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Verschweigen ist keine Option

Am Donnerstag fand im Berliner Bezirk Lichtenberg ein Pressegespräch mit dem Titel „Kein Treffpunkt für Rechtsextreme im Weitlingkiez!“ statt. Hintergrund sind die sich wieder verstärkenden rechten Umtriebe in diesem Berliner Stadtviertel.

Von Diana Buhe

Unrühmliche Vergangenheit

Bereits zu DDR-Zeiten gab es in den Straßen rund um den Bahnhof- Lichtenberg immer wieder gewalttätige Auseinandersetzungen mit Rechtsradikalen, welche vietnamesische Gastarbeiter oder vermeintlich linke Jugendliche angriffen. Der Weitlingkiez in den angrenzenden Straßen war einer der Haupttreffpunkte der Ostberliner Neonaziszene. Diese Rolle verstärkte sich noch in den frühen 1990er Jahren, in denen es den Rechtsradikalen gelang zwei leerstehende Häuser direkt in der Weitlingstraße zu besetzen. Diese erlangten schnell eine bundesweite Anziehungskraft für die rechte Szene. In einem der besetzten Häuser war die Parteizentrale der „Nationalen Alternative“ untergebracht: Die Partei bekannte sich offen zum NS-Staat und wurde erst nach einigen Jahren verboten. In dieser Zeit waren offen gezeigte Hitlergrüße, Pöbeleien und Schlägereien keine Seltenheit in dem Viertel. Durch die ständigen Übergriffe auf Ausländer und Andersdenkende geriet die Hochburg der Rechten immer wieder in die Schlagzeilen. Erneut starke mediale  Aufmerksamkeit erzielte ein Überfall auf zwei Abgeordnete der damaligen PDS im Mai und November 2006.

Und obwohl der Kiez immer noch unter besonderer Beobachtung durch die Polizei steht, hat sich in den vergangenen Jahren eine Menge getan: zahlreiche Anwohner, Gewerbetreibende und Initiativen haben sich 2008 im Vorfeld eines geplanten NPD- Aufmarschs in einem breiten Bündnis zusammengetan und arbeiten seither eng miteinander gegen rechte Bestrebungen. Dabei planen und bündeln sie gemeinsame Aktionen.

Solidarische Gegenwart

Das Lichtenberger Bündnis für Demokratie und Toleranz hat in den letzten Jahren viele Menschen für das Thema sensibilisiert, zur Mitarbeit animiert und so zur Wandlung des Viertels beigetragen. In diesem Kontext muss man die vielen Anwohner und Nachbarn hervorheben, die einfach keine Lust mehr haben, ihr Wohnviertel den Nazis zu überlassen und sich in diesem Zusammenschluss engagieren. Denn der Bezirk hat eben auch noch ein anderes Gesicht, ein buntes und multikulturelles. Zahlreiche ehemalige vietnamesische Gastarbeiter leben mit ihren Kindern und Familien im Kiez und bereichern das Zusammenleben durch Aktionen wie dem „Vietnamesischem Mondfest“.

Wie sehr sich das Viertel und die Wahrnehmung von Rechtsextremismus gewandelt hat, zeigt auch die Unterstützung nach einem Angriff auf das „Interkulturelle Bildungszentrum“ im Oktober 2011. Nachdem die Schlösser an dem Gebäude verklebt und die Wände mit Hakenkreuzen beschmiert wurden, kam es dank einer Spendenaktion zu einer schnellen finanziellen Hilfe. Dass man sich von solchen Aktionen nicht einschüchtern lassen darf, betont auch der Leiter des Zentrums Frank Großer. „Es ist nicht so, dass das Leben im Weitlingkiez von diesen Leuten geprägt wird. Das lassen wir nicht zu. Der Weitlingkiez ist eine lebendige Gegend mit Leuten aus vielen Ländern, ob Vietnam oder anderswo. Und das wird auch so bleiben“, nachzulesen auf der Internetseite des Bündnisses. Die zivilgesellschaftlichen Aktivitäten sind daher auch auf dauerhafte und nachhaltige Aktionen angelegt.

Rechte Bestrebungen im Kiez- schon wieder?

