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Die tödliche Dimension von Rassismus

Am 17. Juli 2013 wird in Kaufbeuren ein Mann aus Kasachstan von einem Neonazi getötet. Die Polizei spricht in ihrer ersten Pressemitteilung an keiner Stelle von einer möglichen rassistischen Motivation hinter der Tat und zeigt damit symptomatisch, dass sich seit der Selbstenttarnung des NSU nicht wirklich etwas geändert hat.

Von Anna Brausam

Es ist Mittwoch, der 17. Juli 2013, kurz vor Mitternacht. In Kaufbeuren findet gerade das Tänzelfest statt. Zum Ende des Fests beginnen mindestens sieben, zum Teil alkoholisierte, Männer im Alter von 22 bis 53 Jahren auf der kleinen Straße hinter dem Zelt drei Spätaussiedler zu provozieren. Sie beleidigen die drei Männer rassistisch. Schließlich attackieren sie sie auch körperlich. Die Angegriffenen setzen sich gegen die rassistischen Schläger erfolgreich zur Wehr, erleiden dabei allerdings leichte Verletzungen. Als sich Security-Kräfte zu der Schlägerei begeben, folgt ihnen eine fünfköpfige Gruppe aus reiner Neugier. Unter ihnen ist der 34-jährige Familienvater aus Kasachstan. Die aus Thüringen stammenden Angreifer beginnen nun auch die dazukommende, unbeteiligte Gruppe zu provozieren. Unvermittelt schlägt der 36-Jährige Thüringer, der Verbindungen in die rechte Szene hat, dem 34 jährigen Kasachen mit einem Fausthieb auf den Kopf. Der Mann bricht bewusstlos zusammen. Trotz Reanimationsversuche vor Ort, stirbt er kurze Zeit später im Krankenhaus.

Nach Recherchen des Antifaschistischen Informations- und Dokumentationsarchivs (a.i.d.a.) arbeiten die mindestens sieben aggressiven Männer derzeit im Auftrag der ostthüringischen Baufirma R. GmbH auf Baustellen in der bayerischen Region. So macht a.i.d.a. darauf aufmerksam: „Beziehungen von Neonazis zu Baufirmen sind kein Einzelfall. Bayerische Neonazis aus den Kreisen des "Freien Netz Süd" betreiben beispielsweise einen Bauhelferverleih. Auch Neonazis aus Thüringen betreiben ein solches Gewerbe mit Einsätzen in Bayern, z. B. ist der mutmaßliche NSU-Unterstützer André K. nach Erkenntnissen der LINKEN-Landtagsabgeordneten Katharina König zusammen mit Neonazis aus Altenburg und Jena derzeit unter dem Namen "Chaosbau 24" und in Zusammenhang mit der Webseite "Bausanierung24" für überregionale Bau- oder Montageaufträge aktiv.“

Hauptverdächtiger ist wegen "rechtsmotivierter Taten" polizeibekannt

Die Polizei nimmt den 36-jährigen Hauptverdächtigen, Falk H., noch auf dem Volksfest fest. Der Angreifer ist der Polizei bereits wegen "rechtsmotivierter Taten" bekannt. Falk H. hat im vergangenen Jahr auf einem Volksfest "Heil Hitler" gerufen und den Arm zum Hitlergruß gereckt. Er kam noch am Freitag vor den Haftrichter wegen des dringenden Verdachts des Totschlags. Der 22-jährige Markus V. wurde wieder freigelassen, da er nicht unmittelbar an der tödlichen Attacke beteiligt gewesen sei. Doch auch bei dem 22-Jährigen ist die rechtsextreme Einstellung augenscheinlich – er sympathisiert offenkundig mit dem NSU: Auf facebook verbreitete er ein Bild von „Pink Panther“ mit einer Pumgun. Katharina König, die Sprecherin für Antifaschismus der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag, äußerte sich zum rechtsextremen Hintergrund der tödlichen Attacke: „Bezeichnend ist, dass einer der beiden Tatverdächtigen innerhalb sozialer Netzwerke die Opfer der NSU-Mordserie verhöhnte und schon vor Monaten die Grafik eines ‘Pink Panthers’ mit Maschinengewehr (bzw. Pumgun) verbreitete, um den NSU zu verherrlichen. Dieses Bild kommt ursprünglich aus bayrischen Neonazi-Kreisen.“

Die Unterrichtung der Öffentlichkeit, dass die zwei Hauptverdächtigen aus neonazistischen Kreisen stammen und eine rechtsextreme Motivation der Tat zu vermuten ist, war jedoch nicht der bayerischen Polizei, sondern vielmehr dem Druck von a.i.d.a. aus Bayern zu verdanken. Die Polizei verteidigte ihre Entscheidung aus „ermittlungstaktische Gründen“. Der Mord in Kaufbeuren wirft unweigerlich die Frage auf, was sich seit der Selbstenttarnung des NSU geändert hat. Denn seit der Aufdeckung der rassistisch-motivierten Mordserie an zehn Menschen waren die Lippenbekenntnisse von Seiten der Politik, der Sicherheits- sowie der Strafverfolgungsbehörden groß: Ermittlungspannen sollten aufgearbeitet , Sicherheitsbehörden besser vernetzt und Polizisten stärker für „politisch motivierte Kriminalität rechts“ geschult werden.

