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Dessau: Eine Gruppe von Neonazis und die Hilflosigkeit einer Stadt

Bisher war Dessau eine kleine beschauliche Stadt in der anhaltinischen Landschaft. Seit gut drei Wochen jedoch kommt die 86.000-Einwohner aus den Schlagzeilen nicht mehr heraus. Exzessive Polizeigewalt auf der Oury Jalloh Gedenkdemo, Neonazis die sich unter nicht-rechte Demonstrierende mischen und die Ankündigung einer Neonazidemo am 10. März in der Innenstadt lassen Dessau nicht zur Ruhe kommen.

Von Fabian Sieber

Als etwa 250 Menschen an den Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh aus Sierra Leone erinnerten, der 2005 in einer Dessauer Polizeizelle ums Leben kam, wurden mehrere Demonstrierende zum Teil schwer verletzt. Nicht durch Neonazis, sondern durch einen Polizeieinsatz. Die BeamtInnen wollten ein Transparent mit der Aufschrift „Oury Jalloh- Das war Mord!“ sicherstellen und gingen dabei mit übertriebener Brutalität vor. Das dieser Ausspruch nach einem Urteil des Naumburger Oberverwaltungsgerichtes von 2006 durch die Meinungsfreiheit gedeckt ist, war den BeamtInnen offenbar egal. Sogar der sachsen-anhaltinische Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) fühlte sich nach diesen Vorfällen dazu genötigt, in einem Rundschreiben an alle PolizistInnen klarzumachen, dass auch sie sich an die Gesetze halten müssten.
 
Messerstecherei hilft den Neonazis

Während die Vorfälle noch die Medien beschäftigten, kam es zu einer Auseinandersetzung am 16. Januar vor einer Fast-Food-Filiale in der Innenstadt. Ein Jugendtrainer des ASG Vorwärts Dessau war mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt worden, als er in einen Streit eingreifen wollte. Der mutmaßliche Täter ist ein Asylbewerber afrikanischer Herkunft. Und so fließt wieder Wasser auf die Mühlen der Neonazis. Bei einer spontanen Mahnwache am Abend, waren gleich mehrere Duzend Neonazis der Kameradschaftsszene aus ganz Sachsen-Anhalt mit dabei. An der Mahnwache beteiligten sich auch viele Bürgerinnen und Bürger, die nichts mit Neonazis zu tun haben wollen. Jedoch dröhnten nach Augenzeugenberichten Parolen wie „Deutschland den Deutschen! Ausländer raus!“ aus der Demonstration heraus. Der Anmelder der Demonstration, Ralf P., ist wegen zweifacher Körperverletzung verurteilt und polizeibekannt. Bei einer seiner früheren Gewalttaten sollen Sprüche wie „Scheiß Zecken-Club“ gefallen sein.

Nur wenige Tage später, am Samstagabend (21.1.) in der Dessauer Innenstadt: Vierhundert Personen laufen auf einer Demonstration gegen Gewalt, Anlass ist wieder der Messerangriff auf den Jugendtrainer des ASG Vorwärts Dessau. Der Neonazi Ronny Z. meldete diese zweite Demonstration an. Auch er ist wegen zweifacher schwerer Körperverletzung vorbestraft. Damals hetzte er mit Kameraden einen Kampfhund auf zwei alternative Jugendliche und schlug auch selber zu. Die Opfer wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt.

70 Neonazis aus Sachsen-Anhalt, verschiedene Personen aus dem Umfeld des ASG Vorwärts Dessau (obwohl der Verein sich schon im Vorfeld von der Demonstration distanziert hatte), nicht-rechte Bürgerinnen und Bürger und viele Jugendliche aus verschiedenen Vereinen demonstrierten an diesem Abend gemeinsam „gegen Gewalt“. Die Jugendlichen wollten vor allem gegen die Verletzung des Jugendtrainers demonstrieren. Dass sie auf einer Demonstration, angemeldet von einem Neonazi, waren, wussten sie nicht.

Zu der Demonstration mobilisierte im Wesentlichen die Facebookgruppe „STEH AUF“, die sich gründete, um die Messerattacke des Senegalesen gegen den Trainer zu thematisieren. In der Gruppe gab es durchaus kontroverse Diskussionen, jedoch sehr oft auch rassistische Beiträge. Inzwischen ist die Seite gelöscht.
 
Ratlosigkeit in der Stadt

Zeitgleich zur Demonstration fand im Dessauer Einkaufszentrum eine Veranstaltung des Kurt-Weill-Festes statt. Kurt Weill war ein aus Dessau stammender jüdischer Komponist, der nach der Machtergreifung der Nazis in die USA floh. Vorher schrieb er unter anderem die Musik für die „Dreigroschenoper“ Bertolt Brechts. Ein Mob von ca. 30 Neonazis tauchte plötzlich im Einkaufszentrum auf und störte die Veranstaltung. Sie skandierten Parolen wie „Hier marschiert der nationale Widerstand“ und erneut „Deutschland den Deutschen“. Die Polizei griff ein und verwies die Neonazis aus dem Einkaufszentrum.

Das Opfer der Messerattacke hat sich indes von der Mobilisierung zu den Demonstrationen distanziert. Auch der ASG Vorwärts warnte davor, das einige versuchten den Angriff auf den 29-Jährigen „rassistisch zu instrumentalisieren“.

Fanszene und sogar Spieler des ASG waren in der Vergangenheit schon häufiger wegen ihrer Nähe zur rechtsextremen Szene negativ aufgefallen. Bisher versäumte es der Verein, sich von diesem Milieu zu distanzieren. So war zum Beispiel auch Robert Z. lange Zeit Jugendtrainer beim Verein. Z. ist eine der Schlüsselfiguren der rechtsradikalen Szene in und um Dessau. Das Magdeburger Innenministerium bestätigte zudem, dass mehrere Mitglieder des Vereines dem rechten Spektrum zuzuordnen seien.

Neonazi-Aufmarsch am 10. März
 
Die Stadtoberen scheinen derweil ratlos, was sie gegen die Neonazis tun sollen. Anlässlich der Demonstration am 21. Januar riet der Oberbürgermeister der Stadt, Klemens Koschig, den Bürgerinnen und Bürgern, sich nicht an den Protesten zu beteiligen. Die Neonazis sollten seiner Ansicht nach vor verschlossenen Fenstern durch die Stadt ziehen. Dass diese Strategie richtig war, glaubte er noch, als die 50 Neonazis die Kurt-Weill-Veranstaltung störten. Schließich habe es keine Gewalt gegeben. Aber ist das ein Fortschritt, wenn ein Oberbürgermeister schon froh ist, dass es nicht zu Gewalttätigkeiten kommt? Diesen Fehler hat Koschig inzwischen eingesehen und ruft zum 10. März zu Demonstrationen gegen den Neonaziaufmarsch auf.

Für den 10. März haben Neonazis einen Aufmarsch, anlässlich der Bombardierung der Stadt 1945, angekündigt. Das Bündnis „gelebte Demokratie“ hat bereits zu Gegenprotesten aufgerufen. Gemeinsam soll auf friedliche Art und Weise gegen die Instrumentalisierung der Bombardierung durch die Neonazis demonstriert werden. Anders als in den letzten Jahren, soll die Gegendemonstration raum- und zeitnah zum Neonaziaufmarsch stattfinden.

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Plakat zu einer früheren Oury Jalloh Gedenkdemonstration, Foto: Björn Kietzmann, cc