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„Los jetzt hier!“ – Wie sieht es aus am 1. Mai?


Alljährlich ist der 1. Mai ein Tag im Ausnahmezustand. Überall Demonstrationen und Veranstaltungen. In diesem Jahr werden bundesweit wohl sechs Neonazidemos stattfinden, die viele Bündnisse nicht einfach vorüberziehen lassen wollen. Ein Überblick.


Mindestens sechs Neonazisdemonstrationen sollen am 1. Mai im ganzen Bundesgebiet stattfinden. Dabei ist sich die Szene nicht immer einig. Konflikte gibt es aufgrund der vielen unterschiedlich angemeldeten Demos, die ein gemeinsames Auftreten verhindern. Wie es bisher aussieht werden Demonstrationen in Berlin, Schweinfurt, Rostock, Erfurt, Hoyerswerda und Zwickau stattfinden. Die Polizei gerät dadurch in Zugzwang, denn ebenso finden an diesem Wochenende noch einige Bundesligaspiele statt. „Ich gehe davon aus, dass wir gut aufgestellt sein werden“, meint allerdings der Berliner Innensenator Ehrhart Körting in der TAZ. Die Schätzungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Neonazidemos überbieten sich gegenseitig. Dabei wären realistische Einschätzungen angesagt. Schließlich finden im ganzen Bundesgebiet Demos statt; die Szene muss sich aufteilen. Am größten werden wohl Berlin und Schweinfurt werden. Aber auch Rostock macht den Anschein, dass es ungemütlich wird. Doch überall müssen sich die Neonazis auf Gegenproteste einstellen.

NPD und "Freie Kräfte" gemeinsam in Berlin

In der Hauptstadt sind drei Demonstrationen angemeldet – es wird wohl auf eine hinauslaufen. Informationen zu bekommen ist allerdings sehr schwierig. Die Behörden schweigen beharrlich. Mittlerweile ist bekannt geworden, dass der S-Bahnhof Bornholmer Straße wohl Startpunkt der gemeinsamen Demonstration von NPD und „Freien Kameradschaften“ unter dem Motto „Unserem Volk eine Zukunft“ sein wird. Seit März gibt es gemeinsame Infostände der Neonazis. Und seit Herbst vergangenen Jahres beschäftigen sie sich mit dem 1. Mai und haben kaum ein anderes Thema. „Ein erfolgreicher Aufmarsch wäre für sie symbolträchtig“, sagt Kim Voigt vom Bündnis der Berliner Antifa-Gruppen. „Sie haben kaum Ressourcen, um sich mit mehreren Themen gleichzeitig zu beschäftigen“, so Voigt weiter. Erwartet werden Redner aus dem Ruhrgebiet sowie aus Belgien und Schweden. Es kursieren spekulative Schätzungen, die von 3.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ausgehen. „Das ist überzogen. Vielleicht werden es 800 bis 1.000“, schätzt Voigt. Mobilisiert wird jedenfalls auch aus dem Ruhrgebiet nach Berlin – und das schon zum Vortag. Denn die Neonazis wollen aus Dresden 2010 gelernt haben, wo sie auch schon an der Anreise gehindert wurden. In diesem Zusammenhang steht auch die Demonstration gegen die Neonazikneipe „Zum Henker“ in Schöneweide am 30. April. In der Nacht vom 19. auf den 20. April wurde die Kneipe schon von Couragierten pink verziert. Der 30. April ist der Todestag von Adolf Hitler; das Motto der Demo ist entsprechend: „Zum Führer mit dem ‚Zum Henker‘“.

In Berlin gibt es vier Bündnisse, die zu Protestaktionen am 1. Mai aufrufen. Das breite Bündnis „1. Mai Nazifrei“, das aus Parteien, Gewerkschaften und verschiedenen Initiativen besteht, stellt sich Massenblockaden mit dem Vorbild Dresden vor. Es gibt verschiedene Treffpunkte, von denen aus gemeinsam zu den Blockaden aufgebrochen wird. Ergänzend meint das Bündnis der Berliner Antifagruppen: „Jeder Naziaufmarsch hat seinen Preis“. „Wir respektieren den Konsens des Bündnisses ‚1. Mai Nazifrei‘“, so Voigt. Man wolle aber eigene inhaltliche Akzente setzen sowie Kritik über Neonazis hinaus formulieren. „Wir sind auch vorbereitet, wenn den Nazis der Weg gewaltsam freigeprügelt werden sollte“, erklärt Voigt. Ebenso haben sich antifaschistische Jugendgruppen zusammengefunden. Auch Prominente rufen zum Engagement gegen den Neonazisaufmarsch: „Wenn Neonazis aus Deutschland und Europa am 1. Mai auf den Straßen und Plätzen Berlins Angst verbreiten wollen, werden wir dies nicht dulden und nicht tatenlos zusehen“, steht im Papier des Berliner Ratschlags für Demokratie, dem sich unter anderen die Moderatiorin Mo Asumang und Anetta Kahane von der Amadeu Antonio Stiftung angeschlossen haben. Angesichts dieser massiven Gegenproteste werden es die Neonazis in Berlin wohl nicht leicht haben. Ihre Demonstrationen sind deshalb auch von 12 bis 22 bzw. 24 Uhr angemeldet. Hoffen wir, dass ihnen auch dieser lange Zeitraum nichts bringen wird.

