Sie sind hier

Der NSU und die militante rechte Szene Dortmunds

Seit der Aufdeckung der NSU-Morde kommen immer mehr Hinweise ans Licht, dass das rechte Trio um Beate Zschäpe innerhalb eines größeren Netzwerkes von weiteren rechten Zellen agierte. Viele der Spuren führen auch in die rechte Szene Dortmunds. Zur Aufklärung dieser Verbindung soll nun der ehemalige V-Mann Sebastian Seemann beitragen. Eine Spurensuche in Dortmund
 
Von Marie Becker
 
Im November 2014 wurde von Nebenklagevertretern im NSU-Prozess ein Antrag zur Vorladung der Zeugen Sebastian Seemann und Marko Gottschalk eingereicht. Marko Gottschalk ist nicht nur als Sänger von  „Oidoxie“ und zeitweiser Schlagzeuger  von „Weisse Wölfe“ tief im deutschen Rechtsrock verankert, sondern war bis 2006 selbsternanntes führendes Mitglied von „Combat 18“ in Deutschland. „Combat 18“ gilt als gewaltbereiter Arm der „Blood & Honour“-Bewegung, die 2000 in Deutschland verboten wurde. 2003 hat sich unter Marko Gottschalk eine solche „Combat 18“-Zelle unter dem Namen „Oidoxie Streetfighting Crew“ in Dortmund gegründet, der auch Sebastian Seemann angehörte. Die Zelle war gut in der europäischen „Blood & Honour“-Szene vernetzt. So pflegten sie unter anderem gute Kontakte zu dem Kopf der rechtsextremen Gruppe „Bloed, Bodem, Eer & Trouw“ Joeri van der P. aus Belgien. Von ihm bezogen sie wohl auch Waffen und organisierten gemeinsam Schießübungen. Das Ausmaß der Militarisierung der rechten Szene in Belgien wurde 2006 offenbar: Nach einer Razzia bei dem belgischen „Blood & Honour“–Ableger beschlagnahmte die Polizei 200 moderne Kriegswaffen.
 
Der Mord an Mehmet Kubaşık mit Hilfe einer Dortmunder Neonazi-Zelle?
 
Als der NSU den Dortmunder Kioskbetreiber Mehmet Kubaşık 2006 ermordete, habe sich nach Aussagen des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes die „Combat 18“-Zelle aus Dortmund bereits aufgelöst. Die Nebenklagevertreter im NSU-Prozess bezweifeln diese Aussage. Vielmehr gehen Sie davon aus, dass die Terrorzelle von Marko Gottschalk weiter bestand und dem NSU bei der Ermordung Kubaşıks geholfen habe. Hinweise darauf gibt es einige. So lag der Kiosk von Kubaşık in der Nähe eines Treffpunktes der „Combat 18“-Zelle. Zudem hat man bei den Mitgliedern des NSU Stadtkarten aus Dortmund gefunden, in denen mögliche Anschlagsziele verzeichnet wurden. Ohne genaue Kenntnisse der Stadt wäre eine solche detaillierte Aufzeichnung von potentiellen Angriffszielen nicht möglich gewesen. Für die Nebenklagevertreter liegt daher die Vermutung nahe, die Mitglieder der „Combat 18“-Zelle hätten dem NSU bei der Ausspähung des Tatortes in Dortmund und möglicherweise auch in Kassel geholfen. 
 
Sebastian Seemann  – Eine Schlüsselfigur für den NSU-Prozess?
 
