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Das Kino der „Bewältigungsbilder“ – Der Nationalsozialismus im Film

Der Filmjournalistin Sonja M. Schultz gelingt mit ihrem Buch „Der Nationalsozialismus im Film – Von TRIUMPH DES WILLENS bis INGLOURIOUS BASTERDS“ ein Querschnitt durch das Filmwesen der 1930er Jahre bis heute und zeigt auf, wie das heutige NS-Retrokino deutlich kritischer werden kann.

Von Laura Bensow*

Auch mehr als 60 Jahre nach Kapitulation des „Dritten Reichs“ ist das öffentliche Interesse an der Darstellung der deutschen Geschichte ungebrochen: Mittlerweile laufen international fast jährlich Filme in den Kinos an, die an die NS-Vergangenheit erinnern. Längst ist das Medium Film zum „Erinnerungsspeicher“ geworden, Bilder und Filme prägen und formen unsere heutige Erinnerung an den NS. Dass dieser filmische Diskurs des Erinnerns lange tabuisiert war und bis heute noch immer keinen vollständigen Zugang zur Darstellung des NS und seiner Verbrechen gefunden hat, skizziert die Filmjournalistin Sonja M. Schultz in ihrer im Mai 2012 erschienenen Arbeit „Der Nationalsozialismus im Film. Von TRIUMPH DES WILLENS bis INGLOURIOUS BASTERDS“.

Stereotype, Narrative und Chiffren

Sonja M. Schultz gibt in ihrer Arbeit einen umfangreichen Überblick, wie sich Filmschaffende der 1930er Jahre bis heute inhaltlich, ästhetisch und aus welchen politischen Perspektiven mit der Darstellung des NS und seiner Verbrechen auseinandersetzten. Sie untersucht hierfür exemplarisch einzelne Filme verschiedener Genres und verschiedener Epochen, um Tendenzen in der filmischen Entwicklung aufzeigen zu können: Sie veranschaulicht, welchen Aspekten des Nationalsozialismus wie erinnert, was im Film tabuisiert wird. Ihr Buch zeigt deutlich, welche Stereotype, Narrative und Chiffren verwendet werden, um die NS-Herrschaft mit ihren Führern, Tätern und Mitwissern darzustellen. Für ihre Untersuchung traf die Autorin bewusst eine breite Filmauswahl: Untersucht werden sowohl fiktionale wie dokumentarische, öffentlich gezeigte wie unveröffentlichte Filme, als auch Fernsehproduktionen und Kinofilme. Neben dem Fokus auf deutschen Produktionen nimmt sie dabei auch zahlreiche internationale Produktionen in den Blick.

Ein Querschnitt durch das Filmwesen

In der Forschung, allen voran in der Filmwissenschaft, war das Medium Film und seine Darstellung des NS schon mehrfach Gegenstand von Untersuchungen; meist handelten diese aber einzelne Filme ab. Schultz gelingt es mit ihrer Arbeit einen Querschnitt durch das Filmwesen abzubilden und leistet auf diese Weise einen wichtigen Beitrag für die Filmwissenschaft – über nationale Grenzen und einzelne Jahrzehnte hinweg. In ihrer chronologischen Abhandlung zeigt sie nachvollziehbar und anschaulich Tendenzen im Filmwesen auf, ausgewählte Sequenzbilder veranschaulichen ihre filmischen Thesen zur Darstellung des Nationalsozialismus. Dabei setzt Sonja M. Schultz in ihrer Analyse nicht nur filmwissenschaftlich an, sondern nimmt stets auch gesellschaftliche Diskurse in den Blick und stellt damit einen Zusammenhang zwischen der filmischen und realen NS-Erinnerungskultur her: Die zögerliche Aufarbeitung des NS und des Holocausts im Film spiegelte die jeweiligen Zustände und Erinnerungskulturen in den einzelnen Gesellschaften und Nationen wieder, die – nicht nur in Deutschland – von Verdrängung, Entlastungsnarrativen und Opfergruppenmarginalisierung geprägt waren. In diesem Kontext arbeitet sie auch die jeweiligen Staatsideologien und die daraus resultierenden Produktionsbedingungen heraus, die den Kurs der Filme über den NS maßgeblich bestimmten.

Sprache als eine wichtige Komponente der Filmanalyse

Der Leser erhält mit dem Buch „Der Nationalsozialismus im Film. Von TRIUMPH DES WILLENS bis INGLOURIOUS BASTERDS“ einen umfassenden Überblick über das Themenfeld. Diesem quantitativen Ansatz ihrer Arbeit ist es jedoch geschuldet, dass die einzelnen Filmabhandlungen zum Teil nur verkürzt dargestellt werden. Auch bedingt die Fokussierung auf die Analyse der bildlich-symbolischen Ebene der Filme, dass die Filmjournalistin mit der Sprache eine wichtige Komponente der Filmanalyse weitestgehend unberücksichtigt lässt. Die Sprache war bis 1945 ein elementares Werkzeug der NS-Selbstinszenierung. Im literarischen Antisemitismus der Nationalsozialisten wurden jüdische Figuren per se mittels eines fiktiven „Jiddisch“ als „andersartig“ dargestellt. In Schultz‘ Filmanalyse bleibt unbeantwortet, ob die Sprache der Nationalsozialisten in ähnlicher Form im Film nach 1945 weiterbestehen konnte, wie es Schultz anhand diverser NS-Bildnarrative nachgewiesen hat. Bedienten sich Filmschaffende nach 1945 etwa sprachlicher Kontinuitäten, um den NS darzustellen? Gab es im Film Sprachtabus, wie es eben tabuisierte Bilder gab? Und wurde der Holocaust in Wort öfter dargestellt als in Bild? An dieser Stelle müsste eine weitere Analyse ansetzen, die die Sprache des NS-Retrokinos in den Fokus nimmt.

Keine Bewältigung, aber Aufarbeitung

Trotz dieser Verkürzungen gelingt es Sonja Schultz mit ihrer Arbeit einen umfangreichen Überblick über die Bildmotivik der filmischen NS-Erinnerungskultur zu geben – die in ihrer Aufarbeitung des Nationalsozialismus und dessen Funktionsmechanismen gesamtgesehen zu zögerlich ausfiel. Sie formuliert eine breite und nachvollziehbare Kritik an den vielfach produzierten, cineastischen „Bewältigungsbildern“. So wird deutlich, dass die Vergangenheit und mit ihr, die nationalsozialistischen Verbrechen, nicht „bewältigt“, wohl aber aufgearbeitet werden können und vor allem müssen. Schultz zeigt Möglichkeiten auf, wie das heutige NS-Retrokino diesbezüglich deutlich kritischer werden kann. Ästhetisch wie inhaltlich.

Sonja M. Schultz‘ Arbeit „Der Nationalsozialismus im Film. Von TRIUMPH DES WILLENS bis INGLOURIOUS BASTERDS“ erschien im Mai 2012 im Bertz + Fischer Verlag (560 Seiten). Das Buch kann unter http://www.bertz-fischer.de/nationalsozialismusimfilm.html für 29,00 Euro bestellt werden.

Eine ausführliche Auseinandersetzung von Laura Bensow mit dem Buch „Der Nationalsozialismus im Film. Von TRIUMPH DES WILLENS bis INGLOURIOUS BASTERDS“ finden Sie hier.
 
* Laura Bensow ist Kulturwissenschaftlerin und promoviert derzeit an der Universität Lüneburg zum Thema der antisemitischen Indoktrination deutscher Mädchen und Frauen durch ausgewählte NS-Periodika.

Der Nationalsozialismus im Film. Foto vi flickr: Frank Da Silva, cc