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Bundesweites Informations- und Kompetenzzentrum gegen Neonazis – Kompetenzbündelung durch das Familienministerium?

Bis Ende des Jahres soll das von Kristina Schröder bei dem „Spitzentreffen gegen Rechtsextremismus“ Ende Januar 2012 vorgestellte Bundesweite Informations- und Kompetenzzentrum (BIK) seine Arbeit aufnehmen. Bereits bei diesem Treffen zwischen Innenminister Hans-Peter Friedrich, Familienministerien Kristina Schröder, Vertretern der Religions- und Jugendverbände sowie Initiativen gegen Rechtsextremismus wurde vor allem von den zivilgesellschaftlichen Organisation Skepsis gegenüber einem derartigen Zentrum geäußert. Vertreter der Kirche hatten dagegen das Zentrum begrüßt.
 
Von Anna Brausam    
  
Nach Aufdeckung der NSU-Mordserie wurde nicht nur Kritik über das Versagen der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden laut. Auf dem Spitzentreffen gegen Rechtsextremismus Ende Januar wurde auch darüber debattiert, inwieweit die Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus gestärkt werden kann und wie das Wissen, das zivilgesellschaftliche Organisationen seit mehr als zwei Dekaden erarbeitet und gesammelt haben effektiver an Multiplikatorinnen und Multiplikatoren im Bildungssystem und an die Zivilgesellschaft transferiert werden kann. Das von Familienministerin Kristina Schröder geplante Bundesweites Informations- und Kompetenzzentrum gegen Rechtsextremismus soll nach ihren Vorstellungen diesen defizitären Wissenstransfer ausgleichen.
  
Aufgaben des bundesweiten Kompetenzzentrums
    
Um Klarheit zu bekommen, welche Aufgaben das BIK im Einzelnen übernehmen wird, haben verschiedene Abgeordnete schriftliche Anfragen an die Bundesregierung gestellt. Nach Aussage des Parlamentarischen Staatssekretärs bei der Bundesfamilienministerin, Herman Kues, auf die Anfrage des Grünen Sven-Christian Kindler, versteht sich das Kompetenzzentrum als „eine Plattform zum Transfer methodischer Expertisen, Ansätze und Zugänge vor allen Dingen mit Blick auf die präventiv-pädagogische Arbeit mit rechtsextremistisch orientierten Jugendlichen“. Zu diesem Zweck solle das BIK vorhandenes Wissen aufbereiten und generieren, Kompetenzen stärken, Qualitätsstandards entwickeln, Beratungsarbeit anstoßen und Öffentlichkeit herstellen. Dazu ist die Bündelung von (wissenschaftlichem) Fachwissen, juristisches Wissen und Wissen aus dem Sicherheitsbereich, Kenntnissen zu Didaktik und Methoden in der Bildungsarbeit, zur Entwicklung von Qualitätsstandards, zu den neuen Medien und deren Einsatz in der Präventionsarbeit vor dem Hintergrund der Nutzung durch rechtsextreme Strukturen, Informations- und Aufklärungsarbeit notwendig, so die ergänzende Antwort auf eine schriftliche Anfrage der Linken.
       
Mit anderen Worten: Das Ziel der Einrichtung wird die Evaluation von Projekten gegen Rechtsextremismus sein, um anhand dieser Ergebnisse positive Ansätze gezielt an Multiplikatorinnen und Multiplikatoren und an die Zivilgesellschaft zu transferieren. In der präventiv-pädagogischen Arbeit mit rechtsextremistisch orientierten Jugendlichen gäbe es ausreichend Expertise und aus der Arbeit von Modellprojekten in den letzten fast 20 Jahren vielfältige Erfahrungen. Es bestehe aber nach Ansicht der Familienministerin ein Problem darin, dass dieses Wissen und die umfangreiche Expertise nur unzureichend nutzbar gemacht wird. Deshalb plädiert sie für eine bundesweite Regiestelle für die präventiv-pädagogischen Arbeit gegen Rechtsextremismus. Von dem Zentrum verspricht sich Kristina Schröder eine Optimierung des Informationsflusses und damit einen Mehrwert für Politik und Gesellschaft im Kampf gegen Rechtsextremismus. Gerd Wiegel, Referent der Bundestagsfraktion DIE LINKE für Rechtsextremismus, glaubt nicht an einen „Mehrwert“ dieses Zentrums. „Meiner Meinung nach handelt es sich bei dem Kompetenzzentrum um eine Luftnummer. So kommt es einem vor, als sei es aus der Situation heraus geboren und die Initiatoren wüssten selbst nicht genau, was das sein soll. Ich verspreche mir deshalb keinen realen Effekt von diesem Zentrum. Das Zentrum ist schlicht nur mit einem großen Namen versehen“.
     
