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Thüringen: Quo Vadis Landesprogramm?


Nach wie vor ist Thüringen das einzige Bundesland ohne eigenes Landesprogramm gegen Rechtsextremismus. Auf ihrer ersten Sitzung beschloss die neue große Koalition endlich ein „Programm für Toleranz, gegen Rechtsextremismus“. Ein Jahr später verzögert sich die Erarbeitung konkreter Inhalte immer noch.


Von Robert Fähmel

Neonazis sind eine feste Größe in Thüringen. Lange Zeit ignorierte die Politik diesen Umstand ebenso wie die Notwendigkeit, ein eigenes Landesprogramm gegen Rechtsextremismus zu erarbeiten. Nachdem die unionsgeführte Landesregierung 2009 einen Entwurf von Linken und SPD ablehnte, konnten sich die Fraktionen des neugewählten Landtags endlich auf die Erarbeitung eines Landesprogrammes verständigen.

Rassismus kein Randproblem


Nach der anfänglichen Euphorie macht sich nun Ernüchterung breit. Das ursprünglich für September 2010 angekündigte Landesprogramm verzögert sich mindestens bis zum Anfang des nächsten Jahres. Einer der Gründe sei die anhaltende inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Extremismusbegriff, so Madeleine Henfling, Landessprecherin der Grünen. Das Beharren auf der Extremismustheorie verdränge die Tatsache, dass Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Thüringen ein Problem der Mitte sei und sich nicht auf einen extremen Rand begrenzen lasse. „Es fehlt ein klares Bekenntnis der Landesregierung, dass Rechtsextremismus in Thüringen ein Problem ist“, so Henfling. Ein Programm, „das auch antifaschistisches und zivilgesellschaftliches Engagement unter Verdacht stellt, ist kontraproduktiv“, bemängelt die Thüringenvernetzung von Bündnissen und Initiativen gegen Rechts. Auch Peter Metz von der SPD kann nicht verstehen, warum die CDU-Fraktion auf dem Begriff des Linksextremismus im Landesprogramm beharrt. Doch selbst wenn dieser am Ende auftauche, „ändert dies nichts an der strukturellen Vergabe der Mittel für Projekte gegen Rechtsextremismus“, so Metz.

Wer darf mitmachen?

Nach zahlreichen Übergriffen und dem Fest der Völker 2009 forderte der SPD-Fraktionsvorsitzende Christoph Matschie den „Schulterschluss der Demokraten“. Die Zusammensetzung der Arbeitsgruppe zur Erarbeitung des Landesprogramms zeigt jedoch ein anderes Bild. So berief die ursprüngliche Arbeitsgruppe eine weitere kleinere ein, in der neben kommunalen und Ministeriumsvertreterinnen und -vertretern nur noch religiöse Verbände, DGB und nicht zuletzt der Verfassungsschutz sitzen. „Der Erarbeitungsprozess ist intransparent“, fasst es Madeleine Henfling zusammen „niemand weiß, wer welche Inhalte formuliert.“

„Die Bürgerbündnisse mussten sich an den Tisch kämpfen“, berichtet Luise Zimmermann vom Aktionsnetzwerk gegen Rechtsextremismus Jena. Erst nach hartnäckigem Nachfragen wurde sie stellvertretend für die Thüringenvernetzung zum zweiten Treffen der „großen Gruppe“ eingeladen. Inzwischen durfte eine Arbeitsgruppe der Thüringenvernetzung einen eigenen Vorschlag für das Kapitel 4.1 des Entwurfs einreichen. Bisher blieb jedoch sogar die Eingangsbestätigung aus. Peter Metz von der SPD-Fraktion betont: „Auch wir sind mit zivilgesellschaftlichen Akteuren im Dialog und bringen deren Position in das Landesprogramm mit ein.“

Kein Geld für die Zivilgesellschaft?


Bemängelt wird von den Bürgerbündnissen vor allem der Entwurf des Punktes 4.1 im Landesprogramm, der die Förderung von zivilgesellschaftlichem Engagement betrifft. Der derzeitige Stand sieht vor, an das Konzept der „Lokalen Aktionspläne“ (LAP) anzuknüpfen. LAPs sind vor Ort geplante und durchgeführte Projekte, die in kommunaler Verantwortung durch ein Bundesprogramm gefördert werden. Der derzeitige Entwurf des Landesprogramms knüpft an diese Organisationsstruktur an und zielt auf eine Beiförderung durch Mittel des Landes ab. „Die Orientierung an Bundesprogrammen kaschiert nur unzureichend die eigene Konzeptionslosigkeit“, meint Luise Zimmermann. Die bereitgestellten Mittel würden durch die enge Bindung an kommunale Verantwortung ineffizient eingesetzt.

Keine Verstaatlichung der Zivilgesellschaft


In ihrem eigenen Entwurf für Punkt 4.1 setzt die Thüringenvernetzung auf sogenannte „Regionale Aktionspläne“ (RAP). Die RAPs sollen die Zusammenarbeit lokaler Akteure unterstützen, um Erfahrungswerte auszutauschen und regionale Kooperationen zu schaffen. Unterstützt durch mobile Beratung sollen Verantwortungsgemeinschaften und damit langfristig wirkende Strukturen gebildet werden. Bemängelt werden von der Thüringenvernetzung auch die formalen Hürden, um überhaupt förderfähig zu sein. „Dass zivilgesellschaftliche Akteure in der Regel keine formalen Strukturen haben, muss im Landesprogramm Beachtung finden.“

Peter Metz von der SPD verweist auf das Haushaltsrecht des Landes. Mittel könnten nur an Initiativen mit formalen Strukturen vergeben werden. Dennoch betont er: „Zivilgesellschaftliches Engagement darf nicht verstaatlicht werden, es muss daher eine neue Form der Unterstützung gefunden werden.“ Sein Vorschlag ist ein separater Interventionsfonds, über den auch einzelne Akteure unterstützt werden können.

Politik von oben nach unten


Streitpunkte gibt es auch bei der Vergabehoheit der Mittel. Der bisherige Entwurf sieht die Vergabe durch das Sozialministerium in Zusammenarbeit mit einem Beirat vor. Dieser wird wiederum durch das Ministerium einberufen. Die Thüringenvernetzung fordert eine paritätische Besetzung des Beirats durch zivilgesellschaftliche Akteure. Damit soll die überregionale Kompetenz der RAPs auch in der Vergabe und der Kontrolle der Haushaltsmittel Eingang finden.

Den Erarbeitungsprozess und die fehlende Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteure bezeichnet Luise Zimmermann als „bezeichnend für die Art, in Thüringen Politik zu machen – von oben nach unten“. Angesichts der fehlenden Integration lokaler Initiativen in die Konzeption des Landesprogramms ist fraglich, wie praxisorientiert der Kampf gegen Rechtsextremismus festgeschrieben werden kann. Die Tatsache, dass Thüringen erst so spät mit der Erarbeitung eine Landesprogramms beginnt, könnte auch eine Chance sein. Im Dialog mit erfahrenen und seit Jahren vor Ort aktiven Akteuren könnte eine fundierte und langfristig wirkende Strategie gegen Rechtsextremismus entwickelt werden. Luise Zimmermann:„Rechtsextremismus ist ein Problem und muss von allen angegangen werden.“ Doch solange die Politik die Kompetenz der Bürgerinitiativen nicht in einen landesweiten Aktionsplan integriert und von ihrer alltäglichen Arbeit lernt, wird es wohl bei Lippenbekenntnissen bleiben.

Foto: cervus, via
flickr, cc
 

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