert: „Kampf Israel“ steht da auf der Mauer geschrieben. Und: „Nazi-Homezone“.

In der Brückenstraße, unweit von Kati Beckers Büro, findet sich das Epizentrum der Neonazi-Szene. Schwere Jungs mit schwarzer Kleidung und dicken Jacken schlendern demonstrativ vorbei. Viele zieht es regelmäßig in die Kneipe, die unweit der Spree steht. „Zum Henker“, verkündet das Schild über dem Eingang. Die Alubleche vor den Scheiben lassen erahnen, dass man drinnen lieber unter sich bleibt. Seit das Lokal 2008 eröffnet wurde, ist es im Viertel noch ungemütlicher geworden. Ausländische Gäste des nahegelegenen NH-Hotels beschwerten sich mehrfach darüber, dass sie auf offener Straße drangsaliert wurden. Ein paar Schritte entfernt eröffnete vor wenigen Wochen das Hexogen. Hier bietet der Neonazi Sebastian Schmidtke, der auch als Bindeglied zwischen NPD und gewaltbereiten Kameradschaften agiert, Outdoor- und Militaria-Kleidung für Gesinnungsgenossen an. Als ein Pressefotograf kurz vor der Eröffnung des Shops Fotos von dem Laden machte, gingen Neonazis auf ihn los.

Schräg gegenüber vom Hexogen strahlt Gregor Gysi überlebensgroß aus dem Schaufenster seines Wahlkreisbüros. Den beiden älteren Damen, die dort sitzen, ist das Lachen dagegen vergangen. Mehrfach sei in letzter Zeit die Scheibe eingeschmissen worden. „Der Glaser ist hier im Dauereinsatz“, erzählen sie.

Seit Ende 2007 dokumentiert Kati Becker die rechten Übergriffe. Wenn sie auf die Zukunft des Registers, ihrer Kernarbeit im „Zentrum für Demokratie“, angesprochen wird, wird sie wütend. Denn das Register ist nicht nur Beweismittel rechter Umtriebe, sondern auch Kummerkasten für Betroffene, für Menschen, die angesichts der Vorfälle einen Ansprechpartner suchen. Bis auf Weiteres pflegt Becker das Register rein ehrenamtlich. Denn das Geld vom Bürgerverein „Offensiv 91“, das ihre Arbeit bisher finanzierte – es ist versiegt.

Wer verstehen will, warum dies so ist, warum hier, in Treptow-Köpenick, wo die Fronten lange klar erschienen, die Grenzen auf einmal verschwimmen, der muss mit Birgit Hannemann sprechen.

Die Geschäftsführerin des Vereins Offensiv 91 empfängt Besuch in einer gelb-getünchten Villa mitten in Schöneweide. „Nachbarschaftshaus“ steht draußen in riesigen Lettern. Früher saß in dem Gebäude die Stasi. Heute ist es ein Ort, an dem Demokratie gemacht wird. Nachbarhäuser, Jugendtreffs, Kitas – all das unterstützt Offensiv 91. Die Zivilgesellschaft zu stärken – das ist den Aktivisten seit der Wende ein Anliegen. Damals, als die Mauer fiel, sei das wie eine Befreiung gewesen, endlich konnten sie mitgestalten, erinnert sich Hannemann, eine kleine, energische Frau mit rotem Lippenstift und grauem Pullover, ihr Äußeres erinnert ein wenig an den Schick aus den Hamburger Elbvororten. „Wir machen dat hier mit Herzblut. Wir haben den Rechten was entjegenjesetzt“, berlinert sie.

Damit ist erst einmal Schluss. Anfang des Jahres brachte Familienministerin Kristina Schröder die sogenannte Extremismusklausel auf den Weg. Alle Vereine, die sich um Bundesmittel aus dem Programm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ bewerben, müssen seither diese Klausel unterschreiben. Einerseits müssen die Antragsteller erklären, dass sie auf dem Boden der Verfassung stehen, andererseits sollen sie aber auch klarstellen, dass sie dies auch für ihre Partner garantieren. Für die eigenen Mitarbeiter, für Referenten, die bei Veranstaltungen auftreten, aber auch für Musiker, Caterer, Druckereien – all jene, die mit dem finanzierten Projekt in Zusammenhang stehen. Wo genau die Kontrolle enden soll – dazu sagt das Ministerium indes nichts.

Unterschrift schafft Misstrauen

Hannemanns Verein hat die Extremismusklausel nicht unterschrieben. Lange haben die Aktivisten diskutiert und gerungen. Natürlich stehe man auf dem Boden der Verfassung. „Wat denn sonst? Warum machen wir dat Janze hier wohl?“, sagt Hannemann. Aber Partner überprüfen, ausspionieren, ob der andere auch politisch korrekt im Sinne der Verfassung ist? „Dat haben wir 40 Jahre jehabt“, sagt sie. Das erinnere sie schlicht an die Stasi.

