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Der Extremismus-Begriff aus politischer Perspektive


Von der Unterschätzung menschenfeindlicher Einstellungen und von Kritik an staatlichem Handeln unter Generalverdacht: Ein Kommentar vom Abgeordneten des Sächsischen Landtags Miro Jennerjahn.

Ich werde im Folgenden die Probleme des Extremismus-Begriffs aus politischer Perspektive darlegen. Für mich gibt es dabei drei zentrale Aspekte. Erstens hat der Begriff eine geschichtspolitische Dimension und unterschätzt die Verbreitung menschenfeindlicher Einstellungen. Zweitens impliziert er ein problematisches Staats- und Demokratieverständnis und drittens hat er Auswirkungen auf tagesaktuelle Debatten.

Woran ist die weimarer Republik gescheitert?

Auch wenn der Begriff des politischen Extremismus neueren Datums ist, hat er doch eine weiter reichende politische Tradition, die sich auf die Frage stützt, woran die Weimarer Republik gescheitert sei. In der Bundesrepublik gibt es die Lesart – und die ist durchaus weit verbreitet – die Weimarer Republik sei an den Verfassungsfeinden von links und rechts zu Grunde gegangen. Das ist eine sehr bequeme Sichtweise. Sie geht nämlich – wie die Extremismus-Theorie heute – davon aus, eigentlich habe es eine demokratische Gesellschaft gegeben, die von links und rechts bekämpft worden sei und der schließlich ungewollt der Nationalsozialismus aufgezwungen wurde. Die Frage, inwieweit denn die Demokratie der Weimarer Republik als Staats- und Gesellschaftsform tatsächlich verankert war, spielt dann nur noch eine untergeordnete Rolle.

Diese Lesart unterschätzt die Verankerung gruppenbezogener menschenfeindlicher Einstellungen in der Breite der Gesellschaft. Ein formalistisch-politischer Ansatz, der gesellschaftliche Bedrohungen nur anhand der formalen Abweichung von einer gedachten Verfassungstreue der „Mitte“ zu erfassen sucht, hat der gesellschaftlichen Wirklichkeit von Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Homophobie nichts entgegenzusetzen.

Staatsverständnis - Kritik unter Generalverdacht

Wer einen Blick auf das hinter der Extremismus-Theorie stehende Staatsverständnis wirft, stellt schnell fest, dass es durch und durch etatistisch angelegt ist. Kritik am Handeln des Staates gerät dann schnell unter den Generalverdacht extremistisch zu sein, weil die Differenzierung zwischen konkretem staatlichen Handeln, das nicht zwingend demokratisch sein muss, und der zugrunde liegenden Verfassung nicht mehr vorgenommen wird. Wir hatten in den letzten Jahren in Sachsen Fäle, dass zivilgesellschaftliche Vereine, die sich gegen Rassismus engagieren und in diesem Zusammenhang im Hinblick auf staatliches Handeln im Umgang mit AsylbewerberInnen von institutionellem Rassismus sprachen, Probleme mit der vom Freistaat gewährten Förderung bekamen. In Frage gestellt wurde in diesem Zusammenhang, ob sich die Vereine auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewegen würden.

Tagespolitische Debatten und Schwarz-Weiß-Schema

Damit bin ich auch schon bei ganz konkreten Folgen für die reale tägliche Politik angelangt. Oft wird die Förderung zivilgesellschaftlicher Initiativen zur Stärkung der Demokratie nicht als Selbstverständ¬lichkeit, sondern als obrigkeitsstaatlicher Gnadenakt begriffen. Die Gedankenspiele von Familienministerin Schröder im Haushaltsausschuss des Bundestages, Initiativen gegen Rechtsextremismus, die vom Bund gefördert werden, durch eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz überprüfen zu lassen, verdeutlichen dies. Die dahinter stehende Logik ist gefährlich. Wer sich gegen Rechtsextremismus engagiert ist links, höchstwahrscheinlich sogar linksextrem und muss überwacht werden. Damit wird aber ein fundamentales Prinzip von Rechtsstaatlichkeit außer Kraft gesetzt: Die Unschuldsvermutung.