"Frei statt Netz Süd" in Schweinfurt

In Schweinfurt und Würzburg sind ebenfalls Neonazi-Demos angemeldet. Beide wurden verboten, wobei die Organisatoren schon Klage gegen die Verbote eingereicht haben. Würzburg scheint eher eine Ausweichanmeldung zu sein. Die Mobilisierung der Neonazis weist auf Schweinfurt als Treffpunkt der Szene im südlichen Bundesgebiet hin. Erwartet werden können wohl ca. 1.000 Neonazis. „Kapitalismus bedeutet Krieg“ ist hier ihr Motto. Redner sind u.a. der österreichische Neonazi Gottfried Küssel, der wegen „NS-Wiederbetätigung“ und Waffenbesitzes mehrmals verurteilt wurde und in Haft saß, sowie Jürgen Schwab, der mit Publikationen die „Volksstaat statt Weltherrschaft“ gut zum regressiven Antikapitalismus der Schweinfurter Neonazi-Demo passt. Dabei ist auch Dennis Giemsch, der im „Nationalen Widerstand Dortmund“ aktiv ist. Das Bündnis „Schweinfurt ist bunt“ ruft zu Gegenprotesten auf, will aber noch mehr Menschen erreichen: „Wir bemerken in vielen Gesprächen, dass die Bürger entweder noch gar nicht wissen, dass Nazis am 1. Mai nach Schweinfurt kommen wollen, oder glauben, der Aufmarsch würde wegen des Verbotes der Stadt nicht stattfinden“, sagte DGB Regionsvorsitzender Frank Firschin vom Bündnis, das über 60 Initiativen, Vereine und Parteien unterstützen. Mit dem Titel „Frei statt Netz Süd“ beteiligen sich auch antifaschistische Gruppen an der großen Demonstration. Los geht es in Schweinfurt schon um 9.30 Uhr.

Am Stadtrand in Rostock

In Lütten-Klein, einer Siedlung am Stadtrand von Rostock erwartet die NPD ca. 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu ihrer Demo unter dem Motto „Freiheit statt BRD“. Dabei übt sie sich in völkischem Antikapitalismus, wie man es bei den Neonazi-Themen zum 1. Mai schon gewöhnt ist: Arbeit sei ein Grundrecht für „Volksgenossen“, aber auch eine Pflicht. Soziale Gerechtigkeit gebe es nur in einem „starken Nationalstaat“ dessen Träger die, wie könnte es anders sein, „Volksgemeinschaft“ sei. Hinter der versuchten Kritik am kapitalistischen Wirtschaftssystem stecken bekannte Bilder, die nichts mit individueller Freiheit und gegenseitiger Akzeptanz zu tun haben, sondern mit Antisemitismus und Rassismus. Ein Bündnis aus Gewerkschaften, Parteien und Kirchen hat schon zwei Gegenveranstaltungen angemeldet, zu denen ca. 1.000 Personen erwartet werden. „Vielfalt statt NPD“ ist ihr Motto. Brisant könnte es in Rostock werden, da ebenfalls ein Fußballspiel zwischen den Zweitligisten Energie Cottbus und Hansa Rostock stattfindet. Einige Fans vom Cottbusser Fußballclub sind schon früher aufgrund antisemitischer Parolen und Transparente im Stadion in die Schlagzeilen geraten. Auch der Redner auf der NPD-Demonstration könnte für sie interessant sein. Nach Informationen der Redaktion soll Siegfried Borchert sprechen. Borchert, auch bekannt als „SS-Siggi“, ist dem rechten Hooliganspektrum zuzuordnen und war in der Dortmunder „Borussenfront“ organisiert. Damit ist er auch ein Anzugspunkt für einige Neonazis aus dem Ruhrgebiet. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Situation ist Rostock entwickelt.

