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„Es sind doch nicht alle Deutschen schlecht“

Vor 20 Jahren starben in Solingen fünf Frauen und Mädchen im Alter zwischen 4 und 27 Jahren. Sie wurden Opfer eines rassistisch motivierten Brandanschlags. Vier junge Männer steckten das Haus der türkischen Großfamilie in Brand.

Von Maja Bisanz
 
Christian hatte sich getarnt. Schwarze Klamotten, dunkelroter Schal des Nürnberger FC. Es war der Abend des 29. Mai 1993. Christian und seine Freunde Markus, Chris und Felix steckten, von Ausländerhass und Rassismus angestachelt, das Haus in der Unteren Wernerstraße 81 in Brand. Das Haus wurde von der türkischen Familie Genç bewohnt.
 
Fünf Tote, 14 Verletzte

Fünf Mädchen und Frauen der Familie Genç starben in den Flammen und an den Folgen des Brandes. 14 weitere Mitglieder der Familie erlitten teilweise lebensgefährliche Verletzungen. Das jüngste Todesopfer des Brandanschlags von Solingen, Saime Genç war erst vier Jahre alt, als sie an den Folgen des Brandes verstarb. Auch die 9jährige Hülya Genç, die 12jährige Gülüstan Öztürk, die 18jährige Hatice Genç und die 27jährige Gürsün Ince starben durch die rassistisch motivierte Tat der vier jungen Männer.
 
Die Täter konnten bereits nach wenigen Tagen von der Polizei festgenommen werden. Drei der vier jungen Männer trainierten in einer Kampfsportschule, deren Leiter Nazis für Angriffe auf politische Gegner ausbildete.

Vor allem dem 23jährigen Markus G, der die Tat zunächst gestand, im Verlaufe des Prozesses jedoch widerrief, konnte der rechtsextreme Hintergrund nachgewiesen werden, da er zeitweise Mitglied der rechtsradikalen Deutschen Volksunion (DVU) war. Auch der 16jährige Schüler Christian R. gestand die Tat. Die anderen beiden Täter, Chris B. (20) und Felix K. (16), bestritten jegliche Tatbeteiligung. Trotzdem wurden alle vier vom Oberlandesgericht Düsseldorf wegen fünffachen Mordes, mehrfachem Mordversuch und schwerer Brandstiftung zu langjährigen Haftstrafen zwischen 10 und 15 Jahren verurteilt.

Auch 20 Jahre danach ist noch immer nicht vergessen, was damals geschah. Jedes Jahr finden Gedenkfeiern in der Unteren Wernerstraße 81 statt, dem Ort, an dem der grausame Anschlag passierte. Als Symbol gegen den Rassismus wurde eine Gedenktafel angebracht und fünf junge Kastanien gepflanzt, die für die Opfer des Attentats stehen.
 
Leider kein Einzelfall
 
Dieser rassistisch motivierte Anschlag war nicht der erste dieser Art. Im September 1991 griffen bis zu 500 Personen ein Wohnheim für Vertragsarbeiter sowie ein Flüchtlingsheim in Hoyerswerda an.
Am 3. Oktober 1991 verübten drei Neonazis einen Brandanschlag auf ein Wohnheim von Asylsuchenden in Hünxe am Niederrhein. Zwei libanesische Mädchen werden schwer verletzt.

Im August 1992 folgten die Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen, bei denen ein Mob gewaltbereiter Bürgerinnen und Bürger die Zentrale Aufnahmestelle für Asylsuchende und ein Wohnheim für vietnamesische Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter attackierte. Sie warfen Steine und Brandbomben in die Häuser und stürmten die Gebäude mit Waffen und Benzinkanistern. Während der brutalen Ausschreitungen standen bis zu 3.000 applaudierende Zuschauerinnen und Zuschauer um den Platz des Geschehens herum, was das, von extremem Rassismus geprägte, gesellschaftliche Klima deutlich wiederspiegelte.
 
Und nur wenige Monate danach, am 23.November 1992, wurde der Brandanschlag auf zwei, von türkischen Familien bewohnte, Häuser im schleswig-holsteinischen Mölln verübt. Eine 51-jährige Frau und zwei Mädchen im Alter von zehn und 14 Jahren starben.
 
Verschärfung des Asylrechts, statt Bekämpfung von Rassismus

Die Antwort der Politik auf die rechtsextremen Anschläge war die Einschränkung des Asylrechts im Mai 1993, nur drei Tage bevor das Haus in der Unteren Wernerstraße brannte. Die „Drittstaatenregelung“, die wegen der hohen Asylbewerberzahlen von ca. 400.000 pro Jahr, eingeführt wurde, legte fest, dass Menschen die über Drittländer einreisen, in denen sie nicht politisch verfolgt werden, keine Möglichkeit mehr haben, als Asylberechtigte in der Bundesrepublik Deutschland anerkannt zu werden.
 
Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl fuhr nicht nach Solingen, nicht nach Mölln, Rostock, Hünxe oder Hoyerswerda. Er gab an, den „Beileidstourismus“ abzulehnen. In seiner gesamten Amtszeit beteiligte er sich kein einziges Mal an einer Gedenkveranstaltung für die Todesopfer rechter und rassistischer Gewalt.
 
Für ein respektvolles Miteinander
 
„Ich trage eben keinen Hass in mir. Wenn man es genau nimmt, hasse ich genau vier Menschen auf dieser Welt. Nämlich die vier, die mein Haus angezündet haben“, sagte Mevlüde Genç 15 Jahre nach der Brandnacht im Interview mit dem Spiegel. Die Frau, die fünf Familienmitglieder auf unerträgliche Weise verlor, tritt bis heute für ein friedliches Miteinander ein: „Alle anderen Menschen verdienen Respekt und Liebe. Und die bekommen sie von mir. Es sind doch nicht alle Deutschen schlecht, weil vier von ihnen mein Haus und mein Leben verbrennen. Nein, wir müssen respektvoll miteinander umgehen, sonst macht das doch alles keinen Sinn.“

Gedenken an die Opfer und Demo gegen Rassismus

Dieses Jahr, am Mittwoch, den 29. Mai, wird unter dem Titel „29.05.1993 – 29.05.2013“ eine Demonstration gegen Rassismus und Neofaschismus stattfinden.
  
Auch die Solinger Schülerinnen und Schüler beteiligen sich am Gedenken an Familie Genç und alle anderen Opfer rechter und rassistischer Gewalt. Sie rufen zum gemeinsamen Sternmarsch auf. Ab 12 Uhr sind alle Schülerinnen und Schüler vom Unterricht befreit, um von verschiedenen Startpunkten in der Stadt gemeinsam gegen Rassismus zu demonstrieren.
 
Am 8. Juni findet im Haus der Jugend in Solingen, mit Förderung der Amadeu Antonio Stiftung, ein Workshop mit dem Titel "Dagegen! ...und dann?" statt. Ein Forum für Engagierte und Interessierte 20 Jahre nach dem Brandanschlag. Mehr Informationen gibt es hier.

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1993 am Tatort des Brandanschlages von Solingen. Foto: Sir James / Wikipedia, cc