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Demokratie im ländlichen Raum


Mit der Handreichung „Gemeinsam handeln: Für Demokratie in unserem Gemeinwesen“ ist eine praktische und gut lesbare Publikation erschienen, die Handlungsempfehlungen zum Umgang mit Neonazis im ländlichen Raum bietet.


Von Dierk Borstel


Der ländliche Raum gehört noch immer zu den Leerfeldern der Rechtsextremismusbekämpfung wie der Demokratieentwicklung. Die überwiegende Zahl der Projekte in diesen Feldern findet im städtischen Raum statt und braucht ein Mindestmaß an sozialer Größe der Kommune. Ein Beispiel: In einer Großstadt ist es verhältnismäßig leicht, „Gesicht gegen Neonazis zu zeigen“. Es zählt dort der demonstrative Akt, der oft ohne konkrete Folgen ist. Im Dorf hingegen kennt jedoch jeder jeden. „Gesicht zeigen“ ist dann im schlimmsten Fall ein abwertendes Statement gegen die eigene Tochter, den Vater oder Nachbarn und das hat negative Folgen für das alltägliche Leben.

Andere Öffentlichkeit

Auch die Zivilgesellschaft funktioniert im Dorf anders als in der Stadt. Dörfer kennen keine unabhängige Öffentlichkeit zum Beispiel durch Medien. Dörfer haben stattdessen interne Formen der Öffentlichkeit und der Problemlösung. Es gibt Kommunikationskanäle, die in einer Großstadt gar nicht funktionieren würden. Öffentliche Äußerungen zu kritischen Zuständen im Dorf über die eigene Dorfgesellschaft hinaus führen oft in die gesellschaftliche Isolation vor Ort, da sie als „Nest beschmutzend“ betrachtet werden.

Die Neonazi-Seite wiederum hat eine Strategie entwickelt, die spezifische politische Kultur von Dörfern für sich zu nutzen. Dort zählt der, der anpackt und die, die sich kümmert. In manchen Dörfern spielen Neonazis deshalb den Kümmerer vor Ort und stoßen so in die gesellschaftliche Mitte vor.

Wesentlicher Fortschritt


Was ist also im Dorf und im ländlichen Raum zu tun? Ausgearbeitete Strategien liegen dazu bisher weder aus Wissenschaft noch aus der Praxis vor. Neu auf dem Markt ist jetzt jedoch eine Handreichung mit dem Titel „Gemeinsam handeln: Für Demokratie in unserem Gemeinwesen“, herausgegeben von der Akademie für Sozialpädagogik und Sozialarbeit sowie dem Bundesnetzwerk Bürgergesellschaftliches Engagement. Sie richtet sich an alle Interessierte, die im ländlichen Raum Demokratie fördern oder schützen wollen und bietet einen wesentlichen Fortschritt zu den bisherigen Papieren zum ländlichen Raum: Sie sammelt zahlreiche Situationsbeispiele und gibt leicht verständlich Auskunft über Handlungsmöglichkeiten, Projektideen oder Ansprechpartner für spezielle Probleme. Die Handreichung enthält dazu einen großen Serviceteil mit Adressen, Literatur, Ansprechpartnern und Praxisprojekten. Angenehm ist dabei auch die Zurückhaltung der Autorinnen und Autoren. In zahlreichen Verweisen wird auf bestehende Entwürfe beispielsweise von Gemeindeordnungen hingewiesen und das Rad somit nicht neu erfunden. Der Gewinn der Handreichung liegt in seiner Sammlung, seiner leichten Lesbarkeit und in der Arbeit mit praktischen Beispielen. Die Lesenden bekommen eine Idee davon, was alles geht, wenn man nur will, und das ist gar nicht so wenig.


Akademie für Sozialpädagogik und Sozialarbeit e. V./ BBE (Hrsg.): "Gemeinsam Handeln: Für Demokratie in unserem Gemeinwesen! Handlungsempfehlungen zum Umgang mit Rechtsextremismus im ländlichen Raum", Berlin 2010.


Zu beziehen über: BBE, Michaelkirchstraße 17-18, 10179 Berlin, Tel. 030-62980-110, info@b-b-e.de

Zum Download der Handreichung

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Dr. Dierk Borstel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung sowie ehrenamtlich tätig für den Verein „Community Coaching e. V.“

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