In tagespolitischen Debatten kristallisiert sich in aller Regel ein gefährliches Schwarz-Weiß-Schema heraus: Hier die gute Mehrheitsbevölkerung, dort die gefährlichen Ränder. Phänomene wie Alltagsrassismus geraten dabei völlig aus dem Blick oder werden schlichtweg geleugnet. Mehr noch, es wird so getan als sei mit dem Begriff Extremismus alles gesagt. Dann werden in einem Atemzug Links- und Rechtsextremismus genannt, meist wird auch noch Islamismus mit eingearbeitet, so als sei alles das gleiche und alle Probleme gleich groß, ohne nach den Ursachen und ideologischen Unterschieden der einzelnen „Extremismen“ zu fragen, deren genaue Betrachtung aber für die Entwicklung tragfähiger Gegenstrategien enorm wichtig wäre.

Ich hatte zum Punkt Staatsverständnis darauf verwiesen, dass ich den Extremismus-Begriff für autoritär-obrigkeitsstaatlich aufgeladen halte. Und genauso fallen in der Regel die Antworten aus. Meist wird mit einem autoritären Reflex geantwortet. Auch das können wir in Sachsen beobachten. Als Antwort auf den jährlichen Nazi-Aufmarsch in Dresden wurde mit einer Einschränkung der Versammlungsfreiheit geantwortet, die im konkreten Fall nicht nur höchstwahrscheinlich verfassungswidrig ist, sondern auch keinen einzigen Nazi-Aufmarsch verhindern wird. Zugunsten reiner Symbolpolitik werden zentrale Freiheitsrechte, die selbstverständlich – und so schwer das in der konkreten Situation zu ertragen ist – auch den Feinden der Demokratie zustehen, beschnitten. Schlimmer noch: Es wurde systematisch versucht, Gegenaktivitäten wie eine angestrebte Blockade der Nazi-Demo zu kriminalisieren.

Antworten - Was aber resultiert daraus?

Zuallererst wäre eine Abkehr von der fatalen Logik, das Gegenteil von Rechtsextremismus sei Linksextremismus, notwendig. Rechtsextremes Denken stellt im Kern die allgemeinen Menschenrechte in Frage. Der Gegenpart rechtsextremer Ideologie besteht somit in einer Betonung und Stärkung von eben dieser. Das sind Werte, die sowohl konstitutiv für das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sind, als auch für die Verfassung des Freistaats Sachsen. Das Gegenteil von Rechtsextremismus lautet somit nicht Linksextremismus, sondern Demokratie. Wir wären ein großes Stück weiter, wenn Debatten künftig unter dieser Prämisse geführt würden.

Eine ernsthafte Debatte darf also nicht dabei stehen bleiben, politische Ränder zu markieren, sondern sie muss die Frage nach der gesellschaftlichen Verankerung der Demokratie und deren zentraler Werte stellen und sie muss tatsächliche oder vermeintliche Demokratiedefizite thematisieren.

Nachtrag

Mit der Kritik des Extremismusbegriffs wird oft – naheliegender Weise – die Forderung verbunden, auch auf den Begriff des „Rechtsextremismus“ zu verzichten. Gleichwohl verwende auch ich alltagssprachlich dieses Wort, ohne im gleichen Atemzug die „Extremisten von links“ nennen zu müsen. „Rechtsextremismus“ fungiert dann als Sammelbegriff für:

• autoritäre, antidemokratische Einstellungen
• einen völkischen Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus
• weitere menschenfeindliche Einstellungen, die auf Ungleichwertigkeitsvorstellungen beruhen, wie Sexismus und Homophobie
• Antiindividualismus und Ablehnung des gesellschaftlichen und politischen Pluralismus.

Nicht alle, die diesen Einstellungen ganz oder teilweise anhängen, sind Nazis. Der Begriff „Nazismus“ ist als Sammelbegriff also ungeeignet. Der Begriff „Faschismus“ erst recht!
Insofern spiegelt die unbefriedigende alltagssprachliche Praxis auch den Umstand, dass es auch den KritikerInnen des Extremismusbegriffs bislang noch nicht gelungen ist, einen adäquaten Ersatz zu schaffen.
 

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Tagung: Gibt es Extremismus?

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