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Ignorieren oder Verhindern?

12.000 DemokratInnen machten am letzten Samstag klar, dass in Magdeburg kein Platz für die geschichtsrevisionistische Propaganda der Neonazis ist. Dennoch marschierten bis zu 800 Neonazis durch den Magdeburger Süden, wenn auch hauptsächlich durch abgelegene und verlassene Industriegebiete.

Von Felix Müller

Das Szenario, das für den 12. Januar erwartet worden war, ist nur allzu gut aus Dresden bekannt. Das dortige „Gedenken“ seitens der Neonazis an die Bombardierung der Stadt während des Zweiten Weltkrieges hatte sich über Jahre zum größten Naziaufmarsch Europas gemausert. Seit letztem Jahr jedoch scheint der Versuch der Umdeutung des nationalsozialistischen Deutschlands zum „Opfer“ in der sächsischen Landeshauptstadt Geschichte zu sein. Mehr als 20.000 Menschen waren 2011 dem Aufruf des Bündnisses „Dresden-Nazifrei“ gefolgt und hatten mit Massenblockaden erreicht, dass alljährliche Highlight im Kalender der Neonazis dauerhaft zu verhindern. Im darauffolgenden Jahr konnte an diesen Erfolg gegen die Nazis angeknüpft werden.
 
Daher war befürchtet worden, dass der Jahrestag der Bombardierung Magdeburgs nun zum neuen zentralen Anlaufpunkt der Szene werden könnte. Was 1994 mit der Kranzniederlegung einiger weniger NPD-Kader begonnen hatte, steigerte sich in den Folgejahren zu einem wichtigen Termin der Szene. Letztes Jahr hatten NPD, freie Kameradschaften und Autonome Nationalisten bereits ca. 1.000 Rechtsextreme für den Marsch mobilisieren können.

Deutlich dezimierte TeilnehmerInnenzahl auf Seiten der Neonazis

Für dieses Jahr wurde im Vorfeld mit bis zu 2.000 Neonazis gerechnet – eine Zahl, die deutlich nicht erreicht wurde. NPD-Prominenz war kaum vor Ort. Lediglich der Vorsitzende der Jungen Nationaldemokraten (JN), der Jugendorganisation der NPD, und Initiator der „Initiative gegen das Vergessen“ Andy Knape, war als Redner anwesend. Insgesamt war in Magdeburg klar der bundeweite Trend zu spüren, dass die Szene immer weniger in der Lage ist, umfassend zu mobilisieren.

Ob aber andererseits die Losung des Oberbürgermeisters Lutz Trümper (SPD), „rechtem Gedankengut in Magdeburg keinen einzigen Fuß breit Platz zu bieten“, aufgegangen ist, darüber kann man geteilter Meinung sein. Denn so wahr es ist, dass die „Meile der Demokratie“ in der Innenstadt mehr BesucherInnen als im Vorjahr verzeichnen konnte, so wahr ist es auch, dass der Versuch, den Naziaufmarsch durch friedliche Sitzblockaden im Keim zu ersticken, scheiterte. Nicht zuletzt eine Hinhalte- und „Desinformationsstrategie“ der Polizei ist dafür verantwortlich.

Absichtliche Fehlinformationen durch die Polizei?

Schon am frühen Vormittag hatten sich ca. 1.000 Menschen am Bahnhof Herrenkrug und am Jerichower Platz versammelt. Die Bündnisse „Magdeburg Nazifrei“ und „365 Tag offensiv“ waren nach zugänglicher Informationslage davon ausgegangen, dass die Rechtsextremen an diesem Bahnhof ankommen würden. Das Ziel, den Aufmarsch gleich zu Beginn durch Sitzblockaden zu verhindern, konnte jedoch nicht erreicht werden. Denn hieß es im Vorfeld noch, der rechtsextreme Aufmarsch werde keinesfalls auf der westelbischen Seite Magdeburgs, sondern in den Stadtteilen Herrenkrug und Cracau östlich des Flusses stattfinden, so stellte sich dies im Verlauf des Tages als Fehlinformation heraus.

Auch auf der anderen Seite der Elbe befanden sich gegen 11 Uhr bereits ca. 700 GegendemonstrantInnen, die mit der Absicht gekommen waren, die Etablierung des „Trauermarsches“ in Magdeburg unmöglich zu machen. Um diese Zeit gab die Polizei erstmals bekannt, die Nazis würden sich am Hauptbahnhof befinden. Diese Information rief Ungläubigkeit unter den Anwesenden hervor: Das Zentrum Magdeburgs was als Aufmarschort zuvor nicht infrage gekommen. Trotzdem setzt sich der Demonstrationszug zunächst in diese Richtung in Bewegung.

Später stellte sich heraus, dass sich um diese Zeit tatsächlich Neonazis dort versammelten. Viele der ca. 3.000 PolizistInnen aus zehn Bundesländern schirmten den Bahnhof weiträumig ab. Erst gegen 13 Uhr wurde bekannt, dass die Nazis von dort aus in Richtung des südlichen Stadtteils Buckau gebracht werden sollten. Die Bahn stellte dafür Sonderzüge bereit. Zu diesem Zeitpunkt war es für diejenigen, die durch Aktionen des zivilen Ungehorsams ein deutliches Zeichen gegen die Rechtsextremen setzen wollen, schon nicht mehr möglich, in den ca.  acht Kilometer entfernten Randbezirk zu kommen. Denn trotz angemeldeter Demonstrationen in diesem Bereich ließ die Polizei niemanden mehr durch.

