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Überblick: Rechtsextremismus in der Polizei 2020

 
Aktuell vergeht fast keine Woche ohne neue Berichte über rechtsextreme Verstrickungen bei der Polizei. Regelmäßig werden neue Chatgruppen bekannt, in denen sich Beamt*innen Propaganda hin und her schicken, in mehreren Bundesländern wird gegen Polizist*innen ermittelt. Schon im ersten Halbjahr 2020 gab es 40 Fälle, nur ein Verdacht erhärtete sich nicht.
 
Von Antonia Graf und Stefan Lauer
 
Die folgende Auflistung enthält Vorfälle und Enthüllungen zum Thema Rechtsextremismus, Rechtsterrorismus, Drohschreiben, Gewalt und Propagandadelikten. Vorfälle mutmaßlich rassistischer Polizeigewalt, wie etwa hier und hier beschrieben, sind in dieser Übersicht nicht aufgezählt.
 
Februar 2020
 
Ein 29-Jähriger Polizist aus Berlin soll laut RBB eine Chat-Nachricht mit „rechtsextremem Inhalt“ versendet haben. Gegen den Beamten wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Der Mann war aus Hessen nach Berlin gewechselt. Am 7.Februar wurde seine Wohnung wegen des Verdachts der Volksverhetzung und der Verwendung Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen durchsucht. Er soll „Wortführer“ einer WhatsApp-Gruppe gewesen sein, in der gewaltverherrlichende und rechtsextreme Inhalte ausgetauscht wurden.
 
Gegen drei Polizeianwärter (zwei davon sind 18, einer 22) der Polizei-Hochschule in Rothenburg (Sachsen) wird unter anderem wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen ermittelt. Laut einer Anfrage der Linken-Landtagsabgeordneten Kerstin Köditz wurden seit 2015 16 Polizeibeamt*innen aus Sachsen in 17 Fällen wegen Rechtsextremismus verdächtigt. Acht registrierte Fälle gab es demnach in der Polizeidirektion Leipzig, je drei Fälle im in der Polizeidirektion Dresden und im Präsidium der Bereitschaftspolizei. Disziplinarverfahren wurden in 14 von 17 Fällen eingeleitet, außerdem neun Ermittlungsverfahren. Mindestens zwei der Betroffenen wurden aus dem Beamtenverhältnis entlassen (vgl. mdr)
 
Die rechte Terrorzelle „Gruppe S.“, die Anschläge auf Politiker, Asylbewerber und Muslime geplant haben soll, wird ausgehoben. Einer der Verdächtigen ist Torsten W., ein Polizei-Mitarbeiter aus Hamm. Er soll die „Gruppe S.“ finanziell unterstützt haben und bei Plan-Treffen zur Beschaffung von Waffen dabei gewesen sein. Er sitzt in Untersuchungshaft. Trotz Reichsbürger-Stickern und Thor-Steinar-Pullis konnte der Verwaltungsbeamte jahrelang bei im Polizeipräsidium Hamm arbeiten. Recherchen von WDR und SZ soll er außerdem auf vertrauliche, dienstliche Erkenntnisse zur Reichsbürgerszene zugegriffen haben (vgl. Tagesschau).
 
Die Polizei Aachen leitet ein Disziplinarverfahren gegen zwei Polizeibeamte ein. Einer von ihnen soll ausgerechnet vor der Aachener Synagoge eine US-Serie auf dem Handy angesehen haben, in der „Heil Hitler“ und „Viertes Reich“ zu hören waren. Auf dem Privathandy fanden sich weitere rassistische und rechtsextremistische Videos und Audios. (vgl. Spiegel)
 
März 2020
 
Ein Polizeibeamter aus Hamm wird wegen des Verdachts auf Volksverhetzung suspendiert. Dabei handelt es sich um Julius H., den ehemaligen Sprecher der AfD in Hamm. (Vgl. WDR und Westfälischer Anzeiger).
 
Juli 2020
 
Auf Polizeicomputern in Wiesbaden und Frankfurt sollen persönliche Daten von Journalist*innen, Politiker*innen und Kabarettist*innen abgefragt worden sein, die später Drohschreiben mit der Unterschrift „NSU 2.0“ bekamen. Mehrere Polizisten wurden vom Dienst suspendiert, wer hinter den Schreiben steckt, ist unklar. Auch in Hamburg und Berlin soll es verdächtige Abfragen gegeben haben. (Vgl. WDR)
 
Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in Berlin Bodo Pfalzgraf soll laut Recherchen der taz in den 1990er Jahren umfassend in der rechtsextremen Szene vernetzt und Gründungsmitglied des „Hoffmann-von-Fallersleben Bildungswerks“ gewesen sein – laut Verfassungsschutz „eine Tarnorganisation für Veranstaltungen von Rechtsextremisten und Neonationalsozialisten“. Seine Mitgliedschaft und Kandidatur bei den Republikanern war bereits früher bekannt geworden. (vgl. taz und BTN)
 
Wegen Datenabfrage ohne dienstlichen Bezug im Potsdamer Polizeipräsidium wird gegen zwei Polizisten ermittelt. Beide Beamte waren Mitglieder beim Verein „Uniter“, der Teil des rechtsextremen „Hannibal“-Netzwerks ist. Die Datenabfragen bezogen sich teilweise auf Gründer von „Uniter“. (vgl. Redaktionsnetzwerk Deutschland)
 
August 2020
 
Schon seit Januar steht Stefan K. in Berlin vor Gericht. Der Polizeibeamte soll sich an einem rassistisch motivierten Übergriff mehrerer Fußballfans auf einen 26 Jahre alten Afghanen beteiligt haben. Der Beamte soll zusätzlich die Ermittlungen in dem Fall beeinflusst haben. Im August stellt sich heraus: Stefan K. war Mitglied der Ermittlungsgruppe Rechtsextremismus (EG Rex), die 2016 aufgelöst wurde und K. war womöglich in die Ermittlungen zur mutmaßlich rechtsextremen Neuköllner Anschlagsserie involviert. (Vgl. Tagesspiegel)
 
Ein Thüringer Polizist steht in Verdacht, eine Straftat mit rechtsextremen Bezug begangenen zu haben. Es geht um das Verwenden verfassungsfeindlicher Symbole. Intern wird schon ermittelt. (vgl. Thüringer Allgemeine)
 
September 2020
 
05.09.2020: Die taz veröffentlicht weitere Recherchen zum Komplex „NSU 2.0“. Demnach führt eine Spur zu einem hessischen Polizisten: Johannes S. (vgl. taz)
 
Ein Polizeischüler der Polizeihochschule Brandenburg wurde nach rechtsextremen Äußerungen entlassen. Am 14. September 2020 wurde bekannt, dass einem Antrag des Mannes gegen seine Entlassung vor dem Verwaltungsgericht Potsdam Recht gegeben worden war. Der 26-Jährige sollte während einer Übung einem Namen mit Funkalphabet buchstabieren und benutzte dafür die Worte „Jude, Untermensch, Nazi, Gaskammer“ und alternativ „Genozid“. Jetzt hat die Polizeihochschule in Oranienburg Beschwerde gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eingelegt. (vgl. rbb)
 
16.09.2020: Razzia der Soko „Parabel“ bei 29 (später wird die Zahl auf 30 korrigiert) Kolleg*innen. Durchsucht werden Wohnungen und Dienststellen in Duisburg, Essen, Mülheim an der Ruhr, Oberhausen, Moers und Selm (vgl. Spiegel). Die Beamt*innen sollen in privaten WhatsApp-Gruppen über Jahre rechtsextreme Propaganda inklusive Hitlerbildchen ausgetauscht haben.  
 
Am 17.09. veröffentlicht der Spiegel eine Recherche über eine private Sicherheitsfirma in Bagdad, für die ehemalige deutsche Polizisten und Bundeswehrsoldaten arbeiten. Laut Recherchen des Magazins verherrlische das Unternehmen die NS-Zeit, einzelne Mitarbeiter hätten sich rechtsextrem geäußert (vgl. Spiegel).
 
18.09.2020: Zwei Polizisten aus Mecklenburg-Vorpommern (Rostock und Neubrandenburg) werden vom Dienst suspendiert, nachdem sie „auf ihren Privathandys antisemitische, ausländerfeindliche sowie Nazis verherrlichende Nachrichten verschickten (vgl. Welt). Insgesamt wird jetzt in Mecklenburg Vorpommern gegen 17 Polizeibeamte und einen Angestellten ermittelt. 
 
18.09. 2020: Es wird bekannt, dass einer der Personenschützer von Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang Mitglied der rechtsradikalen und paramilitärischen Vereinigung Uniter ist. Das Bundesinnenministerium spricht von einer schweren Panne. (vgl. Focus)
 
21.09.2020: Innenminister Horst Seehofer lehnt eine Studie zu Rassismus in der Polizei weiter ab.  (Vgl. Tagesspiegel).

Symbolbild: Private Informationen, die in rechtsextremen Drohschreiben auftauchten, wurden zuvor über Dienstcomputer der hessischen Polizei abgefragt. (Quelle: Flickr / kris krüg / CC BY-SA 2.0)