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Antizionismus

Der Antizionismus gibt vor, im Gegensatz zum Antisemitismus nicht Juden und Jüdinnen zu bekämpfen, sondern den Zionismus, d.h. konkret den Staat Israel und die Israelis. Diese gesonderte Ausrichtung auf Israel trägt der Entwicklung nach 1945 Rechnung:
Nach der Shoah war es weder für bürgerlich-demokratische noch sozialistische Gesellschaften vertretbar, dass der alte Antisemitismus, der Juden und Jüdinnen als rassisch minderwertig oder als „Gegenrasse“ beschrieb, Bestandteil der offiziellen Politik wurde. Ausgehend vor allem von der Sowjetunion, die nach anfänglicher Unterstützung Israels den Antizionismus zur Staatsdoktrin erhoben hatte, wurde der Antizionismus als Antisemitismus in neuen Kleidern nahezu weltweit gesellschaftsfähig. Dass der Antizionismus eine moderne Spielart des Antisemitismus ist, zeigt sich schon alleine dadurch, dass fast alle, z.T. jahrtausendalte antisemitische Ressentiments wieder auftauchen: Beispielsweise wurde früher „den Juden“ vorgeworfen Brunnen zu vergiften, heutzutage wird „den Israelis“ oder „den Zionisten“ vorgeworfen, die Brunnen der Palästinänserinnen und Palästinenser zu vergiften. Ganz einfach machte es sich die Botschaft der UdSSR in Paris: Sie brachte 1972 einen antisemitischen Text von 1906 erneut heraus und ersetzte das Wort „Jude“ stets durch das Wort „Zionist“. Die meisten Antizionistinnen und Antizionisten sind jedoch kreativer.

Des Antisemitismus neue Kleider

Antisemitismus hat sich seit jeher als sehr wandlungs- und lernfähig erwiesen, dies spiegelt sich auch im besonderen Maße in seiner Ausprägung als Antizionismus wieder. Der Antizionismus argumentiert vordergründig, im Gegensatz zum alten Antisemitismus, scheinbar nicht rassistisch, sondern antirassistisch. Er bringt Menschenrechte und antirassistische Einstellungen für sich gegen den Staat Israel in Stellung und vergleicht regelmäßig Israel mit Nazideutschland – dadurch ist er in der Lage breite Gesellschaftsschichten anzusprechen. So gibt der Antizionismus vor, den Staat Israel zu bekämpfen, da dieser per Definition alleine durch seine Existenz als „jüdischer Staat“„rassistisch“ und „nationalistisch“, wenn nicht gar „nationalsozialistisch“ sei und nur durch seine Auflösung oder Vernichtung dieser Rassismus und Nationalismus bekämpft werden könne.

Das vermeintliche Feindbild: der Zionismus

Der Zionismus, gegen den der Antizionismus vorgibt sich zu richten, ist eine Bewegung von Jüdinnen und Juden, die in Reaktion auf zunehmenden Antisemitismus und nationalistische Bewegungen sich als Schutz gegen diese formierte. Ziel war es eine „öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina“ (Herzl) zu errichten, um den Schutz in eigene Hände zu nehmen und sich nicht auf andere Staaten und Mächte verlassen zu müssen, dass diese die Sicherheit und Möglichkeit zur Emanzipation für dort lebende Juden und Jüdinnen gewährleisten. Sowohl die massenhafte Vernichtung von Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus, als auch die Weigerung fast aller Staaten viele fliehende Jüdinnen und Juden aufzunehmen, zeigte wie berechtigt die Befürchtungen waren. Während bis zum Zweiten Weltkrieg die Idee vom Zionismus nie eine Mehrheit unter Jüdinnen und Juden finden konnte, änderte sich dies mit dem deutschen Verbrechen, dem Holocaust. Im Jahr 1948 wurde der Staat Israel gegründet. Fortan äußerte sich der Antisemitismus vermehrt in Form von Antizionismus. Israel wird beispielsweise als „künstlicher“ Staat bezeichnet, der ja nicht wie andere Nationen „natürlich“ gewachsen sei. Angenommen wird damit, dass Nationen schon immer da waren, also eben „natürlich“ seien und nicht einfach so gegründet werden könnte. Dabei sind alle Nationen „künstlich“ und menschengemacht.