Aushöhlung des Subsidiaritätsprinzip?
     
Das Ziel des Kompetenzzentrums, den defizitären Wissens- und Expertisentransfer sowohl zwischen den zivilgesellschaftlichen Organisationen als auch in der Gesellschaft verbessern zu wollen, ist ein Zeichen in die richtige Richtung. Denn mit den Modellprojekten und Beratungsnetzwerken, die sich gegen Rechtsextremismus und andere Formen der Ungleichwertigkeit richten, wird aufgrund der befristeten Laufzeiten und der fehlenden Kofinanzierung keine dauerhafte Auseinandersetzung erreicht. Es gilt also dieses Defizit auszugleichen. Aber verfolgt die Regierung bei der Umsetzung den richtigen Weg? Auf die schriftliche Anfrage von Sven-Christian Kindler, ob es angesichts des Subsidiaritätsprinzips nicht sinnvoller sei, die zwei Millionen Euro, die für die Einrichtung des Kompetenzzentrums eingeplant sind, den Initiativen zur Verfügung zu stellen, um den defizitären Wissenstransfer von selbst auszugleichen, gibt Hermann Kues keine eindeutige Antwort und verweist darauf, dass sich weitere Antworten aus der konkreten Ausgestaltung ergeben werden.
      
Für die Einrichtung des Zentrums wird viel Geld in die Hand genommen, was den Initiativen vor Ort und den Beratungsprojekten fehlt. Der Opferschutz, die fachliche Beratung, die Unterstützung von Innovation in der Projektentwicklung und der Ausbau von zivilgesellschaftlichen Netzwerken bedürfe keiner zusätzlichen staatlichen Koordinierung. Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, bemängelt den Ansatz, den die Bundesregierung mit einem Kompetenzzentrum verfolgt. „Es fehlt vielmehr an finanziellen Ressourcen zum Transfer, zur Qualitätsentwicklung sowie an gesellschaftlichen Austauschmöglichkeiten." Viel wichtiger als das angekündigte Kompetenzzentrum sei „die Stärkung und Unterstützung zivilgesellschaftlichen Engagements“, so Anetta Kahane weiter.
 
Kooperation von BIK und GAR
  
Mit der Einrichtung einer weiteren Behörde gegen Rechtsextremismus stellt sich langsam die Frage, ob die Regierung jedem Ministerium ein Zentrum gegen Rechtsextremismus zur Seite stellen möchte? Erst kürzlich wurde das Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus (GAR) im Bundesinnenministerium eingerichtet. In diesem Zentrum sollen in Zukunft feste Arbeitsgruppen arbeiten, die Erscheinungsformen und Gefährdungspotenziale des Rechtsextremismus näher beleuchten. Aber auch konzeptionelle Arbeiten wie zum Beispiel die Entwicklung neuer Aufklärungs- und Bekämpfungsansätze werden angestrebt. Flankierend zu diesen Arbeitsbereichen des GAR ist die Koordinierte Internetauswertung Rechtsextremismus (KIAR) eingerichtet worden.
   
Sowohl GAR als auch BIK streben dabei eine enge Zusammenarbeit an: Dabei werden, soweit nötig, Informationen aus der Arbeit beider Zentren jeweils ausgetauscht. Bleibt abzuwarten, inwieweit diese Kooperation gelingen wird.

Foto: Michael Panse via flickr, cc