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Der Rassismus in unserer Mitte

Wenn die Mitte der Gesellschaft geistigen Extremismus nicht ahndet, müssen wir uns nicht über die militante Umsetzung dieser von Menschenhass getragenen Ideologien am rechten Rand wundern.

Von Marion Kraske, zuerst erschienen auf www.debattiersalon.de

Jetzt sind sie alle wieder ganz schön betroffen, die hohe Politik vorneweg. Angela Merkel sagt: Terrorismus im rechtsextremen Bereich sei eine Schande für Deutschland. Ihr Außenminister Guido Westerwelle sagt, er sei bestürzt über die rechtsextremen Mordtaten. „Das ist nicht nur furchtbar für die Opfer, nicht nur schlimm für unser Land. Das ist vor allem sehr, sehr schlimm für das Ansehen Deutschlands in der Welt.”

Die Morde der Zwickauer Terrorzelle tragen in der Tat apokalyptische Züge, Menschenhass und Rassismus in nach dem Zweiten Weltkrieg kaum dagewesener Form haben dazu geführt, dass hier lebende Ausländer brutal umgebracht wurden. Dass sie hingerichtet wurden, einzig und allein aus fremdenfeindlichen Motiven heraus. Diese Taten stellen eine neue Qualität politischer Gewalt dar. Junge Neonazis haben all das in die Tat umgesetzt, was andere an Menschenverachtung und Intoleranz seit Jahren in die deutsche Gesellschaft tragen, die rechtsextreme NPD vorneweg. Doch das Problem sitzt tiefer. Viele haben daran mitgewirkt, dass das Problem wahlweise negiert oder verharmlost wurde, auch die etablierten Parteien.

Tägliche Angriffe, Beleidigungen, Pöbeleien

Seit der Wiedervereinigung wurden mehr als 180 Menschen von Rechtsextremen getötet, hinzu kommen nahezu tägliche Angriffe, Beleidigungen, Pöbeleien.

Die Opfer sind nicht nur Ausländer, sondern auch die sogenannten Feinde der Ultrarechten, die mehr oder weniger Linken. Und das nicht nur im vermeintlich demokratiepolitisch unterentwickelten Osten des Landes, nein, Angriffe auf den Gegner finden auch in der deutschen Hauptstadt statt. Mitten unter uns. Trotz der Monströsität der rechten Bedrohung wurde das Phänomen Rechtsextremismus lange Zeit chronisch kleingeredet. Statt die Demokratie zersetzende Gefahr ernst zu nehmen, machte sich vor allem die Regierung Merkel daran, eine krude Gleichsetzung von Linksextremismus und Rechtsextremismus zu propagieren. Anfang 2010 brachte man ein Formular auf den Weg, mit dem nicht mehr nur, wie bis dahin üblich, die Opfer rechter Gewalt finanzielle Soforthilfe beantragen konnten, sondern auch Opfer linker und sonst wie gearteter Gewalt. Im Prinzip eine gute Sache – wenn es denn Opfer linksextremer Gewalt geben würde. Das Problem nur: Während sich im Jahr 2010 insgesamt 95 Opfer rechtsextremer Gewalttaten meldeten, so heißt es beim Bundesamt für Justiz in Bonn, war es im Bereich linksextremistischer Übergriffe: kein einziges Opfer.

Ein zweifelhaftes Unterfangen

Schwarz-Gelb hat es sich erkennbar zur Aufgabe gemacht, alle Formen des Extremismus gleichermaßen zu behandeln. Ein zweifelhaftes Unterfangen, setzt es doch voraus, dass die Erscheinungsformen dieselben sind, dass die Bedrohungsszenarien zumindest im Ansatz vergleichbar sind. Das ist mitnichten der Fall, auch der Verfassungsschutz hat das jüngst in aller Deutlichkeit klargestellt. Ungeachtet dessen hat die Regierung Merkel daran mitgewirkt, rechtsextreme Gesinnung samt ihrer lebensbedrohlichen und menschenverachtenden Ideologie dadurch zu bagatellisieren, dass sie mit anderen Formen gleichgesetzt wurde.

Einen Höhepunkt dieser fehlgeleiteten Politik stellt die seit Anfang 2011 gültige sogenannte „Extremismusklausel“ für Linke dar. Ausgerechnet jene Vereine und Initiativen, die sich mit ihrer Arbeit gegen den Rechtsextremismus engagieren und Bundesmittel beantragen, müssen seither erklären, dass sie auf dem Boden der Verfassung stehen und dies auch für ihre Partner sicherstellen, für Mitarbeiter, Referenten, Musiker – für alle also, die von den öffentlichen Geldern profitieren. Noch einmal zum Mitschreiben: Ausgerechnet jene also, die die Demokratie gegen braune Ideologen verteidigen, müssen sich erklären, müssen per Unterschrift klarstellen, dass sie es mit den Prinzipien des Grundgesetzes genau nehmen und ihre Mitstreiter ausspionieren – ein wahnwitziger Ansatz, den viele Initiativen boykottieren und aus diesem Grunde keine Bundesgelder mehr erhalten. Die Folge: Bewährte Netzwerke und erprobte Strukturen im Kampf gegen rechts brechen weg. Dadurch aber wird der Kampf gegen den Rechtsextremismus aus Sicht von Experten nachhaltig geschwächt. Alexander Häusler von der Fachhochschule Düsseldorf fällt ein vernichtendes Urteil: Es gebe keine empirisch reale Grundlage für die vom Familienministerium in Gang gesetzte „Verdachtskultur“, urteilt der Rechtsextremismusexperte. Eigentlich sollte in einer Zivilgesellschaft politisches Engagement gefördert werden, so der Wissenschaftler. Der Vorstoß der Bundesregierung aber sei eine „ideologisch-motivierte Handlung“, die diesem Ziel zuwiderlaufe.

