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Bürgerpreis ohne Bürger


Sachsens Landesregierung zieht sich vom Sächsischen Demokratieförderpreis zurück und ruft einen „Bürgerpreis“ ins Leben. Bürger sind daran nicht beteiligt. Der Schritt ist Ausdruck tiefen Misstrauens gegen engagierte Demokraten.


Von Michael Kraske

Preise für bürgerschaftliches Engagement verfolgen ganz verschiedene Intentionen: Sie können Bürger darin bestärken, sich für die Demokratie einzusetzen. Die Mächtigen sonnen sich gern an der Seite vorbildlicher Persönlichkeiten. Demokratiepreise sind immer auch PR. Bestenfalls zeigen sie jedoch gesellschaftliche Probleme auf, indem sie kritische Akteure auszeichnen, die da für Demokratie eintreten, wo sie bedroht ist. Dafür steht der Sächsische Demokratieförderpreis.

Im vergangenen Jahr verweigerte der Verein Akubiz aus Pirna die Annahme, weil es die Mitglieder ablehnten, die umstrittene Extremismus-Klausel zu unterschreiben. Die beinahe Geehrten machten auf drastische Weise auf ein Paradoxon aufmerksam: Einerseits hatten sie durch ihr Eintreten für kulturelle Vielfalt und Toleranz den Nachweis geliefert, vorbildliche und sogar preiswürdige Demokraten zu sein. Sonst hätte die unabhängige Jury sie schließlich nicht ausgewählt. Andererseits sollten sie per Unterschrift erklären, keine Extremisten zu sein. Die Preisverleihung geriet zur Farce. Statt positiver PR für Ministerpräsident Tillich (CDU), der den Sonderpreis auslobte, entbrannte erbitterter Streit.

Jetzt haben sich die CDU-geführte Landesregierung sowie die Stiftungen der Frauenkirche und der Dresdner Bank vom Sächsischen Demokratieförderpreis zurückgezogen. Stattdessen verleihen sie am 20. Oktober erstmals den „Sächsischen Bürgerpreis“. Die Amadeu Antonio Stiftung wird dagegen im November erneut den Demokratieförderpreis verleihen, unterstützt durch die Freudenberg und die Sebastian Cobler Stiftung. Statt einem gibt es also künftig zwei Preise für gute Bürger in Sachsen. Mit gesteigerter Wertschätzung für mutige Demokraten hat das nichts zu tun.

Die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, Anetta Kahane, wirft der Landesregierung vor, den Kampf gegen Rechtsextremismus zu scwächen: „Der Freistaat stellt ein geschlossenes Signal gegen Rechtsextremismus in Frage.“

Der Demokratieförderpreis hat mit der Wahl seiner Preisträger immer auch auf die gefährlichste Bedrohung für die Demokratie in Sachsen aufmerksam gemacht: Rechtsextremismus und die Macht, die Neonazis in vielen Städten bereits erobert haben. Das vor drei Jahren ausgezeichnete Treibhaus in Döbeln muss sich seit Jahren den Angriffen von Neonazi-Kameradschaften erwehren. Es gab einen brutalen Überfall von Vermummten und eine Brandstiftung. Das Akubiz in Pirna, das den Preis ablehnte, organisiert seit Jahren den Widerstand gegen eine braune Jugendkultur, die auch nach dem Verbot der Skinheads Sächsische Schweiz in der Region stark ist. Für die Mitglieder dieser und anderer Vereine ist das Eintreten für Demokratie und gegen Neonazismus eine gefährliche Sache. Viele von ihnen wurden von rechten Schlägern schon gejagt, bedroht und geschlagen. Ihre Vereinsheime sehen oft aus wie verbarrikadierte Bunker. Zerstörte Fensterscheiben sind Normalität, Körperverletzungen auch. In den Städten gelten die Engagierten oftmals als Nestbeschmutzer und Provokateure. So war es bisher eine bedeutende symbolische Geste, dass der Ministerpräsident diejenigen als Vorbilder adelte, die trotz rechter Gewalt und Ausgrenzung durch die Stadtoberen demokratische Prinzipien verteidigten und bunte Bausteine in wenig pluralistische Stadtstrukturen setzten.

