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Opferberatungsstellen

Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Angriffe zu beraten, sie zu begleiten und zu unterstützen sowie gemeinsam mit ihnen in der Öffentlichkeit und vor Ort zu intervenieren – das sind die Hauptaufgaben der Beratungsprojekte für Opfer rechter Gewalt. 1998 nahm die Opferperspektive in Brandenburg als erstes Opferberatungsprojekt die Arbeit auf – damals noch ehrenamtlich und ohne jegliche Finanzierung.

Das änderte sich nach dem Mord an dem Mosambikaner Alberto Adriano in Dessau im Juni 2000 und dem bis heute unaufgeklärten Bombenanschlag auf jüdische Zuwanderer in Düsseldorf im gleichen Sommer. Seit dem Jahr 2001 fördern das Bundesfamilienministerium und die jeweiligen Bundesländer in den sechs neuen Bundesländern und Berlin Projekte, die Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt beraten und unterstützen. Dass dies nicht ausreicht, schildert Heike Kleffner von der Mobilen Beratung für Opfer rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt:

Konkret steht oft am Beginn einer Unterstützung ein Anruf von Bekannten oder Angehörigen von Betroffenen eines rechten Angriffs, die den Kontakt zu den Opferberatungsprojekten herstellen. Häufig liegt den Unterstützungsfällen aber auch die Auswertung von lokalen, regionalen und überregionalen Medien durch die Projekte zugrunde, oft verbunden mit weiteren Recherchen: Oder es gibt konkrete Anhaltspunkte, wenn Kooperationspartner von einem Angriff vor Ort berichten. Dann folgen beispielsweise ein Besuch im nächstgelegenen Flüchtlingsheim, im örtlichen Jugendclub oder Telefonate mit Polizeibeamten, Jugendämtern oder Krankenhäusern. Beim Erstberatungsgespräch mit den Betroffenen einer politisch rechts oder rassistisch motivierten Gewalttat werden die drängendsten Wünsche der Betroffenen besprochen: Zum Beispiel: Wie kann man eine Anzeige gegen den oder die Angreifer stellen? Welche Konsequenzen kann das haben? Wie verläuft ein Strafverfahren weiter, wenn schon Anzeige erstattet wurde? Auf Wunsch begleiten die BeraterInnen die Betroffenen zur Anzeigenaufnahme oder zur Zeugenvernehmung bei Polizei und Staatsanwaltschaft, organisieren DolemtscherInnen und informieren über die Möglichkeit nach einer Gewalttat als NebenklägerIn in einem Strafverfahren vertreten zu sein.

Kommt es zu einem Gerichtsverfahren gegen den oder die mutmaßlichen Täter, bereiten die BeraterInnen die Betroffenen auf die Situation vor Gericht vor, begleiten sie auf Wunsch auch zum Prozess und stellen Öffentlichkeit für das Gerichtsverfahren her. Neben den Fragen nach rechtlichen Schritten sind es oftmals Fragen der unmittelbaren Alltagsgestaltung, in denen sich Betroffene, aber auch ihre Angehörigen und FreundInnen Begleitung und Unterstützung wünschen: beispielsweise beim Arztbesuch, bei der Suche nach professioneller (psycho-)therapeutischer Hilfe, bei Verhandlungen mit Behörden oder VermieterInnen und bei der Suche nach materieller Unterstützung.

Als unabhängige Monitoring-Organisationen recherchieren und dokumentieren die Opferberatungsprojekte das Ausmaß rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Gewalt, informieren sie die Medien nach rechten Angriffen, organisieren Veranstaltungen, Weiterbildungen oder Ausstellungen und unterstützen Initiativen und Projekte, in denen sich (potenziell) Betroffene rechter Gewalt selbst organisieren. Zielsetzung der Opferberatungsprojekte war es von Anfang an, die Perspektive der Betroffenen rechter Gewalt als einen wesentlichen Bestandteil des gesellschaftlichen Diskurses über Rechtsextremismus zu verankern.

Dies ist sicherlich nur teilweise gelungen. Allerdings ist davon auszugehen, dass die kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit der Projekte mit dafür verantwortlich ist, dass rechte Gewalt als Thema in den Medien überhaupt noch präsent ist, Auch die Sensibilisierung der Sicherheitsbehörden bei der Erfassung politisch rechts motivierter Gewalttaten gehört zu den Kernbereichen. Hier sind die Erfolge lediglich punktuell und in jedem Bundesland unterschiedlich. Generell lautet die Zwischenbilanz, dass immer wiederkehrendes polizeiliches Fehlverhalten nach rechten Angriff en, die nach wie vor erhebliche Diskrepanz zwischen den Statistiken der Opferberatungsprojekte und denen der Sicherheitsbehörden sowie die mancherorts immer noch vorherrschende Ignoranz in der Justiz gegenüber rechten oder rassistischen Tatmotivationen deutlich machen, wie notwendig die Arbeit der Projekte weiterhin ist. Anfragen kommen häufig auch aus dem „Westen“, wo es vergleichbare Einrichtungen immer noch selten gibt.

Aus: Holger Kulick (Hrsg.), MUT-ABC für Zivilcourage. Ein Handbuch gegen Rechtsextremismus. Von Schülern für Schüler, Leipzig 2008.
Bei Direktbestellung HIER für fünf Euro zu erwerben.

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