Der Weitlingkiez steht jedoch vor einer neuer Herausforderung: Über einen Tarnverein haben sich letztes Jahr mehrere bekannte Rechtsextremisten in ein Ladengeschäft in der Lückstraße, unweit der Weitlingstraße, eingemietet. Diese Tatsache ist mehr als erschreckend: rechte Treffpunkte dienen der Szene zum einen als Raum für Kontakte und Austausch, zum anderen geht von ihnen oftmals ein Klima der Angst aus. So zeigt die Statistik vom Register Lichtenberg bereits jetzt, dass rund um die Lückstraße rechtsextreme Parolen und Schmierereien wieder verstärkt im Kiez zu beobachten sind. Auch die Zahl der Pöbeleien, Gewaltandrohungen und Übergriffe nimmt seit Bestehen des rechten Treffpunkts zu. So liegt die Gesamtzahl der Meldungen für das erste Halbjahr 2012 bei 48. Tendenz steigend.
 
Lichtenberg steht vor dem Problem, dass sich der Weitlingkiez wieder als Sammelplatz für gewaltbereite Neonazis etablieren könnte. Denn durch die Eröffnung von Treffpunkten und dem Aufbau einer rechten Infrastruktur, versuchen Rechtsextreme ihren Hegemonialanspruch geltend zu machen – rechte Orte im Kiezleben verankert und etabliert werden. Die Räumlichkeiten werden bereits jetzt regelmäßig von einer großen Gruppe genutzt, so unter anderem für Film- und Partyabende. So versammelten sich zahlreiche rechtsextreme Besucher zu einer Geburtstagsfeier für Adolf Hitler im April diesen Jahres, darunter auch etliche Gäste aus anderen Bundesländern. Ein weiterer Beleg für die bundesweite Vernetzung des Treffpunkts, sind die zahlreichen Naziaufkleber im Umkreis des Ladens, die unter anderem für den Erhalt eines Nazizentrums in Dortmund werben.

Wehret den Anfängen!

Umso wichtiger ist es jetzt, sich diesen Bestrebungen entschlossen entgegenzustellen und den Rechtsextremen nicht das Viertel zu überlassen. Wie das am besten gelingt, über diese Frage kamen heute die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin, der Bezirksbürgermeister Andreas Geisel und Vertreter des Lichtenberger Bündnisses für Demokratie und Toleranz zu einem Pressegespräch zusammen. Nach Erörterung der Umstände und Beschreibung der Situation wurde das weitere Vorgehen diskutiert. Dabei wurde wieder einmal deutlich, wie sehr das Gelingen solcher Bemühungen von einem Zusammenarbeiten von Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft abhängt.

Durch die langjährigen Erfahrungswerte im Bündnis und der aufgeschlossenen Haltung der Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg, sind die Akteure auf einem guten Weg. Neben einer Aufklärungskampagne für die Anwohner durch informierende Faltblätter und Anwohnergespräche, gibt es auch ein direktes solidarisches Signal an den Vermieter der Räumlichkeiten in der Lückstraße. Nachdem dieser erfahren hatte, an wen er seine Räume vermietet hat, sprach er sofort die Kündigung aus, welche jetzt durch eine Räumungsklage vollstreckt werden soll. Dieses Verfahren ist langwierig und kostspielig. Daher hat sich das Bündnis entschlossen, finanzielle Unterstützung zu leisten; vor allem aber geht es um die Solidarität: „Wir möchten dem Vermieter zeigen, dass er nicht alleine ist. Wir stehen an seiner Seite“, sagte der Bürgermeister.

Entscheidend ist doch, die direkten Nachbarn und Anwohner sowie alle Betroffenen rechter Gewalt zu unterstützen und sich solidarisch zu zeigen!

Ob im Weitlingkiez oder in anderen Stadtvierteln ist es wichtig den Nazis keinen Raum zu geben! Deshalb seid dabei und protestiert am Sonntag am Strausberger Platz gegen den Aufmarsch von Pro Deutschland (10 Uhr) und der NPD (12 Uhr). Denn wie Bezirksbürgermeister Geisel beim Pressegespräch so schön sagte: „Wehret den Anfängen!“.

Lichtenbergerinnen und Lichtenberger zeigten ihren rechtsextremen Nachbarn in der Lückstraße, was sie von ihrem Treffpunkt halten! Foto: Mut, c