Marschierende Nazis im Nirgendwo

Während also die Nazis in den Bezirken Buckau, Fermersleben und Salbke weitgehend ungestört marschieren konnten, wurde das Herankommen an den Aufmarsch auf Hör- uns Sichtweite schon viele Kilometer vorher rüde gestoppt. Auf der Julius-Bremer-Straße wurden Menschen auf dem Weg zur angemeldeten Demonstration grundlos kontrolliert; es kam zum Einsatz von Schlagstöcken, Pfefferspray und Reiterstaffeln. Dabei wurden im Laufe des Tages mehr als 100 Menschen verletzt, mindestens zwei von ihnen schwer, wie Bündnissprecher Robert Fietzke bekannt gab. Auch auf Seiten der Polizei gab es 19 Verletzte.

Im Laufe des Tages wurde vermehrt beobachtet, wie Teams von SanitäterInnen daran gehindert wurden, zu Verletzten vorzudringen. Im Laufe des Tages kam es außerdem zu vereinzelten Übergriffen auf der Meile der Demokratie. Weiterhin wurden auch kleine Gruppen daran gehindert, mit der Straßenbahn gen Süden zu fahren. Fragen, wieso man hier aussteigen müsse, wurden seitens der Polizei harsch mit „Weil ich das so will“, erwidert. Schon der „Verdacht“, man wolle sich nicht mit dem Marsch der Rechtsextremen abfinden, genügte, um die Weiterfahrt zu beenden.

Blockieren statt Ignorieren

Während Linke und Grüne monieren, dass die Polizei durch Greiftrupps Versammlungen von GegendemonstrantInnen gesprengt und massiv Schlagstöcke eingesetzt habe, spricht die Polizei von einem gelungenen Einsatz. Es sei gelungen, die „verschiedenen Gruppierungen“ auseinanderzuhalten. Auch östlich der Elbe, von wo aus sich die DemonstrantInnen in Richtung Süden bewegten, kam es zu unangekündigten Angriffen durch die Polizei, wie das Bündnis „Magdeburg Nazifrei“ erklärt: „Das Konzept der Polizei bestand darin, zu provozieren. Schon auf Höhe Johanniskirche wurden wir massiv angegriffen“. Aus Sicht des Bündnisses sollten solche Bilder erreicht werden, um zivilen Ungehorsam auch im Nachhinein kriminalisieren zu können und Blockaden als „gewaltsam” zu stigmatisieren.

Auch David Begrich von „Miteinander e.V.“ bekundet: „Die Einsatztaktik der Polizei wirft viele Fragen auf“. Hier gilt es, einige aufzuarbeiten. In der kommenden Zeit ist daher sicherlich auch mit einer verstärkten Diskussion über die Angemessenheit polizeilicher Taktiken bei Veranstaltungen von Neonazis und der immer noch nicht durchgesetzten Kennzeichnungspflicht für BeamtInnen zu rechnen.

"365 Tage offensiv gegen Nazis und Rassisten" © Danny Frank
 
Holger Stahlknecht (CDU), Innenminister Sachsen-Anhalts, hatte bereits im Vorfeld seine Ablehnung gegenüber friedlichen Sitzblockaden als Protestform deutlich gemacht: „Wir sollten die Rechtsextremen mit Missachtung strafen, sie aber nicht blockieren“. Diese Auffassung ist allerdings nicht die einzig mögliche innerhalb des demokratischen Spektrums. Sebastian Striegel etwa, Landtagsabgeordneter für Grünen, betont ausdrücklich, dass auch Akte des zivilen Ungehorsams – wie Blockaden – legitim seien. Die Erfahrungen aus Dresden zeigen, wie wirksam diese als Ausdruck einer demokratischen, entschlossenen Zivilgesellschaft sein können. Es sollte daher des Recht jener, die sich zu einer solchen Protestform entschließen, sein, nicht vorsätzlich falsch oder gar nicht über die Kundgebungsorte der Nazis informiert zu werden.

Viele Erfolge und viel zu tun

Es war ein langer und kalter Samstag für die Menschen, die sich den Neonazis in Magdeburg auf verschiedene Weise entgegenstellen wollten. Das Resümee muss dabei ambivalent ausfallen. Auch wenn mehr DemokratInnen als je zuvor zu diesem Anlass auf den Beinen waren und die Nazis zum Ausweichen auf eine unattraktive Route zwangen, so wäre es wohl doch eine Übertreibung, von einem durchweg erfolgreichen Tag zu sprechen. Denn während die, an diesem Tag deutlich dezimierten, Neonazis zu einer albernen Dauerrotation von Wagners Götterdämmerung ihren „Trauermarsch“ in weitgehend menschenleeren Randbezirken absolvierten, wurde weitentfernt eine vielfach größere Zahl weitgehend friedlicher DemokratInnen polizeilich daran gehindert, dieser Inszenierung etwas entgegenzusetzen. Auch die lange Zwischenkundgebung der Neonazis ausgerechnet vor dem alternativen Hausprojekt „LIZ“ kann als staatlich tolerierte Provokation verstanden werden.

Magdeburg ist die Hauptstadt jenes Bundeslandes, in dem, gemessen an der Bevölkerungsanzahl, seit 1990 die meisten rechtsextremen Straftaten begangen wurden. Allein in Magdeburg selbst wurden in diesem Zeitraum mindestens vier Menschen von Neonazis ermordet. Es gilt, dieser Tendenz entschlossen entgegenzutreten – und allerspätestens im nächsten Jahr auch den hiesigen Aufmarsch zu einem zu machen, der früher mal gewesen ist.
 

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TeilnehmerInnen der Gegfendemonstration am Samstag in Magdeburg © Danny Frank