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Projekte vernetzen sich gegen Neonaziübergriffe in Berlin


In Berlin häufen sich Neonaziübergriffe. Schon Ende vergangenen Jahres gab es eine Angriffswelle auf verschiedene Initiativen und kulturelle Einrichtungen in Berlin-Neukölln. Seit Beginn 2010 werden in ganz Berlin nahezu wöchentlich Scheiben eingeschlagen oder bedrohende Graffiti gesprüht. Selbst Morddrohungen wurden verschickt. Doch es formen sich in den einzelnen Kiezen sowie berlinweit engagierte Bündnisse zur Vernetzung und Unterstützung gegen die Angriffe.

Hausprojekte, Kneipen, Vereinsräume, Parteibüros, eine Galerie - seit mehreren Monaten häufen sich in Berlin Neonaziübergriffe auf kulturelle und alternative Projekte. Im Fokus liegen Bezirke, die sonst nicht sofort an Neonazis denken lassen wie Neukölln oder auch der Wedding. Die Fenster der Chile Freundschaftsgesellschaft wurden mehrmals eingeschlagen. Und zwar so oft, dass ihre Versicherung für zukünftige Schäden nicht mehr aufkommen will. Die Rollläden des Grünen Bezirksbüros in Neukölln wurden mit Parolen besprüht, die auf den Neonaziaufmarsch vom 13. Februar Bezug nehmen. Ein Bus ist vor einem Hausprojekt im Wedding angezündet worden. Graffiti wie "C4 for Red" am Stadtteilladen Lunte oder "Game over Antifa" an einem anderen Weddinger Hausprojekt waren zu lesen. Die neueste Tat: an Mitglieder und Bezirksbüros der Partei DIE LINKE wurden Drohbriefe mit dem Text "Euer Leben interessiert uns brennend..." mit einem Streichholz im Umschlag geschickt. Vor allem trifft es Personen, die sich dem Aufruf des Bündnisses „Dresden – Nazifrei!“ angeschlossen haben. Bisher haben sich 20 Personen gemeldet, die einen solchen Brief bekommen haben. Doch es werden mehr: „In mehreren Wellen berichten uns Personen von dem Erhalt des Briefes“, sagt Sebastian Wehrhahn von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin.

Eine neue Qualität?

„Die neonazistische Szene, besonders im Neuköllner Süden, hat eine langjährige, gewalttätige Tradition“, sagt Sebastian Friedmann, Pressesprecher der Autonomen Neuköllner Antifa. „Diese Tatsache fand aber öffentlich lange Zeit wenig Resonanz“. Die Antifagruppe hat eine Chronik der Übergriffe zusammengestellt. Neukölln hat bundesweit Symbolcharakter und gilt, wie auch der nördliche Bezirk Wedding, als „multikulturell“. Viele verbinden das aber lediglich mit sozialen Brennpunkten und erhöhter „Ausländerkriminalität“. Die vielen alternativen und linken Projekte in diesen Bezirken sind jedoch eine Zielscheibe von neonazistischer Gewalt. „Die Neonazipräsenz ist viel massiver geworden“, stellt Carola Scheibe-Köster, Fraktionsmitarbeiterin der Grünen in Neukölln, fest. „Es ist seit einigen Monaten eine Radikalisierung in einigen Teilen der Berliner Neonaziszene zu beobachten“, sagt auch Friedmann. Mehr und mehr finde das Label „Autonome Nationalisten“ Anklang.

Ein Zusammenhang zum 13. Februar in Dresden?

Seit 1990 wurden bundesweit 149 Menschen Todesopfer von rechter und/oder rassistischer Gewalt gezählt. Ein Beispiel, weshalb das Problem des Neonazismus nicht auf den Kontext von „Großereignissen“, wie den jährlichen Aufmarsch von Neonazis in Dresden am 13. Februar, reduziert werden kann. „Dennoch war im Vorfeld des diesjährigen 13. Februars eine augenfällige Häufung von Neonaziattacken zu beobachten“, so Friedmann. Die Aktionen scheinen koordiniert gewesen zu sein: Die Anschläge passierten in der Nacht und es waren viele Projekte und Parteibüros Ziele, die sich dem Aufruf zur Blockade in Dresden angeschlossen hatten. „Den Bezug zu Dresden haben die Neonazis in Sprühereien aber auch selbst hergestellt“, erklärt Friedmann. „dresden 45 – unvergessen“ wurde an das Neuköllner Büro der Grünen gesprüht. Und die Drohbriefe des „Kommando 13. Februar“ sprechen für sich.

Neuköllner Brüche

Die Zählgemeinschaft der SPD, der Grünen und der LINKEN in der Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung zerbrach nun über einer gemeinsamen Positionierung. Zwar sollten in einem einmütigen Papier die Übergriffe verurteilt werden, jedoch herrschten unüberbrückbare Differenzen darüber, ob auch "autonome Gewalt" thematisiert werden sollte. „Wir wollten in der BVV eine Positionierung gegen politische Gewalt schlechthin“, sagte Fritz Felgentreu, Vorsitzender der SPD-Neukölln. „Wir verharmlosen nichts. Aber eine Vermischung von Links- und Rechtsextremismus ist nicht zulässig“, sagt dazu Scheibe-Köster. Die Grünen wollten darum dem gemeinsamen Papier nicht zustimmen. Daraufhin kündigte die SPD die Zählgemeinschaft auf. Angesichts der Massivität der Übergriffe von Neonazis ein unglückliches politisches Signal. Auch angesichts der zwei NPDler in der Bezirksverordnetenversammlung: Jan Sturm und Thomas Vierk. Stattdessen gibt es jetzt einzelne Interventionen. Die Grünen luden am vergangenen Donnerstag abend zu einem Nachbarschaftsgespräch mit den Neuköllner Projekten ein, um über ein weiteres Vorgehen zu beraten. Die SPD will ein breites gesellschaftliches Bündnis, das gut vernetzt ist, um bei Neonaziveranstaltungen schnell mobilisieren zu können. „Aber eine Instrumentalisierung seitens gewaltbereiter Autonomer akzeptieren wir nicht“, so Felgentreu. „Politische Gewalt lehnen wir generell ab. Da grenzen wir uns beim Engagement gegen Nazis auch nach links ab“.

Berlinweite Solidarität

Während die Zählgemeinschaft in der Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung zerbricht, organisieren sich die betroffenen Projekte auch selbst. In den einzelnen Bezirken gründen sich Initiativen und Bündnisse, die sich über lokale Neonazistrukturen informieren und sich gegenseitig unterstützen werden. Schließlich müssen kaputte Scheiben auch wieder ersetzt und zusätzlich gesichert werden. Ebenso wird die Nachbarschaft sensibilisiert und über die Anschläge genauer informiert: es gibt Themen-Cafés sowie Flyer auf Türkisch und Deutsch oder auch Straßenfeste. Wichtig ist, dass sich alle verantwortlich fühlen. Es lässt sich an vielen Stellen ansetzen: vom Beseitigen von Neonaziaufklebern, bis hin zum notwendigen Eingreifen wenn Menschen bedroht werden. Darüber hinaus gibt es auch berlinweite Treffen. Gemeinsam positionieren sich die betroffenen Projekte und machen deutlich, dass sie sich die Übergriffe nicht gefallen lassen.

Von Nora Winter
Foto: Marek Peters, c

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