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Der Möchtegern-Hitler

Mit einem Eklat begann am Montag die Anti-Rassismus-Konferenz der UN. Viele Delegierte gingen demonstrativ aus dem Saal, als Irans Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad seinem Antisemitismus freien Lauf ließ. Deutschland hatte sich kurzfristig zum Boykott der Konferenz durchgerungen. Kritik daran kam von den Grünen. Abstinenz sei der falsche Weg.

Mehr als 40 Delegierte europäischer Staaten verließen am Montag (den 20.4.2009) auf der Anti-Rassismus-Konferenz in Genf unter Protest den Sitzungssaal. Anlass war der scharfe Antisemitismus des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad. In einer hasserfüllten Rede bezeichnete er Israel als das "grausamste und rassistischste Regime". Der Staat Israel sei unter dem "Vorwand jüdischen Leidens" im Zweiten Weltkrieg gegründet worden, leugnete er erneut indirekt den Holocaust. Eine ganze Nation sei heimatlos geworden, meinte er unter Hinweis auf Palästina. "Zionisten" und ihre Verbündeten hätten den Krieg im Irak geplant. Der Zionismus sei der "personifizierte Rassismus". Dies müsse man "ausmerzen". Demagogie im Stile Adolf Hitlers.

Seine Rede wurde von mehreren Demonstranten mit Rufen wie "Schande" und "Rassist" unterbrochen. Andere applaudierten frenetisch (Video). Rund 100 Mitglieder vor allem proisraelischer und jüdischer Gruppen hinderten Ahmadinedschad später an der Teilnahme einer Pressekonferenz.

Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy protestierte scharf gegen die Rede Ahmadinedschads. Er verurteile "diese Hassrede vollständig", erklärte Sarkozy. Er rief die EU zu einer "Reaktion von äußerster Entschlossenheit" auf. Ahmadinedschad rufe zum Rassenhass auf, er verhöhne die Ideale und Werte, die in der universellen Erklärung der Menschenrechte festgeschrieben seien, sagte Sarkozy. Außenminister Bernard Kouchner nannte die Aussagen des iranischen Präsidenten "inakzeptabel".

Deutschland boykottiert

Deutschland und die USA hatten dies vorhergesehen und die Konferenz  boykottiert - sich für diesen Entschluss aber lange Zeit gelassen. Seine Entscheidung teilte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier erst am Vorabend der Eröffung nach einer Telefonkonferenz mit mehreren EU-Amtskollegen in Berlin mit. Sie sei ihm "nicht leicht gefallen", sagte er. Aus Sicht der Bundesregierung sei zu befürchten, "dass diese Konferenz ebenso wie die Vorgängerkonferenz im Jahr 2001 als Plattform für andere Interessen missbraucht wird". Dabei gehe es um einseitige Kritik an Israel. Steinmeier fügte hinzu: "Das können wir nicht akzeptieren."

Neben Deutschland lehnten auch Italien, die Niederlande und die USA eine Teilnahme ab, ausschlaggebender Grund seien antisemitische Formulierungen zum Thema Israel auch im geplanten Abschlussdokument. Dessen Schlussfassung war am Freitag zuvor ausgehandelt worden. Die Organisatoren hätten darauf bestanden, "heuchlerische" Rassismus-Vorwürfe gegen Israel zu präsentieren, begründete US-Präsident Barack Obama seine Haltung. In der am Dienstag bereits verabschiedeten Schlussfassung des umstrittenen Dokuments konnten die Europäer allerdings viele ihrer Ziele durchsetzen: Israel wird nicht namentlich erwähnt. Die Erinnerung an den Holocaust wird festgeschrieben. Die islamischen Staaten ließen ihre Forderung fallen, die „Verleumdung des Islam“ unter Strafe zu stellen.

Dennoch blieben Deutschland und die Niederlande fern.  Der niederländische Außenminister Maxime Verhagen begründete seine Absage damit, einige Staaten versuchten, die UN-Konferenz zu missbrauchen. Gemeint sind überwiegend die islamischen Länder. Sie wollten religiöse Anschauungen über Menschenrechte stellen. Ausgerechnet von Ländern, "die auf dem Gebiet der Menschenrechte selbst noch viel zu tun haben", werde versucht, "einseitig Israel auf die Anklagebank zu setzen", erklärte er.  Wasser auf diese Mühlen goss Irans Staatspräsident Ahmadinedschad,  der wiederholt den Holocaust geleugnet hat. Am Sonntag sagte er laut iranischem Fernsehen vor seinem Aufbruch nach Durban, "die zionistische Ideologie und das zionistische Regime sind die Fahnenträger des Rassismus".

Abstinenz der richtige Weg?

Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte und Gastgeberin der Konferenz, Navi Pillay, äußerte sich "schockiert und tief enttäuscht" über den Boykott. Auch aus Deutschland kam Kritik. Die außenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen, Kerstin Müller, kritisiert die Entscheidung der Bundesregierung. Es sei „einmalig“, dass Deutschland einer Konferenz der Vereinten Nationen fernbleibt. Damit schade Deutschland der Menschenrechtsdebatte und schwäche langfristig auch seine Position in der UN, sagte Müller dem Berliner Tagesspiegel. Der letzte Entwurf für die Abschlusserklärung zeige, dass der Druck der Europäer „sehr viel verändert hat“. Das jetzige Dokument sei „kein Grund, die Konferenz zu boykottieren“. Damit überlasse man das Forum nur den Holocaust- Leugnern.

Der Vizefraktionschef der Grünen, Jürgen Trittin, kritisierte es als „bizarr“, wie das Auswärtige Amt vom Kanzleramt gezwungen worden sei, „einen jahrelang bewährten Kurs in der Menschenrechtspolitik“ aufzugeben. "Die Bundesregierung muss an der UN-Konferenz gegen Rassismus teilnehmen", forderte Trittin. Eine antisemitische und überzogen Israel-kritische Schlusserklärung müsse verhindert werden. "Dieses Ziel erreicht die Bundesregierung aber nicht durch Abstinenz, sondern nur durch Teilnahme", sagte er. Zuvor hatten allerdings auch mehrere deutsche NGOs einen Boykott gefordert (MUT vom 13.3.2009), ebenfalls eine Reihe internationaler NGOs (blick, 19.4.)

Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat indessen den Verzicht Deutschlands auf die Teilnahme begrüßt. "Viel zu oft haben Länder wie Iran, Libyen und Kuba diese Plattform der Vereinten Nationen für ihre eigene demokratiefeindliche Politik nützen dürfen", kritisierte Präsidentin Charlotte Knobloch. "Es ist ein mutiger Schritt der Bundesregierung, die Teilnahme an der Anti-Rassismus-Konferenz abzusagen und somit ein wirkliches Zeichen gegen Rassismus und Antisemitismus zu setzen." Der Vizepräsident des Zentralrats, Dieter Graumann, äußerte zugleich heftige Kritik an der Europäischen Union: "Dass Europa sich hier so uneinig zeigt, ist eine Schande."

Denn anders als Deutschland schickten Großbritannien, Frankreich und auch der Vatikan Vertreter zu der Tagung nach Genf, insgesamt 23 der 27 EU-Staaten nehmen teil. Frankreich hatte sich erst in letzter Minute zur Teilnahme entschlossen. Laut Angaben von Außenminister Bernard Kouchner werde der französische Vertreter die Veranstaltung aber sofort verlassen, falls sie zu einer Plattform für rassistische Äußerungen gegenüber Israel werden sollte - dazu kam es dann auch bei der Rede Ahmadinedschads.

Es ist das erste Mal, dass Deutschland eine Konferenz der Vereinten Nationen boykottiert. Heftige Angriffe auf Israel waren der Grund, weshalb schon die erste "Weltkonferenz gegen Rassismus" 2001 in Durban mit einem Eklat endete. Die Delegationen der USA und Israels reisten damals vorzeitig ab.

Die UN-Konferenz soll noch bis zum 25. April dauern. Nach Angaben der Vereinten Nationen hatten 35 Staaten ihre Teilnahme zugesagt. Steinmeier appellierte jetzt an alle Teilnehmer der Konferenz, sich zur wirksamen Bekämpfung von Rassismus und Rassendiskriminierung zu bekennen: "Wir werden den Konferenzverlauf als Beobachter sehr genau verfolgen. Wir werden uns weiterhin eng mit unseren EU-Partnern abstimmen und behalten uns vor, zu einem späteren Zeitpunkt wieder aktiv teilzunehmen."

"Ich finde den Boykott absolut richtig", gab auch die Extremismusexpertin der CDU-Bundestagsfraktion, Kristina Köhler Steinmeier Rückdeckung. Auf die Frage von Spiegel Online, ob man durch die Absage den Kritikern Israels nicht kampflos das Feld überlassen würde, sagte die CDU-Politikerin: "Wir sollten ruhig mal die Ahmadinedschads dieser Welt unter sich lassen."


Zum Thema:

Abschlussdokument verabschiedet (tagesspiegel, 21.4.)

Broder-Kommentar (spiegel.de, 21.4.)

Delegierte verlassen Saal bei Ahmadinedschad-Rede (stern.de-Video 20.4.)

Wachsender Antisemitismus unter Jugendlichen - ein Gespräch mit Levi Salomon (taz, 20.4.)

Schweizer Präsident traf Ahmadinedschad (blick, 19.4.)

Im MUT-Interview:
Außenminister Steinmeier über Rechtsextremismus


www.mut-gegen-rechte-gewalt.de - Quellen: dpa/Reuters/stern/tagesspiegel/spiegel/sz - Foto: stern.de / hk

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Mahmud Amadinedschad in Genf