Die Vorladung der Zeugen Marko Gottschalk und Sebastian Seemann könnten hier zur Aufklärung beitragen. Doch ihr Erscheinen vor dem Münchner Oberlandesgericht ist unwahrscheinlich. So soll sich Marko Gottschalk mittlerweile nach Schweden abgesetzt haben. Sebastian Seemann befindet sich wahrscheinlich in einem Zeugenschutzprogramm und hat eine neue Identität erhalten. 2007 flog er als V-Mann des Verfassungsschutzes auf. Er hatte zuvor mit dem ebenfalls in der rechten Szene tief verankerten Robin Schmiemann ein größeres Drogengeschäft organisiert. Nachdem sie um ihr Geld betrogen wurden, überfiel Schmiemann eine Supermarkt-Filiale und schoss dabei einen Tunesier nieder. Nach Schmiemanns Festnahme flog auch Sebastian Seemann auf. Und zwar nicht nur als Drogendealer und Waffenhändler, sondern auch als V-Mann des Verfassungsschutzes. Seine Aufdeckung löste damals einen Verfassungsschutz-Skandal in Nordrhein-Westfalen aus. Für Empörung sorgte dabei nicht nur die Nennung seines Klarnamens in Aussageprotokollen während der Verhandlung gegen Robin Schmiemann, sondern auch die besondere Verbindung zu seinem V-Mann-Führer. Dieser soll ihn laut Abhör-Protokollen der Drogenfahndung vor den Ermittlungen der Polizei gewarnt haben. Ein Polizist stellte damals Strafanzeige gegen den Verfassungsschützer. Zu weiteren Ermittlungen ist es aber nie gekommen.
 
Die Taten des NSU - Die These vom rechtsextremen Trio bröckelt
 
Aufmerksam wurden die Nebenklagevertreter auf Sebastian Seemann vor allem durch eine Befragung, die Polizisten mit ihm kurz nach dem Auffliegen des NSU-Trios durchführten. Sebastian Seemann verwies bereits damals auf mögliche Verbindungen nach Dortmund und Belgien und erwähnte die „Turner Diaries“ als mögliche ideologische Quelle der NSU-Morde. Zudem soll er den Namen eines Mannes genannt haben, der für Waffenlieferungen an den NSU verantwortlich gewesen sein könnte. Allem Anschein nach wurde damals diesen Hinweisen von der Polizei nicht weiter nachgegangen. Umso interessanter ist Sebastian Seemann für die Nebenklage, da er die bisher vom Gericht ignorierte These, der NSU sei in eine viel größere rechte Struktur eingebettet gewesen, weiter stützen würde. Sebastian Seemann könnte Aufschluss über die Verbindung des NSU-Trios zur rechten Szene in Dortmund und damit zu Verbindungen in die westeuropäische „Blood & Honour“-Bewegung geben. Dass es die gab, darauf weisen die zahlreichen Kontakte zwischen Neonazis aus Dortmund und dem NSU hin. Zu diesen Kontakten gehört auch der bereits erwähnte Robin Schmiemann, der vor allem durch seine Rolle als Brieffreund Beate Zschäpes einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde.
 
Gegen eine „Schlussstrich-Mentalität“
 
Im Sommer 2014 wurden vor dem Oberlandesgericht in München die „Turner Diaries“ als Beweismittel zugelassen. Ob es nun auch zu einer Ausweitung des Prozesses auf die Dortmunder Neonazi-Szene kommt, ist zu bezweifeln. Das liegt nicht nur an den Vertretern der Verteidigung. Die Bundesanwaltschaft betonte vor kurzem erst wieder, dass es im NSU-Prozess allein um die Aufklärung der Schuld der Angeklagten gehe und dass eine Ausweitung des Prozesses auf weitere Personen das Verfahren nur überfordern würde. Hier muss sich die Bundesanwaltschaft fragen, ob sie damit nicht ihrer eigenen Sache schadet. Zu hoffen ist, dass ein im Herbst dieses Jahres in Nordrhein-Westfalen geplanter Untersuchungsausschuss neue Erkenntnisse zu möglichen Verbindungen des NSU nach Dortmund zu Tage fördern kann. Zu befürchten ist, dass – wie es die Linke-Politikerin Kerstin Köditz gegenüber dem Deutschlandfunk formulierte – eine „Schlussstrich-Mentalität“ einsetzt.

Foto: © Joachim Bomann (CC BY-NC-SA 2.0)
 
 

Dortmund-Dorstfeld, ein Stadtteil im Westen Dortmunds, hat einer der militantesten Neonazi-Szenen in Westdeutschland. Foto: © Joachim Bomann