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So links wie Jesus

 
Seit die drei Rechtsterroristen aus Jena bekannt wurden, ist der Pfarrer Lothar König ein gefragter Experte. Dabei zeigt sein Fall: Wer Neonazis bekämpft, den bekämpft oft der Staat.

 
Von Patrick Bauer, erschienen in NEON – das junge Magazin vom stern / Ausgabe Januar 2012
 
Ist Lothar König ein Linksextremist? Nun: Er sieht aus wie ein obdachloser Karl Marx. Oder wie der liebe Gott in einer anarchischen Phase. Er dreht seine Zigaretten. Er redet gerne vom »System« und ist kein großer Freund davon. Er glaubt daran, dass alle Menschen gleich sind. Er glaubt aber nicht, dass alle gleich behandelt werden. Er mag die Punks, die zu ihm kommen mit ihren Hunden und ihrer Wut, er nennt sie liebevoll »Punkies« und hört ihnen und ihrer Musik zu. Er demonstriert auch noch gegen den letzten Castor-Transport. Und er ist ein  Antifaschist, er hat sich den Neonazis immer in den Weg gestellt, in Jena, wo er der Jugendpfarrer ist, aber auch anderswo. Ja, Lothar König steht politisch ziemlich weit links. Und ja, in seinem Engagement für die jungen Leute in seiner evangelischen Gemeinde und für die Sache, die er für richtig hält, ist er extrem, er nimmt keine Rücksicht auf seine Gesundheit, König diskutiert und trinkt mehr, als er schläft. 
 
Aber macht ihn all das zu einem Staatsfeind? Am 10. August 2011 durchsuchten sächsische Polizisten trotz drohender Verletzung des Seelsorgegeheimnisses die Dienstwohnung von Lothar König in Jena. Der Vorwurf: Landfriedensbruch. Während einer Demonstration gegen den Neonaziaufmarsch in Dresden am 19. Februar 2011 soll König von seinem Lautsprecherwagen zu Gewalt gegen Polizisten aufgerufen haben. Zuvor hatte die Dresdner Staatsanwaltschaft bereits ein anderes Verfahren gegen König eingeleitet, wegen der »Bildung einer kriminellen Vereinigung«. Die »Bild«-Zeitung fragte nach der Razzia: »Wie gefährlich ist dieser Pfarrer wirklich?«
 
Aus dem Spinner ist jetzt ein Experte geworden
 
Jetzt ist Lothar König wieder in den Schlagzeilen. Aber nicht als Linksextremer. Sondern als jemand, der die Rechtsextremen kennt. König, 57 Jahre alt, sitzt im Hinterhof seiner »Jungen Gemeinde«, aus den Lautsprechern an der bunt bemalten Fassade läuft Revolutionsliedgut, und der Pfarrer dreht sich noch eine. »Ich muss aufpassen, dass ich mir nicht zu wichtig vorkomme«, sagt er. Jeden Tag hat er Interviews gegeben, der »Spiegel« war da, die ARD, sogar jemand vom »Guardian« aus London. Seitdem bekannt wurde, dass das aus Jena stammende Neonazitrio, das sich angeblich »Nationalsozialistischer Untergrund« nannte – Beate Zschäpe sowie die beiden verstorbenen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt –, für mindestens zehn Morde verantwortlich ist und sich offenbar nicht nur auf viele gleichgesinnte Unterstützer, sondern auch auf die bestenfalls unfreiwillige Hilfe von Verfassungsschutz und Polizei verlassen konnte, seitdem wollen alle von Lothar König wissen: Wie konnte es so weit kommen? Aus dem Spinner ist ein Experte geworden.
 
Es ist nicht so, dass Lothar König den Menschen in den Kopf schauen kann, aber er war eben dabei, als die Köpfe der meisten heranwachsenden Männer in Jena kahl geschoren waren, 1990 wurde er hier Jugendpfarrer. Rechte Skinheads hatte es schon in der DDR gegeben, nach der Wende wurden es immer mehr. Die Erwachsenen in Jena waren mit sich selbst beschäftigt, jeder versuchte, halbwegs unbeschadet in den Kapitalismus zu kommen, die Lehrer erzählten von einem Tag auf den anderen von Vorbildern, die vorher Feinde gewesen waren. Die Jugendlichen suchten Halt, gerade in den Plattenbausiedlungen von Lobeda am Rande der idyllischen Universitätsstadt, dort, wo die drei »Neonazi-Terroristen« lebten. Lothar König erzählt den Pressevertretern, wie die Rechten die Jugendclubs unterwanderten, wie Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in SS-Uniform im berüchtigten »Winzerclub« auftauchten, dass ihnen kaum jemand Gegenwehr leistete. Wäre Mundlos, das schlaue Professorensöhnchen, zufällig zu ihm in die Gemeinde gekommen, sagt König, wer weiß, ob er je in den Untergrund gegangen wäre, denn Lothar König nimmt jeden ernst und rennt vor Streit nicht weg.
 