Szenarien ohne Realitätsbezug

Kein Einzelfall: Statt dem Rechtsextremismus uneingeschränkt die Stirn zu bieten und die Zivilgesellschaft zu stärken, schossen sich gerade die Konservativen in jüngster Zeit immer wieder auf vermeintlich andersgerichtete Bedrohungsszenarien ein. Immer wieder malten CDU-Vertreter das Schreckgespenst eines erstarkenden Linksextremismus an die Wand. Nach einer Reihe von Anschlägen auf das Berliner Bahnnetz sprach Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann gar von einer linksterroristischen Bedrohung. Konservative Medien assistierten bei der allgemeinen Hysterisierung. Welt Online spekulierte erregt, ob die autonome Gewalt eine neue RAF hervorbringen werde.

Was machte es da schon, dass diese Szenarien nichts mit der Realität zu tun haben? So stellte Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm Anfang November klar, dass es keine Ansätze für einen neuen Linksterrorismus gebe. Schade, vielen Konservativen hätte es augenscheinlich gut in den Kram gepasst. Bei derart intensiver Suche nach neuen Bedrohungsszenarien ist es denn auch nicht verwunderlich dass man die eigentliche Bedrohung, die von rechts, mit ihrem militanten Kern aus den Augen verlor. Dass selbst Polizei und Verfassungsschutz die reale Bedrohung unterschätzten, belegen anschaulich die Ermittlungspannen im Zusammenhang mit der Mordserie der Zwickauer Nazibande. Niemand, der die perfiden Morde mit politisch motivierten Straftaten in Zusammenhang brachte, statt dessen ermittelte man – wo auch sonst – im Bereich der Bandenkriminalität. Ausländer gelten in Deutschland noch immer als Personifizierungen für Kriminalität und Drogenhandel. Dieser getrübte Blick dürfte einer der Erklärungsansätze dafür sein, warum die Ermittler jahrelang im Dunkeln tappten und kein verbindendes Motiv der quer durch die Republik verübten fremdenfeindlichen Nazimorde erkennen mochten.

Und so muss sich allen voran die deutsche Gesellschaft fragen, warum Fremdenfeindlichkeit und Rassismus nach wie vor salonfähig sind, warum menschenverachtende Ideologien nicht stärker geahndet und ausgegrenzt werden. Die Debatte rund um die kruden Thesen des Thilo Sarrazins und den breiten Applaus, den der ehemalige Bundesbanker (!) mit seinem unseriösen Deutschland-schafft-sich-ab-Untergangstremolo erntete, bewies einmal mehr, wie sehr xenophobe und rassistisch-geprägte Überzeugungen selbst in der Mitte der Gesellschaft verankert sind.

Wir machen Rassismus salonfähig, wenn wir ihn nicht schonungslos sanktionieren

Auch die SPD kann sich davon nicht freisprechen. Nach Auffliegen des Zwickauer Nazi-Trios forderte SPD-Chef Sigmar Gabriel die Bundesregierung zwar auf, stärker gegen den Rechtsextremismus vorzugehen und erklärte mit salbungsvollen Worten, man dürfe “den Rechtsextremen keinen Raum” geben. Dabei waren es doch die Genossen selbst, die im Umgang mit Sarrazin eine erbärmliche Figur abgaben. Warum etwa bietet die SPD dem selbsternannten Aufklärer nach wir vor eine politische Heimat, obwohl der mit rassistischen Allgemeinplätzen und Anklängen an Eugenik und Biologismus aufwartete? Das – nicht zuletzt auf Sarrazins Beliebtheit in der Bevölkerung schielende – Zurückrudern beim zunächst lautstark angekündigten Parteiausschlussverfahren kommt einer Aufwertung dieser demokratiegefährdenden Überzeugungen gleich. Anders ausgedrückt: Wir machen Rassismus salonfähig, wenn wir ihn nicht schonungslos sanktionieren, uns von ihm in aller Klarheit distanzieren.

Sarrazins Thesen, die in wesentlichen Teilen durch eine Studie der Humboldt-Universität widerlegt wurden, sind keineswegs eine Bagatelle: Strömungen, die sich auch in seinem Argumentationsgebäude wiederfinden, legten im vergangenen Jahrhundert die Basis für millionenfachen Mord. Sarrazins Thesen, konsequent zu Ende gedacht, sind dazu angetan, die geistige Grundlage für Gewalttaten gegen Ausländer, im Besonderen gegen Muslime, zu legen. Wenn man die Menschen in einer Gesellschaft in wert und unwert einteilt, in nützlich und unnütz, wie Sarrazin dies in seiner Hetzschrift immer wieder andeutet, ist eine Grenze überschritten. Diese Grenzen sollten in Deutschland wieder sorgsamer gezogen werden – mit Blick auf den Bestand unserer Demokratie, mit Blick auf die hehren Verfassungsgrundsätze von Gleichheit und dem Recht auf Menschenwürde. Wenn die Mitte der Gesellschaft geistigen Extremismus nicht ahndet, müssen wir uns nicht über die militante Umsetzung dieser von Menschenhass getragenen Ideologien am rechten Rand wundern.
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Marion Kraske, studierte Politologin, ist freie Journalistin, Kolumnistin und Buchautorin. In ihrem 2009 erschienenen Buch „Ach Austria. Verrücktes Alpenland“ (Molden-Verlag) zeigt Kraske unter anderem die Problematik des geistigen Rechtsextremismus in Österreich auf. Sie ist außerdem Gründerin des Polit-Blogs www.debattiersalon.de.

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Marion Kraske. Foto: privat.