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„Das bisschen Totschlag bringt uns nicht gleich um“

"Mut gegen rechte Gewalt" fragte Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Zivilgesellschaft, was sie sich für 2012 wünschen. Heute antwortet Henning Homann, Mitglied des Sächsischen Landtages.

Die neonazistische Anschlagsserie des „Nationalsozialistischen Untergrund“ ist die blutigste politisch motivierte Mordserie des wiedervereinten Deutschlands. Und? Dass Nazis potenzielle Mörder sind wussten wir schon lange. Haben denn 180 Todesopfer rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt seit 1990 nicht gereicht? Immerhin, die Politik hat umgehend reagiert: Antiterrordatei, NPD-Verbot, doch keine Kürzungen bei den Antinaziprogrammen. Aber kein Grund einmal grundsätzlich die Frage zu stellen, wie es soweit kommen konnte? Warum auch, so mancher kommt wohl zu dem Schluss: „Das bisschen Todschlag bringt uns nicht gleich um.“*1

Die Ermüdungserscheinung in der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu Ursachen, Dimensionen und Strategien gegen Rechts sind unübersehbar. Das liegt auch daran, dass die sicherheitspolitische Antwort im Vergleich zur gesellschaftspolitischen immer die leichtere ist. Die Frage nach den Ursachen wäre nämlich ein schmerzhafter Blick in die Seele unserer Gesellschaft in der Rassismus und andere Ungleichwertigkeitsvorstellungen schlicht mehrheitsfähig sind.

Raus aus der Schmuddelecke

Die zivilgesellschaftlichen Demokratieprojekte und Netzwerke müssen endgültig raus aus der Schmuddelecke. Antifaschismus ist kein Schimpfwort. Sie leisten einen elementaren Dienst für die demokratische Gesellschaft, der sich bei weitem nicht auf die Bekämpfung von Neonazis reduzieren lässt. Vielmehr zeigen viele Projekte auf, wie es anders gehen könnte. Aus vielen Initiativen gegen Rechts sind Demokratiekompetenzzentren, Demokratievermittler oder integrative Demokratielabore geworden. Sie können uns am besten erklären, warum das Vertrauen in die Demokratie schwindet, welche Gegenstrategien funktionieren und sie machen Vorschläge wie wir konkret gesellschaftspolitisch mit den Problemen Rassismus, Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit umgehen können.

Neues Vertrauensverhältnis zwischen Staat und Zivilgesellschaft

Wenn wir diese Kompetenzen zur Weiterentwicklung unserer Demokratie nutzen wollen, brauchen wir ein Vertrauensverhältnis zwischen Staat und Zivilgesellschaft. Doch erleben wir gerade das Gegenteil. Extremismusklausel und Demokratieerklärung treiben einen Keil zwischen Staat und Zivilgesellschaft, drücken die Demokratieprojekte zurück ins Zwielicht und führen zu massiven Frustrationen, vom Rückzug einzelner Engagierter bis zum Ende ganzer Projekte.

Die Extremismusklausel ist Ausdruck einer konservativen Interpretation der sogenannten Extremismustheorie, die Linksextremismus und Rechtsextremismus teilweise gleichsetzt und im Begriff des „Extremismus“ zusammenfasst. Dadurch entsteht ein Trugbild, in dem der Hauptgegner des „Rechtsextremisten“ der „Linksextremist“ ist. Dies wiederum hat zur Folge, dass viele, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren automatisch als links oder linksextrem gelten. Das ist aber falsch: Der Gegner des Neonazis ist der Demokrat und die Demokratin.

„Es gibt nichts praktischeres als eine gute Theorie“ (Mark Twain)

Die Extremismustheorie ist nicht auch zuletzt deswegen unbrauchbar, weil sie keinerlei Erklärungsansätze über die Ursachen und mögliche Gegenstrategien bietet. Die vom Bielefelder Konfliktforschungsinstitut und Wilhelm Heitmeyer entwickelte Ansatz der „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichenkeit“ (GMF) ist zwar ein halber Zungenbrecher, aber in der Fachkreisen inzwischen der eindeutig am stärksten unterstützte Ansatz. Er bietet nicht nur wichtige Erklärungsmuster, sondern bietet auch die dringend notwendige Öffnung des Themas.

Für einen verbesserten theoretischen Background brauchen wir aber auch die richtigen Voraussetzungen. Die Heitmeyerstudie „Deutsche Zustände“ hat in den vergangenen Jahren alamierende Erkenntnisse zur Verbreitung menschenfeindlicher Einstellungsmuster in der Mitte der Gesellschaft geliefert. Nach 10 Jahren läuft dieses Forschungsprojekt 2011 aus. Politik und Wissenschaft sind gut beraten die Voraussetzungen zu schaffen, dass diese wichtige Arbeit auch 2012 fortgesetzt werden kann.

Die demokratische Erneuerung der Gesellschaft

Auch die regelmäßigen Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung belegen, dass das Problem nicht am Rand sondern in der Mitte der Gesellschaft liegt. Besonders bemerkenswert ist deshalb auch die erfragte Einstellung der Deutschen zur Demokratie an sich. Während 93 Prozent der Befragten die Idee der Demokratie befürworten und 74 Prozent diese auch im Grundgesetz verwirklicht sehen, unterstützen nur 46 Prozent (im Osten 32 Prozent) der Befragten die Demokratie wie sie in der Bundesrepublik funktioniert.*2

Der Schluss liegt nahe. Die Antwort auf Demokratiefeindlichkeit und Demokratieskepsis heißt mehr Demokratie. Wir müssen unserer demokratische Gesellschaft noch demokratischer machen. Es geht darum, die gleichberechtigte politische, soziale und kulturelle Teilhabe aller Menschen zu verwirklichen. Dabei passt gerade diese Antwort in die Zeit. Die Notwendigkeit zur Stärkung der Demokratie zeigte sich 2011 auch in ganz anderen politischen Debatten: In der Auseinandersetzung um die demokratische Kontrolle internationaler Finanzmärkte und der lautstarken Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung.

In einer solchen Demokratieoffenive sind die zivilgesellschaftliche Initiativen, Projekte und Netzwerke ein besonders wichtiger Partner. Wer Menschenfeindlichkeit bekämpfen will, muss in unsere Demokratie investieren, deshalb brauchen sie eine langfristige Förderperspektive statt eine Abhängigkeit von politischen Mehrheiten. CDU und FDP scheinen dazu nicht bereit. Deshalb muss die Einrichtung einer Bundesstiftung für demokratische Kultur fester Bestandteil eines erneuten rot-grünen Projekts sein. Beide Parteien haben dies mehr als einmal beschlossen. 2012 werden die ersten Überlegungen für die Wahlprogramme beginnen. Es wird Zeit Realitäten zu schaffen. Das bisschen mehr Demokratie bringt uns auch nicht gleich um.

*1 Textzeile aus dem Song „Das bisschen Toschlag“ der Hamburger Band „Die goldenen Zitronen.
*2 Friedrich-Ebert-Stiftung 2010: Die Mittel in der Krise. Seite 100.

Henning Homann (MdL), 32 Jahre, ist Sprecher für demokratische Kultur und bürgerschaftliches Engagement der SPD-Landtagsfraktion in Sachsen. Er engagiert sich seit über 10 Jahren im Bereich Antirassismus und Demokratieförderung. www.henning-homann.de.
 

Foto: Henning Homann, von Tschung, cc