Am Anfang dachte König, man müsse mit Neonazis nur reden
 
König dachte am Anfang, man müsse mit den Neonazis wirklich nur reden. Bis sie ab spätestens 1993 ganz Jena tyrannisierten. In die »Junge Gemeinde« flohen damals alle, die sich nicht mehr allein auf die Straße trauten: die Linken, Alternativen, Andersaussehenden. Die Gemeinde wurde regelmäßig angegriffen, ein Wunder, dass Lothar König nur einmal Gewaltopfer wurde, ein Burschenschaftler schlug ihn 1997 in der Fußgängerzone zu Boden. Eine tiefe Narbe ist auf seiner Stirn geblieben. König, der entweder eine Kippe oder sein Handy oder beides in den Händen hält, ruft nun die engsten Mitarbeiter zusammen, er schreit: »Kommt, schnelle Runde!« Dann soll jeder berichten, woran er gerade arbeitet, aber König hat keine Geduld, er ruft »Schneller!«, um dann selbst langatmig zu erklären, Deutschland habe zumindest in Thüringen kurz vor einem rechten Putsch gestanden. »Tschuldigung, jetzt war ich nicht schnell«, sagt er. Alle lachen. Nur eine nicht: Katharina König. Sie kommt gerne zum Punkt, anders als ihr Vater. König, 33 Jahre alt, einzige Tochter von vier Kindern, sitzt für die Linke im Landtag von Thüringen. Was sie von ihrem Vater geerbt hat: das Talent, sich mit allen anzulegen. In ihrer Fraktion ist König eine Außenseiterin. Sie hält die DDR für einen Unrechtsstaat, ist proisraelisch und radikal antifaschistisch, das sind ein paar klare Positionen zu viel. Wie ihr Vater trägt Katharina König eine Narbe, 1993, mit fünfzehn Jahren, wurde sie mit einem Baseballschläger zusammengeschlagen. Danach begann ihr Vater, alles über die rechte Szene in Jena zu dokumentieren, Treffen, Personen, Beziehungen. Diese Spuren der Neonazis füllen viele Aktenordner in seinem chaotischen Büro, die »Junge Gemeinde« veröffentlicht seit Jahren Broschüren über rechte Strukturen. In diesen Tagen wird der Vorrat an den gelben Heftchen knapp. Lothar König hat das gemacht, wofür der Verfassungsschutz eigentlich da sein sollte: Informationen gesammelt. Deswegen kann er den Journalisten den Werdegang der drei Terroristen erklären, ohne sie je persönlich getroffen zu haben. Seine Tochter dagegen wurde von Uwe Mundlos einst fast überfahren, und Beate Zschäpe brach einer Freundin auf dem Weihnachtsmarkt den Fuß. »Ich habe in den letzten Jahren immer wieder an die drei gedacht«, sagt Katharina König, »aber so eine Mordserie hätte ich mir nie vorstellen können.« Sie wird derzeit als Parlamentarierin über Hintergründe informiert, die sie fassungslos machen, sie darf darüber nicht reden – es ist unwahrscheinlich, dass all die politischen Verstrickungen je an die Öffentlichkeit gelangen. Man kann das Gefühl bekommen, nicht der Verfassungsschutz habe die Neonaziszene unterwandert, sondern die Neonazis den Verfassungsschutz.
 
