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»Eigentlich fühle ich mich hier wohl.« Alltagsrassismus in Potsdam

Die Berichte von sieben PotsdamerInnen zeigen exemplarisch einen Alltag, der in der Regel kaum Beachtung findet: ein Leben, geprägt durch die Ablehnung der eigenen Person aufgrund von Hautfarbe, Herkunft oder Religion. Die damit verbundenen Abwertungen sind zum Teil unterschwellig und subtil.

Im Herbst 2007 wandte sich eine Frau an uns, den Verein Opferperspektive. Sie war auf ihrem Nachhauseweg in Potsdam mit dem Tod bedroht worden und suchte Hilfe. In den sich anschließenden Gesprächen wurde deutlich, dass diese Bedrohung nur die Spitze eines Eisberges darstellt. Die Frau, die aus einem afrikanischen Land nach Deutschland geflohen ist, berichtete uns von zahlreichen Erlebnissen, die sie als herabwürdigend und beleidigend empfand. Einmal hatten ihr Jugendliche am Hauptbahnhof demonstrativ eine Banane entgegengehalten. Obwohl kein Wort gesprochen wurde, wusste sie sofort, was die weißen Männer ihr mitteilen wollten. Umstehende, die die Szene beobachtet haben, werden dies ebenfalls sofort verstanden haben.

Sie ist eine von sieben PotsdamerInnen, die auf den folgenden Seiten berichten, wie sie im Alltag von Mitmenschen beleidigt, herabgewürdigt und nicht für voll genommen werden. Die Gründe: weil sie keine weiße Hautfarbe oder deutsche Herkunft haben, weil sie eine zweite Sprache sprechen oder muslimischen Glaubens sind. Ihre Erfahrungen ergeben ein Bild, das dem der offenen und vielfältigen Stadt, als die sich Potsdam vorstellt, nicht entspricht.

Diese Berichte sind exemplarisch. Das bedeutet nicht, dass sie Ausnahmen darstellen, wie zwei Untersuchungen, die in diesem Jahr erschienen sind, zeigen. Bei der ersten europaweiten Erhebung von Diskriminierungserfahrungen der Europäischen Agentur für Grundrechte gab etwa die Hälfte der in Deutschland befragten MigrantInnen an, dass sie im vergangenen Jahr persönlich von Rassismus betroffen waren. Eine Untersuchung im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes förderte »in nahezu allen Milieus starke, emotional getragene Vorbehalte gegenüber Ausländern und Migranten zutage«, die bis zum »blanken Hass gegenüber den Menschen anderer ethnischer Herkunft« reichten.

Die meisten Menschen, mit denen wir für diese Broschüre sprachen, sehen sich als PotsdamerInnen und leben gern hier – eigentlich. Sie sind es, die am eigenen Leib erfahren, was Rassismus bedeutet und wie allgegenwärtig Diskriminierung ist. Wir wünschen uns, dass ihre Perspektiven helfen, den Blick dafür zu schärfen, wie weit entfernt die Vision einer offenen Stadtgesellschaft noch von der Potsdamer Wirklichkeit ist. Wir hoffen, dass dies jenen, die sich für dieses Ziel einsetzen, Argumente an die Hand gibt und eine Hilfe für ihre Interventionen und Maßnahmen ist.

Die Aufmerksamkeit und Einigkeit gegenüber Neonazis und Rechtsextremen, die von der Stadtverwaltung, Parteien, Verbänden, Migrantenvertretungen und der Antifa gezeigt werden, sind nicht in dieser Form vorhanden, wenn es um Diskriminierung geht. Das hat auch damit zu tun, dass Rassismus und Ausgrenzung, wie die Studie der Antidiskriminierungsstelle eindrucksvoll belegt, keineswegs geächtet sind, sondern von der »bürgerlichen Mitte« der Gesellschaft ausgehen.

 
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»Eigentlich fühle ich mich hier wohl.« Alltagsrassismus in Potsdam