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Die Reise ins versprochene Land


Antisemitismus im „Tal der Wölfe“: Pünktlich zum symbolträchtigen 27. Januar – zum Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz – lief der türkische Film „Tal der Wölfe - Palästina“ mit rund 100 Kopien in den deutschen Großkinos an. Der Film dämonisiert und entmenschlicht Israelis durch die Verwendung antisemitischer Rollenbilder und massiver Gewaltdarstellung.


Von Malte Gebert


Dem Kinostart vorausgegangen war eine mediale Debatte um den antisemitischen und nationalistischen Charakter des Films, die zumindest dazu führte, dass die FSK (Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft) nach einer ersten Prüfung keine Freigabe für den Film erteilte. Die Pera Film GmbH, die den Film und seine drei Vorgänger in Deutschland für die türkische Produktionsfirma Pana vertreibt, wertete diese Entscheidung indes als Skandal und bekam auf verschiedenen Internetportalen Recht. So stellte das Portal Turkishpress.de gar die Frage in den Raum, ob sich hinter dem deutschen Diskurs „ein Jude im Schafspelz“ verberge. Schließlich entschied die FSK noch am 27. Januar in zweiter Instanz, dass der Film mit der Altersfreigabe „ab 18 Jahren“ starten könne. Hauptkritikpunkt der FSK ist die massive Gewaltdarstellung, die den Film auszeichnet und in ihm „enthaltene propagandistische Tendenzen“.  Was hier recht verharmlosend als „Tendenzen“ geschildert wird, ist in Wirklichkeit ein gegen Israel gerichteter Antisemitismus, der den Film von Anfang bis Ende durchzieht.

Wo bitte geht’s nach Palästina?

Am Anfang steht ein Rückblick auf die Erstürmung der „Mavi Marmara“ durch israelische Soldaten, bei der im Mai 2010 neun türkische Staatsbürger getötet worden waren. In „Tal der Wölfe - Palästina“ sehen wir eine Interpretation der Ereignisse, bei der sich die israelische Soldaten abseilen und ohne Warnung das Feuer auf nahezu unbewaffnete Menschenrechtsaktivisten eröffnen und diese selbst noch auf der Flucht erbarmungslos niederstrecken. Regisseur dieses Verbrechens ist im Film der israelische General Moshe Ben Eliezer, der nun durch den türkischen Agenten Polat Almendar und sein Team gefunden und zur Strecke gebracht werden soll. Nach dieser Einleitung befindet sich das türkische Team völlig unvermittelt in Jerusalem. Weder wissen wir, wer Polat beauftragt hat, noch, wie er überhaupt nach Israel eingereist ist. Das Warum ist hier die einzig entscheidende Frage, die auch sofort gestellt und beantwortet wird. Ein israelischer Soldat fragt, was er in Israel wolle. Die Antwort: „Ich bin nicht nach Israel gekommen, sondern nach Palästina.“ Nachdem er dem Wachtposten verraten hat, dass er den General Moshe Ben Eliezer töten wird, entreißt er ihm die Waffe und schießt ihn nieder. Damit beginnt eine für den Rest des Films nicht enden wollende Ballerei, die nur dort unterbrochen wird, wo es um die antisemitische Rechtfertigung für das Morden geht. Denn wie Polat sagt, dies ist „die Sprache, die sie [die Juden, M.G.] verstehen.“

Hehrere Lichtgestalt - Simone die „gute Jüdin“

In der oben erwähnten Szene wird auch die amerikanische Jüdin Simone Levy eingeführt. Als Fremdenführerin gerät sie in die Schießerei, schließt sich umstandslos Polat an und flieht mit der Gruppe gemeinsam in das Haus des palästinensischen Teammitglieds. Warum bleibt dabei völlig unklar. Ihre Rolle ist prototypisch für das antisemitische Motiv der „guten Jüdin“. Aus dem Leid ihrer Familie – ihr Großvater wurde von den Nazis ermordet – wird die Delegitimation des israelischen Staates in der Gegenwart gezogen. „Mein Großvater ist nicht in Polen gestorben, damit seine Nachkommen hier morden,“ führt sie später in einem Streit mit dem Schurken Avi aus. Ihre Funktion ist offensichtlich: Sie spaltet zwischen den „bösen Israelis“ und den „guten“ Jüdinnen und Juden, die nur dann gut sind, wenn sie Israel verurteilen und sich dem palästinensischen Widerstand anschließen. Doch an der Figur Simone wird noch etwas anderes verdeutlicht: Die Unnatur der Israelis und die Natürlichkeit der Palästinenserinnen und Palästinenser. Simone ist die einzige Frau, die wir auf jüdischer, bzw. israelischer Seite sehen – selbst in den Reihen der israelischen Armee werden keine Frauen gezeigt. Als Polat mit seinem Team aufbricht, um Rache an Moshe zu nehmen, verbleibt sie im oben erwähnten Schlupfwinkel. Schnell stellt sich heraus, sie ist unglücklich, der Welt entfremdet und medikamentenabhängig. Durch das dargestellte palästinensische Familienleben, in das sie umstandslos integriert wird, findet sie zur Natürlichkeit zurück: Sie löst sich von ihrer Sucht, solidarisiert sich mit den „einfachen Palästinenserinnen und Palästinensern“ und vollzieht ihren Wandel schließlich dadurch, dass sie ihre moderne Kleidung gegen ein traditionelles Kleid mit Kopftuch tauscht. Dies wird mit den Worten kommentiert: „Jetzt siehst Du aus, wie eine echte Frau“, nur ein Ehemann und Kinder fehlen zum ganzen Glück, wie eine Palästinenserin anmerkt. Und in der Tat, ihre Bewunderung für Polat ist nicht zu übersehen. Für eine Romanze ist jedoch entweder nicht genug Zeit im Film vorgesehen oder es war den Machern schlicht zu gewagt, eine Liebesaffäre zwischen dem türkischen James Bond und einer Jüdin zu zeigen.