»Auf diesen Triumph hätte ich gerne verzichtet«
 
»Auf uns hat nie jemand gehört«, sagt Katharina König. 1998, im selben Jahr in dem Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt untertauchten, sprengte sich ein szenebekannter Neonazi in Jena-Lobeda in die Luft, er hatte mit Sprengstoff hantiert. Wie zuvor das Terrortrio. Die Königs machten die Ermittler auf den Zusammenhang aufmerksam. Es bestehe bei dem verstorbenen Bombenbastler kein politischer Hintergrund, hieß es damals. Heute weiß man es besser, heute weiß die Öffentlichkeit vieles, was die Königs schon 1998 wussten, als niemand sonst es wissen wollte. »Für mich ist die späte Anerkennung kein Triumph«, sagt Katharina König, oder: »Auf diesen schlimmen Triumph hätte ich gerne verzichtet!«
 
Jena sei heute, so sagt es der SPD-Oberbürgermeister Albrecht Schröter, kein »braunes Nest« mehr, bei der letzten Bundestagswahl erhielt die NPD nur 1,9 Prozent der Stimmen. Aber der Spuk ist nicht vorbei. Erst im Oktober soll ein Punk von Neonazis schwer verletzt worden sein, die Ermittlungen gehen mal wieder schleppend voran. Über Lothar König sagt Schröter, selbst Zielscheibe der Neonazis: »Er geht weite Wege mit den Jugendlichen, damit diese nicht zu weit gehen.« Schröter sagt auch: »Lothar ist bisweilen unbequem, weil er vielen zu laut und zu schrill ist.« König musste sich viele Jahre anhören, er beschmutze mit seinem Anti-Nazi-Protest die Stadt Jena, in den Neunzigerjahren hieß es oft, Rechtsradikalismus sei eben ein soziales Problem, die Neonaziüberfälle Teil von Bandenstreitereien. Und selbst in jüngster Vergangenheit, während ein breites Bündnis in Jena  Naziveranstaltungen verhinderte, galt Lothar König als Bürgerschreck, die Förderungen für seine Gemeinde wurden gekürzt. Erst jetzt, als das Ausmaß des rechten Terrors in Thüringen klar wird, fragt sich auch so mancher Jenaer, ob nicht König der Einzige war, der wirklich niemals weggeschaut hat. Im alten Stadtkern von Jena-Lobeda steht das »braune Haus«, wegen Baumängeln derzeit unbewohnbar, im Garten ist eine Reichsflagge gehisst. Hier verschanzten sich ab 2002 rechte Kameradschaften und die NPD, es wurde gesungen, Propaganda gestreut, und es ist gut vorstellbar, dass Menschen wir Ralf Wohlleben, Ex-NPD-Funktionär und einer der Pächter des Hauses, Kontakt zu den abgetauchten Neonazis hielten. Ende November 2011 wurde Wohlleben festgenommen, der Vorwurf: Beihilfe zu sechs Morden. Früh bildete sich gegen das »braune Haus« eine Anwohnerinitiative. Deren Gründerin sagt: »Uns war das nie geheuer, wenn Lothar König zu Mahnwachen mit seinem Lautsprecherwagen kam. Die Nachbarn hier wollen kein Aufsehen. Aber heute muss ich sagen: Wir alle sollten König dankbar sein.«
 
König sagt, sein Handy werde abgehört, und lässt es an
 
Die Solidarität mit Lothar König war bereits nach der Durchsuchung seiner Wohnung groß. Kameraaufnahmen beweisen, dass König während der Dresdener Demonstration wohl eher deeskalierend wirkte. Den sächsischen Behörden, die nicht zum ersten Mal ein fragwürdiges Verhältnis zu rechtsstaatlichen Prinzipien offenbarten, ging es wohl aber vor allem um die Verfolgung jener »kriminellen Vereinigung« nach Paragraf 129, deren Kopf Lothar König sein soll. Die Vorwürfe sind größtenteils abstrus. Der höchst umstrittene Paragraf 129, der Kritikern zufolge überwiegend gegen linke Aktivisten eingesetzt wird, gilt als »Schnüffelparagraf «, da es nur in den wenigsten Verdachtsfällen überhaupt zur Anklage kommt, er aber den Ermittlern vorher die Möglichkeit gibt, Beschuldigte umfangreich abzuhören. Im Zuge der Demonstration in Dresden hatten die Behörden mehr als 250 000 Mobilfunkanschlüsse angezapft.
 