Bundesweit haben etliche Initiativen die Extremismusklausel notgedrungen unterschrieben. Viele sahen sich durch das Vorgehen des Schröder-Ministeriums regelrecht erpresst, so der Rechtsextremismusexperte Alexander Häusler. Die Klausel, so sein Fazit nach fast einem Jahr, fördere eine Kultur des Verdachts, die dem Engagement gegen rechts schade. Erprobte Strukturen und Netzwerke brechen weg, beobachtet etwa die „Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin“. Viele Vereine hätten erst gar keine Förderanträge gestellt, wenn sie wie Hannemann aus Gewissensgründen kategorisch eine Überprüfung von Partnern ablehnen.

Doch ohne Unterschrift gibt es auch kein Geld. 50.000 Euro fehlen Offensiv 91 nun jährlich – Geld, das bislang in Initiativen gegen Rechtsextreme gesteckt wurde. Das Zentrum für Demokratie, Kati Beckers Arbeit, das Register, spontane Aktionen und Zeichen gegen rechts – all das kann der Verein nun nicht mehr mittragen. Dabei haben sie Pläne geschmiedet, hatten das Zentrum mit eigener Kraft renoviert, zu einem Treffpunkt der Aufrechten gemacht. Die Werte dieses Landes verteidigt. So dachten sie.

Es ist 18.30 Uhr. Draußen regnet es in Strömen, und die Aufrechten von Schöneweide strömen ins Zentrum für Demokratie vis-à-vis des S-Bahnhofes. Polizisten in Zivil, ältere Herren in grauen Anzügen und Strickpulli, andere in Jogginghose, die Jusos sind ebenso vertreten wie Studenten der Fachhochschule und die Gartenfreunde Köpenick. Kati Becker ist immer noch da, sie schreibt das Protokoll. Dann sprechen sie über die Ergebnisse der Berlin-Wahlen. Die NPD hat im Bezirk schlechter abgeschnitten als erwartet und ihren Fraktionsrang verloren. Immerhin, ein kleiner Erfolg, den sie auch als Ernte ihres gemeinsamen Engagements ansehen. Das Fest für Demokratie, das sie einmal im Jahr als Zeichen für eine bunte Gesellschaft feiern, die vielen kleinen Aktionen, die sie immer wieder anschieben, um die Angst aus Schöneweide zu vertreiben. Um zu zeigen, dass der Stadtteil ihnen gehört – nicht den Nazis.

Ganz vorne sitzt Dirk Retzlaff, kurze Mecki-Frisur, das Gesicht umrahmt eine markante Brille. Fünf Jahre lang war der SPD-Mann Bezirksstadtrat, jetzt kommt ein anderer für ihn. Ohne ihn, sagen sie hier, wäre vieles im Kampf gegen rechts nicht möglich gewesen. Retzlaff ist ein fröhlicher Typ, einer, dem Politik Spaß macht. Beim Thema Extremismusklausel aber versteht er keinen Spaß. „Diese Arroganz der Politik kotzt mich an“, sagt er. Mit wenig Geld hätten sie bewiesen, dass sich etwas bewegen lasse. Dass man die Demokratie gegen Verfassungsfeinde verteidigen könne. Die Klausel sei ein Schlag ins Gesicht jener, die sich hier engagieren. „Warum sollen ausgerechnet jene, die die Demokratie schützen, erklären, dass sie auf dem Boden der Verfassung stehen?“

Einen neuen lokalen Aktionsplan gegen rechts hat die Extremismusklausel jedenfalls um Monate verzögert. Die Suche nach neuen Finanziers, nach solchen, die die Erklärung unterschrieben haben, hat gedauert. Klar, man fand sie, aber jene, die seit Jahren mit dabei waren, die alles mit angeschoben haben, die das Know-how besitzen – die sind erst einmal außen vor. Retzlaff atmet tief durch, dann sagt er: „Die Frau Ministerin hat doch keinen blassen Schimmer, was sie anrichtet.“ Draußen regnet es noch immer. Und irgendwo, an einer Ecke in Schöneweide, wird gerade das nächste Hakenkreuz geritzt.

Foto: Redaktion

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Marion Kraske, studierte Politologin, ist freie Journalistin, Kolumnistin und Buchautorin. In ihrem 2009 erschienenen Buch „Ach Austria. Verrücktes Alpenland“ (Molden-Verlag) zeigt Kraske unter anderem die Problematik des geistigen Rechtsextremismus in Österreich auf. Sie ist außerdem Gründerin des Polit-Blogs www.debattiersalon.de.
 

Sachsen: Der tolerierte Ausnahmezustand

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Zum Henker, Berlin-Schöneweide