Die fehlende Sensibilität ist erschreckend

Und doch zeigt der Tod des 34-jährigen Kasachen durch einen bekannten 36-Jährigen aus der Nazi-Szene auf erschreckende Weise, wie der Alltagsterror der Nazis und die tödliche Dimension von Rassismus auch weiterhin kleingeredet und verharmlost werden. Doch nicht nur in den staatlichen Behörden, nein auch in großen Teilen der Gesellschaft, findet sich diese fehlende Sensibilität im Umgang mit dem Thema Rechtsextremismus und rechte Gewalt: Als die tödliche Attacke beim Tänzelfest in lokalen Medien veröffentlicht wurden, ergoss sich eine Flut an rassistischen Kommentaren auf deren Webseiten.

Anstelle von Anteilnahme für die Angehörigen des Opfers, äußerten nicht wenige Anwohnerinnen und Anwohner ihre Sorge um das geplante Feuerwerk, das möglicherweise wegen der tödlichen rassistischen Attacke abgesagt werde. So schreibt ein User ins Gästebuch der Webseite des Festes: „Lieber Tänzelfestverein, bitte sagt das Feuerwerk NICHT ab! Der schreckliche Todesfall ist schlimm, aber deswegen das Feuerwerk absagen? (…) Es klingt blöd aber es stimmt ‘THE SHOW MUST GO ON!’“.

Auch Katharina König ist schockiert über diesen Mangel an Sensibilität: „Dass nach mehr als 180 Toten rechter Gewalt, trotz der aufgedeckten Morde des NSU und während des laufenden Prozesses in München scheinbar wenig Sensibilisierung in Bezug auf neonazistische Gewalt- und Tötungsdelikte erkennbar ist, ist erschreckend“.

Verharmlosung rechter Gewalt

Nicht nur in Kaufbeuren findet sich eine derartige Verharmlosung rechter Gewalt:

Bad-Neustadt an der Saale: Ein 14-jähriger Deutsch-Türke wird am 5. Juli 2013 von Jugendlichen attackiert, die sich auf ihrem nackten Oberkörper Hakenkreuze und NS-Zeichen gemalt hatten. Das Opfer erleidet dabei einen Nasenbeinbruch, zahlreiche Prellungen und eine Wunde unter dem Auge. Da der brutalen Attacke ein Streit vorausging und sich Täter und Opfer kannten, schließt die Polizei ein rassistisches Motiv aus.

Eisenhüttenstadt: Unbekannte Täter haben in der Nacht zum 12. Juli 2013 in einer Flüchtlingsunterkunft in Eisenhüttenstadt (Oder-Spree) Feuer gelegt. Die Täter haben eine Matratze vor einer verschlossenen Tür eines Unterkunftsraums in Brand gesteckt. Aufgrund der starken Rauchentwicklung erwachen zwei Bewohner. Sie retten sich über ein Baugerüst an der Außenfassade. Bei dem Versuch den Brand zu löschen, erleidet ein Wachschutzmann eine Rauchgasvergiftung. Obwohl Ressentiments bis hin zu offenen rassistischen Anfeindungen gegen Geflüchtete aktuell wieder verstärkt in verschiedenen Städten Deutschlands auftreten, insbesondere dort, wo neue Flüchtlingsunterkünfte entstehen sollen oder bereits existieren, mutet es sehr seltsam an, dass die Kriminalpolizei im Fall Eisenhüttenstadt ein „fremdenfeindlichen Hintergrund“ von vornherein ausschließt.

In Kaufbeuren finden sich jedoch auch Menschen, die die rassistische Tat vom 17. Juli auf dem Tänzelfest nicht verharmlosen wollen. So kamen am Wochenende mehrere hundert Bürgerinnen und Bürger zu einem Gedenkgottesdienst und Schweigemarsch für den Getöteten. Zudem wurde zur Unterstützung der Hinterbliebenen zu einer Spendenaktion aufgerufen.

Auf der bisherigen Grundlage der Informationen im Fall Kaufbeuren hat sich die Amadeu Antonio Stiftung dazu entschieden, den 34-jährigen Familienvater, der eine Ehefrau sowie die sechs und zehn Jahre alten Kinder hinterlässt, in die Liste der Todesopfer rechter Gewalt aufzunehmen. Da die Polizei nun auch die Möglichkeit einer rechtsextrem motivierten Tat näher prüfen wird, bleibt abzuwarten, welche Ergebnisse sich bei den weiteren polizeilichen Ermittlungen ergeben werden.
 

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