Am Abend, nach der »Volxküche« und den Veggieburgern, kurz vor dem Konzert einer französischen Punkband, gibt es unter dem Dach der »Jungen Gemeinde« eine Informationsveranstaltung zum Paragrafen 129. Fast alle sind hier von den Ermittlungen betroffen, fast alle waren in Dresden, junge Leute, deren Führungszeugnis und damit Leben dauerhaft beschädigt ist, wenn sie verurteilt werden. Über das Verfahren gegen Lothar König wird bald entschieden. Er sagt, sein Handy werde sicher abgehört, er lässt es trotzdem angeschaltet, denn machte er es aus, hieße es bestimmt, er habe etwas zu verbergen. Über das Verfahren wegen Landfriedensbruchs heißt es aus der Staatsanwaltschaft: dem Pfarrer drohten mindestens Sechs Monate Haft. Das klingt, sagt Lothar König, nach dem Versuch, einen Deal auszuhandeln. Würde er zu mehr als einem Jahr Haft verurteilt, wäre er für die Kirche, die immer hinter ihm stand, nicht mehr tragbar. Kommt König mit einem halben Jahr davon, sind sein Job und seine Gemeinde gerettet. Aber als Gegenleistung müsste König künftig schweigen.
 
Von Linken fühlen sich Polizisten persönlich bedroht
 
König trinkt das ganze Glas Rotwein auf einmal aus und sagt, das alles erinnere ihn an die Stasi, die ihn auch aus dem Verkehr ziehen wollte. Er sitzt mittlerweile im Jenaer Stadtrat, er tut sich sein Leben lang schwer mit den Systemen, die ihn umgeben, aber er ist ein Demokrat. Der Versuch, Lothar Königs Arbeit zu kriminalisieren, zeigt, dass die Behörden nicht nur oft auf dem rechten Auge blind sind, sondern auch auf dem linken besonders scharfsichtig. Mindestens 148 Menschen sind seit der Wende durch rechte Angriffe in Deutschland ums Leben gekommen. Es ist nicht bekannt, dass seit dem Ende der RAF in Deutschland auch nur ein einziger Mensch durch linke Gewalt starb . »Linksextreme« Träume und Überzeugungen können nicht mit rechtsextremen Gewaltexzessen gleichgesetzt werden. Wenn, dann richtet sich linke Gewalt gegen Gegenstände und gegen Polizeibeamte, das gehört natürlich verfolgt, erklärt aber auch, warum die Polizeigewerkschaft nicht müde wird, selbst jetzt, in Zeiten rechten Terrors, vor Linksextremen zu warnen. Von Linken fühlen sich Polizisten eben persönlich bedroht. Selbst die Bundesfamilienministerin Kristina Schröder handelt immer wieder so, als vertrete sie die Totalitarismustheorie »rechtsextrem gleich linksextrem «, noch vor anderthalb Jahren warnte sie davor, linksextreme Gewalt »zu verharmlosen «. Aber ab wann ist man ein Extremist? Wenn man Straßen blockiert, damit Neonazis nicht marschieren können? Die sogenannte »Extremismusklausel« der Bundesfamilienministerin, mit der geförderte Initiativen sich vage zur »freiheitlich demokratischen Grundordnung « bekennen sollen, erschwert auch in Thüringen die Arbeit gegen rechts und stellt alle Aktivisten unter Generalverdacht, wie eine hauptberufliche Ärztin vom »Aktionsnetzwerk gegen Rechtsextremismus Jena« beklagt.
 
Während der Diskussion über den Paragrafen 129 schreit irgendwann »Sepp«, einer von Königs »Punkies«: »Jetzt hört doch mal auf, immer nur über Politik zu reden! Mir geht’s nicht um Politik, ich habe nur Hass auf die Scheißnazis. Drei Freunde von mir sind von Nazis getötet worden! Ich will die einfach nur kaputt kloppen! « König schweigt, was nicht oft passiert, dann sagt er: »Sepp, du wurdest gehört. Wir verstehen dich. Aber nur mit Hass geht es nicht.« Die Leute in der »Jungen Gemeinde« haben nicht viel mit Gott am Hut, aber manchmal verstehen sie, woran König glaubt: Er erklärt ihnen, dass, wenn man so will, schon Jesus linksextrem war. Er sagt ihnen, dass sie nicht resignieren sollen, sondern die Gesellschaft mitgestalten. Wenn Lothar König ein Linksextremist ist, gibt es zu wenige Linksextremisten.
 

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