Jüdischer Antizionismus

Als Argument, dass Antizionismus nicht antisemitisch sei wird oft von vor allem nichtjüdischen AntizionistInnen darauf verwiesen, dass es auch antizionistische Juden und Jüdinnen gibt. Sehr religiöse Juden und Jüdinnen lehnen den Staat Israel z.B. nicht aus antisemitischen Motiven ab, sondern weil sie glauben, dass erst wenn der Messias wieder auf Erden ist, dieser den Staat Israel ausrufen darf. Es ist jedoch ein wesentlicher Unterschied, ob nichtjüdische Menschen Jüdinnen und Juden das Recht auf einen Staat absprechen oder ob Juden und Jüdinnen darüber streiten.

Antizionistische Gewalt

Dass der Antizionismus in der Regel das gleiche Ziel hat wie der alte Antisemitismus, nämlich den Tod der Jüdinnen und Juden, spiegelt sich weltweit in erschreckender antisemitischer Gewalt im Namen des Antizionismus wider. So wurden in palästinensischen Terrorcamps linksradikale wie neonazistische Gruppen für Terrorakte u.a. gegen jüdische und israelische Einrichtungen in Europa ausgebildet. In Berlin deponierte beispielsweise eine militante linksradikale Gruppierung eine Bombe im dortigen jüdischen Gemeindehaus, die anlässlich der Gedenkfeier zu den Novemberpogromen am 9. November 1969 detonieren sollte. Bei einer Flugzeugentführung 1976 von deutschen und palästinensischen Terroristinnen und Terroristen selektierte der deutsche Terrorist Wilfried Böse in Auschwitzmanier die Geiseln in Juden (80 Israelis sowie rund 20 französische Juden) und Nichtjuden, und wollte nur alle Nichtjuden freilassen.

Antizionismus in Deutschland

In Deutschland übernahmen anfänglich vor allem Linke und Linksradikale diese Ideologie aus der Sowjetunion. Heutzutage hat der Antizionismus, als ehrbare Form des Antisemitismus, jedoch in allen gesellschaftlichen und sozialen Schichten weite Verbreitung gefunden. Der alte Antisemitismus in Deutschland ging teilweise nahtlos in einen Antizionismus über. So bescheinigte die konservative Kolumnistin Marion Gräfin Dönhoff bereits 1948, gerade vier Monate nach der Staatsgründung Israels, in dem Artikel „Völkischer Ordensstaat Israel“, erschienen in der liberalen Wochenzeitung „Die Zeit“, den Israelis sehr weit „auf jenem Wege bereits gelangt [zu sein], der erst vor kurzem ein anderes Volk ins Verhängnis geführt hat“. Allein dieser Satz könnte aus einem Lehrbuch über Antizionismus stammen. Er setzt Israel mit dem nationalsozialistischen Deutschland nahezu gleich, mit dem Ziel Israel zu deligitimieren und deutsche Verbrechen massiv zu verharmlosen. Zudem vollzieht Dönhoff eine Opfer-Täter-Umkehrung: Die Israelis, viele gerade aus den deutschen Todeslagern entkommen, sind nun die TäterInnen und zu schlechter Letzt, wird das „deutsche Volk“ als Opfer dargestellt, da ihm ein eingeschlagener Weg zum Verhängnis geworden ist. Diese Betrachtungsweise des Nahostkonflikts und die von Israel und Deutschland in diesem Kontext findet sich auch nach über 60 Jahren immer wieder in der öffentlichen und veröffentlichen Meinung. Angesicht von Zustimmungsraten von 57 Prozent in der deutschen Bevölkerung zu antisemitischen Äußerungen wie „Israel führt einen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser“ und 38 Prozent zur Aussage: „Bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat“ (Umfrage „Deutsche Zustände“ 2010) wird deutlich, dass Antizionismus ein gesamtgesellschaftliches Phänomen ist.

Von Jan Riebe

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