Beim neuen „Sächsischen Bürgerpreis“ werden diese unbequemen Demokraten außen vor bleiben. Denn Vorschläge dürfen nur noch Bürgermeister und Landräte abgeben. „Es ist den Stiftern ein besonderes Anliegen, diejenigen vor Ort einzubinden, die am besten darüber informiert sind, wer eine auszeichnungswürdige Arbeit leistet“, begründet eine Sprecherin der Staatskanzlei. Doch sind es oftmals gerade die Bürgermeister, die die Arbeit der Demokratievereine nicht als wichtige Bürgerbeteilung fördern, sondern als Angriff auf die sehnlichst erwünschte Ruhe im Ort diskreditieren. Beispiel Mügeln: Der dortige Verein Vive le Courage wurde zwar für den Demokratieförderpreis nominiert, aber der langjährige Bürgermeister Gotthard Deuse (FDP) versagte den jungen Leuten auch dann noch jede Unterstützung, als Mitglieder zusammen geschlagen wurden und das Vereinsheim mehrfach von Neonazis angegriffen wurde. Undenkbar, dass ein Bürgermeister wie Deuse die vermeintlichen Unruhestifter für einen Preis nominieren würde. Es gibt viele Mügelns.

Die Landesregierung hat mit dem Vorschlagrecht für den neuen Preis einen obrigkeitsstaatlichen Filter eingebaut: Wer ein guter Demokrat ist, wird künftig von oben festgelegt. Pikanterweise wird nunmehr darauf verzichtet, den Nominierten die umstrittene Demokratieerklärung abzuverlangen. „Die Unterzeichnung ist nicht mehr notwendig“, so die Sprecherin der Staatskanzlei, „weil von vorneherein nur jene ausgezeichnet werden, deren Engagement erfolgreich zur Stärkung der Demokratie beigetragen hat und die sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen.“ Im Umkehrschluss heißt das: Die Nominierung zum Demokratieförderpreis ist offenbar kein Beweis für demokratisches Handeln. Um nicht unter Extremismusverdacht zu fallen, braucht es Absolution von oben.

Die Konstruktion des neuen Bürgerpreises zeugt von einem tiefen Misstrauen gegenüber dem Engagement der Zivilgesellschaft. So sind nicht etwa alle beteiligten Auslober für die Zusammensetzung der Jury verantwortlich, sondern die hat Ministerpräsident Tillich im Alleingang zusammen gesetzt. Der Sächsische Bürgerpreis ist Chefsache. „Es ist schwierig, etwas Bürgerpreis zu nennen, wo gar keine Bürger beteiligt sind“, sagt Anetta Kahane, „die Obrigkeit schlägt vor und wählt aus. Das ist eine Ehrung von Staatsgnaden.“ Die Ausschreibung legt nahe, dass die Landesregierung nicht nur auf Kontrolle setzt, sondern auch auf eine andere inhaltliche Ausrichtung: weg von der konkreten Auseinandersetzung mit dem gravierenden Problem Rechtsextremismus. Hin zu einem allgemeinen Preis für jede Art von Engagement „für die Gesellschaft und die demokratische Kultur in Sachsen und für Toleranz und Frieden“. Interessant wird nicht nur sein, wer aufgrund dieser sehr allgemeinen Formel geehrt wird, sondern auch wer nicht.

Die Staatskanzlei räumt ein, dass der Ausstieg aus dem Demokratieförderpreis die Reaktion auf den Eklat um die Extremismusklausel ist. „Das vergangene Jahr hat uns gezeigt, dass eine Neuausrichtung notwendig ist“, heißt es lapidar. Der inhaltliche Streit endet mit einem Bruch. Für die Auseinandersetzung mit den rechten Feinden der Demokratie ist das fatal, aber es legt wenigstens offen, dass ein Grundkonsens über die Aufgaben der der Bürgergesellschaft in Sachsen nicht existiert. So werden die drei Stiftungen des Demokratiepreises weiterhin Vereine und Schulen auszeichnen, „die sich gegen Rassismus, Antisemitismus oder Rechtsextremismus und für Menschenrechte und eine Stärkung der demokratischen Kultur einsetzen“. Auf die Unterstützung durch die Mächtigen in Dresden müssen sie künftig verzichten. Anetta Kahane bedauert zudem den Ausstieg der Dresdner Bank Stiftung. Die habe aufgrund ihrer Vergangenheit im Nationalsozialismus eine besondere Verantwortung, sich gegen neue rechtsextreme Tendenzen zu engagieren.

Die Preisteilung ist ein weiterer Ausdruck für die Entfremdung zwischen der CDU-geführten Landesregierung und Bürgern, die sich in Vereinen und Initiativen gegen Rechtsextremismus engagieren. Die stehen vielerorts mit dem Rücken zur Wand. Die Orte haben verschiedene Namen, heißen Geithain, Mügeln oder Limbach-Oberfrohna. Das Problem ist überall gleich: aggressiver Rechtsextremismus und fehlende Solidarität. Ein Konzept, wie die gewählten Volksvertreter in Rathäusern und im Landtag die isolierten Einzelkämpfer unterstützen können, existiert nicht. Es wäre wichtiger als jede Preispolitik.

Foto: Ministerpräsident Stanislaw Tillich bei der Preisverleihung 2009

 

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Tillich