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Die Ignoranz. Das Weghören. Und das Wegsehen III

In den kommenden Wochen werden wir uns bei MUT GEGEN RECHTE GEWALT mit Alltagsrassismus beschäftigen. Dafür stellen wir euch in einer Serie Erlebnisberichte von Menschen vor, die von Alltagsrassismus betroffen sind. Hier kommt der dritte Teil:

Von Vanessa Vu // zuerst erschienen auf jetzt.de

Als ich vor ein paar Jahren von der Haltestelle zu meiner damaligen FH ging, musste ich über eine Brücke gehen. Plötzlich traf mich etwas Feuchtes: Ein Skinhead hatte mich angespuckt. Das war entmenschlichend. Man hatte mich nicht mal angeredet, sondern bespuckt. Wie ein Tier. Paradoxerweise hatte ich am selben Tag ein Seminar, in der mein Prof noch laut posaunte, dass es keinen Rassismus in Deutschland gebe. Ich wurde angespuckt, bedroht, und der Typ sagte mir, es gebe keinen Rassismus! Er relativierte und entwertete meine Meinung mit Verweis darauf, dass es in anderen Ländern wie den USA viel schlimmer sei.

Ich wuchs in einem Plattenbau in Westberlin auf, gleich an der Mauer. Weil wir im achten Stock wohnten, konnte ich sogar rüber sehen. Nach dem Mauerfall kam der ganze Rechtsdruck, der von der Jugend der ehemaligen DDR ausging und auch unsere Jugendlichen erfasste. Bei uns im Nebenhaus wurden Neonazis rekrutiert und wir waren plötzlich Nachbarn von Skinheads, die auch Hunde hatten. Ich ging nach der Wende aus Angst immer um den ganzen Block herum nach Hause, und ich habe mir auch immer genau überlegt, ob ich in der Dunkelheit noch das Haus verlassen soll. Das war täglicher Terror. Meine Mutter, eine Weiße, wurde regelmäßig dafür beschimpft, Schwarze Kinder zu haben. Doch Rassismus gibt es nicht nur in der rechten Szene.

Rückblickend ist es erschreckend, mit welchen Kinder- und Schulbüchern wir aufgewachsen sind: Man denke nur an Tim im Kongo, die zehn kleinen Negerlein oder Pippi Langstrumpf. In meinem Geschichtsbuch der 5. Klasse, daran erinnere ich mich genau, ging es um Ägypter. Sie wurden als Weiße illustriert, die schwarze Nubier versklavt hatten. Sogar das N-Wort kam darin vor. Als ich dagegen protestierte, wurde meine Lehrerin wütend. Für sie waren die Abbildungen Fakten und ich ein unerwünschter Störenfried. Das ist sinnbildlich: Deutschland wehrt sich, seinen eigenen Bürgern zuzuhören und die koloniale Realität anzuerkennen. Stattdessen wird ein sehr dominantes Selbst- und Fremdbild konstruiert. Deutschland war noch nie rein weiß. Ich habe eine Bekannte, die in der vierten Generation hier ist. Ihre Schwarzen Großeltern haben die NS Zeit überlebt.

Zuletzt erlebte ich die Abwehrhaltungen bei meinen Bestrebungen 2007 bis 2009, als Mitglied der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) mit anderen Aktivistinnen und Aktivisten in einer Straßeninitiative das Gröbenufer umzubenennen, das nach dem Gründer der deutschen Kolonie in Ghana benannt war und der wesentlich am transatlantischen Sklavenhandel und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Ort beteiligt war. Heute ist das Ufer nach der Antirassistin und Dichterin May Ayim umbenannt.

Mittlerweile habe ich eine kleine Tochter. Meine Frau und ich achten sehr darauf, dass es in unserem Haushalt keine rassistische Literatur gibt und sie sich trotz struktureller Nachteile entfalten und eine gute Bildung genießen kann. Noch versteht sie nicht was Rassismus ist, denn es fällt auf uns zurück. Zum Beispiel bekommen wir auch von Unbekannten auf der Straße "Komplimente" dafür, dass das Mädchen Glück hat, trotz zweier Schwarzer Eltern helle Augen zu haben, als wäre das ein evolutionärer Fortschritt.

Als Vater tut es mir besonders weh, mit der Zeit ansehen zu müssen, wie Vorurteile an sie herantreten. Schwarze gelten im Kindesalter nämlich noch als besonders niedlich, später aber werden sie übertrieben sexualisiert oder gelten als gefährlich und potenziell kriminell. Ich werde zum Beispiel ständig auf der Straße nach meinen Papieren kontrolliert, und nach dem Anschlag auf das World Tade Center durften alle People of Color „aus Sicherheitsgründen“ keine Öffentlichen Gebäude mehr betreten. Das macht überhaupt keinen Sinn und ist demütigend. Ich sage ja immer: Rassismus hat System, aber keine Logik.

Dennoch sind die Erfahrungen zu schade, um sich nur selbst zu bemitleiden und in sich hineinzufressen. Viele leisten täglich Widerstand, und das auch auf ziemlich kreative Weise. Ich habe erst kürzlich eine Webseite crowdsourcing resistance gegründet, wo ernste, lustige, aber immer sehr befreiende Erfahrungen mit dem alltäglichen Widerstand geteilt werden können.

Kwesi, 32, promoviert in Politik
 
 

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