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„Extremismusklausel“: Unterschrift verweigert, und nun?


Die „Extremismusklausel“ ist in aller Munde. Die Förderbescheide sind angekommen und die Projekte diskutieren, ob sie unterschreiben oder nicht. Viele haben sich dagegen entschieden. Doch dann muss die finanzielle Unterstützung woanders herkommen.


Von Rainer Mai

In den vergangenen Monaten haben sich bundesweit viele Projektträger, Intitativen und Begleitausschüsse der Lokalen Aktionspläne (LAP) gegen die „Extremismusklausel“ ausgesprochen. Viele betroffene Vereine mussten auf Grund der Verweigerung der Unterschrift ihre Projekte einstellen oder ihre Arbeit enorm einschränken. Um einen Weg zu finden, auch ohne das Unterschreiben der „Extremismusklausel“ konkrete Projekte verwirklichen zu können und um sich einen Überblick über die aktuelle Situation zu verschaffen, treffen sich betroffene Projektträger im Berliner Rathaus Kreuzberg.

„Extremismusklausel“

Vereine, Stiftungen und Initiativen, die die politische Kultur und die Zivilgesellschaft in Deutschland stärken, indem sie sich gegen Rassismus, Antisemitismus und Neonazis einsetzen, können beim Bundesfamilienministerium Fördergelder beantragen. Um diese Gelder zu erhalten, müssen genau diese Initiativen seit diesem Jahr eine „Extremismusklausel.. Neben dem Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung beinhaltet die Klausel einen zweiten Teil, nach dem die Initiativen versichern müssen, dass auch alle ihre Projektpartnerinnen und -partner das Ziel haben, nützliche Arbeit im Sinne des Grundgesetzes zu leisten. Zu Recht wird besonders dieser Abschnitt der Klausel von Betroffenen als indirekte Aufforderung zur Ausschnüffelung ihrer Partnerinnen und Partner verstanden und deshalb auch abgelehnt. Zudem wird durch dieses Misstrauen die Demokratieförderung blockiert. Die Verweigerung der Unterschrift und die damit verbundene Förderrückweisung haben jedoch schwere Folgen für Initiativen und deren Projekte.

Fortsetzung der Kultur des Verdachts


Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen (VVN- BdA) hat sich, wie viele andere, entschieden, die Klausel nicht zu unterschreiben. „Wir sehen die Klausel als eine Fortsetzung der Kultur des Verdachts“, so Markus Tervooren, Vorstandsmitglied der VVN-BdA Berlin. Durch diese bewusste Entscheidung fehlen der Vereinigung jedoch wichtige Fördermittel. Erhebliche Einschränkungen sind beispielsweise bei der Fortführung des Projekts zum Aufbau verschiedener Gedenkstätten überall in Berlin zu machen. Um ein Bewusstsein für die Folgen des Nationalsozialismus zu schaffen, sollten, gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern aus Kreuzberg, Stolpersteine für drei ermordete jüdische Schüler in Kreuzberg gelegt werden. Durch die fehlenden Mittel ist nun nur eine abgespeckte Version der Aktion möglich. „Je nach dem, wie viele Gelder wir selbst durch Spenden sammeln können“, sagt Markus Tervooren.

Erinnerung an Verpflichtungserklärung der Stasi


Besonders betroffen ist auch der Verein „offensiv 91 e.V.“, der anerkannter Träger der freien Jugendhilfe ist und eine Reihe von sozialen Einrichtungen wie Kindertagesstätten, Familienzentren und Zufluchtswohnungen betreibt. Der Vorstand und die Geschäftsführung sind nicht bereit, die „Extremismusklausel“ zu unterschreiben, da sie sich an die „Verpflichtungserklärung“ der Stasi erinnert fühlen. Der Zuwendungsbescheid (mit der „Extremismuserklärung“) wurde erst im März verschickt, bis dahin ist der Verein finanziell in Vorleistung gegangen. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bedeutet diese Umschichtung, dass auch ihre Stellen nicht mehr sicher sind. Der Verein prüft nun, den Schaden einzuklagen.

In den Ausschuss

Der Antrag des Landes Berlin zur Bearbeitung der „Extremismusklausel“ wird auch im Bundesrat stark diskutiert. Hier fordert der stellvertretende Berliner Bürgermeister Harald Wolf die Rücknahme der Sätze 2 und 3 in der Demokratieerklärung, wie die „Extremismusklausel“ von offizieller Seite genannt wird, da durch sie in den letzten Monaten viele wichtige Projekte gelitten haben. Verteidigt wird die „Extremismusklausel“ von Dr. Hermann Kues, dem Parlamentaischen Staatssekretär der Bundesministerin Dr. Kristina Schröder. Laut Dr. Kues, arbeitet das Ministerium hier präventiv, „damit extremistische Strömungen keine Chance bekommen“, zudem wisse man ja nie, was sich hinter einem schön klingenden Namen wirklich verbirgt. Dass besonders der zweite Teil der Klausel als Beleidigung empfunden wird, macht die amtierende Ministerin für Soziales und Gesundheit Mecklenburg-Vorpommern Manuela Schwesig deutlich: „Mit der Aufforderung zu schnüffeln, […] tun sich viele, die seit 20 Jahren für Demokratie und Toleranz vor Ort Flagge zeigen, zu Recht sehr schwer, und sie empfinden es als große Belastung“. Zur konstruktiven Beratung des Problems, wird dieser Tagesordnungspunkt in die Ausschüsse des Bundesrats für Frauen und Jugend zugeteilt.

Stadt als Risikopuffer


In Hamburg einigte sich die Grüne-Alternative-Liste (GAL) gemeinsam mit der SPD darauf, dass den betroffenen Initiativen in Hamburg alle rechtlichen und finanziellen Risiken der Unterzeichnung der „Extremismusklausel“ abgenommen werden. Hierbei übernimmt die Stadt Kosten für Rechtsstreitigkeiten und im Zweifel die Förderung, falls das Bundesministerium Fördergelder zurückfordert. Damit ist quasi eine risikolose Unterzeichnung der Bestätigungserklärung „unter Protest“ möglich, ohne ihr inhaltlich nachkommen zu müssen. Diese Möglichkeit könnte ein interessanter Weg für alle betroffenen Initiativen sein. Oder man lehnt die Unterschrift gleich ab, und versucht es auf anderen Wegen – wie die MBR Berlin.

Foto: ~konny via Flickr, cc

 

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