Erfurt und Zwickau

Auch in Erfurt wird es am 1. Mai einen Aufmarsch der Neonazis geben. Hierzu mobilisiert vor allem die NPD. Allerdings gibt es Konflikte mit den „Freien Kräften“, die lieber nach Berlin fahren wollen. Sie werfen der NPD „Spaltung“ vor. Als Gegenaktivitäten sind in Erfurt Blockaden und eine Demonstration geplant. Ein breites Bündnis aus Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, verschiedenen kleineren Bündnissen und einzelnen Bürgerinnen und Bürger ruft in einem Aufruf zur Blockade der Neonaziveranstaltung auf. In einem Aktionskonsens verpflichten sie sich zur Gewaltfreiheit. „Mit verschiedenen Blockadekonzepten und vielfältigen Aktionen werden wir an diesem Tag flexibel auf unterschiedliche Situationen reagieren können, um am Ende den Nazis kein Raum zur Verbreitung ihrer Ideologien in Erfurt zu lassen“, so ein Mitglied des Koordinierungskreises des Blockadebündnisses. Abhängig von den derzeitigen Verboten in Bayern rechnen die Organisatorinnen und Organisatoren der Gegenveranstaltungen mit bis zu 500 Neonazis. Die angemeldete Demonstration in Zwickau soll höchstwahrscheinlich als Ausweichort dienen. Dort marschieren Neonazis mit Anmeldung der NPD unter dem schon klassisch rassistischen Motto: „Arbeit für Deutsche! Fremdarbeiter-Invasion stoppen!“. „Wir werden den Neonazis mit Widersetz-Aktionen zeigen, dass wir sie weder in Zwickau noch anderswo dulden“, schreibt das Gegenbündnis „Zwickau nimmt Platz“ dazu. Also auch am „Ausweichort“ werden Neonazis mit Protesten rechnen müssen.

Im Voraus gab es in Erfurt von verschiedenen Gruppen interne Blockadetrainings. In den nächsten Tagen wird es auf öffentlichen Plätzen in Erfurt auch mehrere „Probesitzen“ geben, woran sich auch Mitglieder des Thüringer Landtags beteiligen werden. Am 1. Mai ist um 8 Uhr Treffpunkt auf dem Anger. Neben den Blockaden wird es auch eine Demonstration der lokalen Antifa geben, die in einem eigenen Aufruf zur Verhinderung des Neonaziaufmarschs aufruft. „Die Gegenaktivitäten in Erfurt sollen auch zur Mobilisierung im Juli nach Gera dienen“, erklärt die Organisatorin der Gegenveranstaltungen in Erfurt. In Gera findet einmal im Jahr „Rock für Deutschland“ statt, zudem letztes Jahr ca. 3 - 4.000 Neonazis angereist waren.

In Hoyerswerda heißt der Neonazi-Aufmarsch „Generationen der Feigheit müssen vergehen“. Als Veranstalter ist die Arbeitsgruppe „Wir wollen leben“ im „außerparlamentarischen Widerstand“ angegeben. „Heimat ist mehr als Standort“ heißt es in ihrem Demoaufruf und fordern daraufhin martialisch „Nationaler Sozialismus Jetzt!“. Die Initiative Zivilcourage in Hoyerswerda bemüht sich um Gegenproteste. Der Oberbürgermeister Stefan Skora hat die Bürgerinnen und Bürger ermutigt am „1. Mai ein Zeichen zu setzen“.

Alles in allem

Es wird wohl ein anstrengendes Wochenende. Weitere Entwicklungen müssen aber noch abgewartet werden. Einigkeit lässt sich in der Neonaziszene zum 1. Mai nicht erkennen. Aber ob nun NPD und „Freie Kräfte“ gemeinsam oder getrennt marschieren, die Ideologie bleibt die gleiche. Insofern lässt sich nur noch sagen: Am 1. Mai ist überall protestieren angesagt. Also los.

Von Nora Winter und Franz Zobel
Foto: Gegen einen "Umzug" des "Bündnis für Demokratie und Toleranz in Treptow-Köpenick" protestieren knapp 30 Neonazis des "Frontbann 24" im Biergarten der Neonazikneipe "Zum Henker". Von Theo Schneider.

"'tschuldigung, darf ich ma' bitte durch?"