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Piraten auf Kurssuche

Die Piratenpartei ist erneut in einer unerfreulichen Debatte. Andreas Popp, der Vize-Bundesvorsitzende, gab der "Jungen Freiheit" ein Interview und entschuldigt sich nun: Ihm war die Zeitung nicht bekannt. Dazu ein Kommentar von Frédéric Valin von Spreeblick.com
 

Das Erschreckende ist nicht, dass der Stellvertretende Vorsitzende der Piratenpartei Andreas Popp der Jungen Freiheit ein Interview gegeben hat. Das Erschreckende ist auch nicht, dass Andreas Popp keine Ahnung hatte, wer oder was die Junge Freiheit ist. Genau genommen ist beides schon erschreckend genug. Aber gänzlich zur Geisterbahnfahrt wird die ganze Geschichte angesichts der zwischen Opportunismus und Wassollsismus inzwischen schon in die Hunderte gehenden Kommentare von Piratenanhängern auf Twitter und im Popp-Blog. Zur Durchsetzung der Bürgerrechte ist jedes Mittel recht. Wäre mein Jahresvorrat an Hitlervergleichen nicht aufgebraucht, würde ich sagen: Es riecht nach von Papen.

 
Ganz kurz, weil auch das massiv bezweifelt wurde: Natürlich begibt man sich, wenn man der JF ein Interview gibt, in die Gesellschaft von Nazis. Udo Voigt war ein Interviewpartner, de Benoist schreibt regelmäßig da, früher durfte das auch mal Andreas Mölzer. Dass ihre Mitarbeiter mitunter Rechtsextremisten seien, ist mehr als nur eine bloße Vermutung.
Vollends klar wird die Sache, wenn man sich die Anzeigenpolitik des Blattes anschaut. Gabriele Nandlinger dazu:

 

So dürfen in der JF unter anderem die antisemitischen Unabhängigen Nachrichten, die rechtsextreme Deutsche Partei, die Republikaner oder die ebenfalls im Visier des Verfassungsschutzes stehende Münchner Burschenschaft „Danubia“ für sich werben.
 

Es reicht nicht, ein paar Punkte unter ein Programm zu schreiben, das sich ausschließlich mit Online-Bürgerrechten befasst, und schon ist man eine Partei. Das grundsätzliche Problem der Piraten ist, dass sie in weiten Teilen den Eindruck vermitteln, sie wollten keine Politik machen.
 
Felix Neumann hat dazu einen hervorragenden Artikel geschrieben, den ich dringend jedem ans Herz lege, und den ich schweren Herzens zusammenkürze*: Piraten, Gender und Pragmatik. Wenns irgend geht, bitte ganz lesen.
 
Die Piraten verstehen sich selbst als bewußt pragmatische und am gesunden Menschenverstand orientiert und grenzen sich von Ideologien ab. Das Entscheidungsparadigma scheint jener kluge Aphorismus von Karl Kraus zu sein: „In zweifelhaften Fällen entscheide man sich für das Richtige.“
 
Eine rein szientistische Sichtweise geht davon aus, daß man objektiv entscheiden könne, was das Richtige sei. Bei der Piratenpartei mag die zensursula-Debatte dazu beigetragen haben, daß der Glaube an objektiv fundierte Politik so stark ist, ist doch das Zugangserschwerungsgesetz schon handwerklich miserabel und die von Ursula von der Leyen präsentierten »Fakten« zu großen Teilen objektiv falsch, teilweise gar nicht vorhanden. Hier kommt auch ein anderer Anspruch der Piraten ins Spiel: Weg von Ideologie, hin zum „gesunden Menschenverstand“.
 
Die Auffassung, also für jede gegebene Situation anhand der Sachlage entscheiden zu können, was richtig ist, verkennt den Charakter von Politik. Politik beschäftigt sich gerade mit dem, was nicht objektiv entscheidbar ist – sonst bräuchte man keine Politik, sondern könnte einfach eine Expertokratie einrichten. In der Praxis scheitert die Einrichtung einer Expertokratie schon daran, daß man sich auf Maßstäbe einigen müßte, wer als Experte gilt.
 
Expertokratie, Technokratie verkennt, daß politische Fragen im wesentlichen Wertekonflikte sind. Es läßt sich objektiv, naturwissenschaftlich, nicht klären, wer Recht hat. Ob „Freiheit“ oder „Sicherheit“ das Ziel von Politik sein kann, muß ausgehandelt, diskutiert werden, es müssen Kompromisse gemacht werden, und im letzten kann weder Schäuble noch die Piratenpartei für sich reklamieren, daß ihre Werte im naturwissenschaftlichen Sinne objektiv korrekt seien – und dann wird abgestimmt. Mit Karl Popper: Werte sind nicht falsifizierbar. Deshalb ist es auch etwas kurz gedacht, zu glauben, daß die Piratenpartei gleichzeitig ein umfassendes Programm haben könnte und sich nicht zu Grundrichtungsentscheidungen durchringen müßte.
 
Das Interview von Andreas Popp mit der JF war im Zweifelsfall sehr sehr dämlich, wenn man etwas kritischer sein will: ein politisches No-Go und schierer Dilettantismus. Viel schlimmer aber ist, dass die meisten kommentierenden Piraten offensichtlich vor lauter Pragmatismus vergessen, grundsätzliche Entscheidungen zu treffen. In dem Fall: Ob sie sich entscheiden, Rechtsextreme zu instrumentalisieren. Und sich gleichzeitig durch Rechtsextreme instrumentalisieren lassen.
 
Es ist noch ein weiter Weg für die Piraten. Sie sollten mal anfangen, die Segel zu stellen.
 
*Ohne Pünktchen, für die Übersichtlichkeit.
 

Foto: cbmd (Lizenz: Creative Commons), Text: Frédéric Valin, veröffentlicht bei Spreeblick.com

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Piraten auf Kurssuche | Foto: cbmd (Lizenz: Creative Commons)