Finstere Schurken I - Moshe der „Rambo-Jude“


Weitere zentrale Figuren sind der israelische „Strippenzieher“ Avi und General Moshe Ben Eliezer, dem von allen Figuren inklusive Polat der meiste Raum für Charakterentwicklung zugestanden wird. Anhand verschiedener Szenen erfahren wir, wie Moshe als förmliche Personifizierung des Bösen kaltblütig und unmenschlich gegenüber der palästinensischen Bevölkerung agiert. Um Avi die Wirkung neuentwickelter, nichtnachweisbarer chemischer Munition zu demonstrieren, entscheidet er sich statt des bereits anvisierten Schafes für einen unbeteiligten Palästinenser, der mit seinem Kastenwagen die Straße entlangfährt. In der nächsten Einstellung sehen wir, wie zufrieden Avi und Moshe mit dem Ergebnis sind, als sie den Toten betrachten. Die Kamera gleitet in diesem Moment zu den Fotos seiner zwei Kinder, die am dem Rückspiegel kleben. Als Avi dann den Befehl gibt, die Munition an die Siedler zu verteilen sollte allen Zuschauenden klar sein: Die Israelis entwickeln grausame Waffen, testen sie skrupellos an Palästinenserinnen und Palästinensern und rüsten heimlich die Siedlungen damit aus.

Auf seiner Jagd nach Polat dringt Moshe auch in die Palästinensischen Autonomiegebiete vor, wo er, nachdem er palästinensische Polizisten erklärt hat, dass er entscheide „wem welches Land gehört“ das Feuer auf die Polizisten wie auf fliehende Zivilistinnen und Zivilisten eröffnen lässt. Schließlich ist das Haus, das Polat als Unterschlupf gedient hatte, gefunden. Die „gute Jüdin“ Simone wird verhaftet und das Haus und der gesamte Stadtteil mit Bulldozern dem Erdboden gleichgemacht. Zuvor sorgt Moshe dafür, dass Achmed – ein wegen einer Schussverletzung im Rollstuhl sitzender achtjähriger Junge – unter den Trümmern des Hauses lebendig begraben wird. Auch die ihn betrauernde Großmutter erliegt schließlich ihren Schussverletzungen. So finden wir in der Figur Moshes sowie in den vielen israelischen Soldaten, die während Überfällen auf palästinensische Häuser Kinder wegtragen, auch das Motiv vom „Kindermörder Israel“ angelegt. Als es zu einer ersten Auseinandersetzung zwischen Polat und Moshe kommt, überlebt letzterer wie durch ein Wunder einen Treffer ins Auge und trägt fortan eine Augenklappe, die neben dem gleichen Vornamen an den ehemaligen General und Außenminister Israels, Moshe Dajan, denken lässt. Damit steht Moshes Rolle für den antizionistisch-israelbezogenen Antisemitismus, seine Figur verdichtet in sich das Bild des überlegenen, skrupellosen und kindermordenden Israeli, das Daniel Goldhagen so treffend als das vom „Rambo-Juden“ bezeichnet hat.

Finstere Schurken II - Avi der „Weise von Zion“


In der Rolle Avis, dessen Nachnamen wir nicht erfahren, finden sich all die Elemente des modernen Antisemitismus. Besonders die Vorstellung einer jüdisch-zionistischen Weltverschwörung wird in ihm personifiziert. Bewusst offengelassen ist seine Funktion im israelischen Staat, ist er Politiker, höchster General oder gar Staatspräsident? Klar ist hingegen, er steht hinter den Ereignissen und entscheidet in Absprache mit Moshe über das politische Schicksal Israels. Verdichtet findet sich hier das Bild von einem Israel, dass nichts von einem Rechtsstaat hat, sondern in dem unheimlich mächtige Männer im Hintergrund die Fäden ziehen. So bewaffnet er die Siedler und seine Lösung für das vermeintliche israelische Bevölkerungsproblem ist ein „Großisrael“, das vom Euphrat bis zum Nil reichen soll, wie es beispielsweise auf dem Titelblatt einer libanesischen Ausgabe der „Protokolle der Weisen von Zion“ von 2000 abgebildet ist. So mischt in der Rolle Avis der israelbezogene Antisemitismus mit den verschwörungstheoretischen Beständen antisemitischer Klassiker. Auch die Vorstellung, alle Jüdinnen und Juden weltweit seien über ihr Blut schicksalhaft miteinander verbunden, wird anhand eines alten Buches expliziert, in dem Avi nachschlägt, aus welcher Familie die amerikanische Jüdin Simone Levy stammt. Schließlich gerät Avi am Ende des Filmes in die Gewalt Polats. Um sein Leben zu erkaufen, fragt er Polat, was dieser sich wünsche. Er könne ihm alles auf der Welt geben, alles sei nur eine Frage des Preises. Doch Polat ist nicht in der Stimmung zum feilschen, er möchte nur seinen Job abschließen und nach Hause zurückkehren. So geschieht es dann auch am Ende, mit einem eingelösten Versprechen: „Ich weiß nicht welcher Teil dieses Landes euch versprochen wurde, aber ich verspreche Dir den unteren Teil dieser Erde.“

Finstere Schurken III - Alle anderen Israelis


Neben Simone, Moshe und Avi tauchen andere Israelis nur als unbestimmte Masse auf. Da wo sie am Anfang des Films in Jerusalem als orthodoxe Juden gezeigt werden, verlangsamt die Kamera bei bedrohlicher Musik in Zeitlupe und geht durch Polats Blick in die Nahaufnahme, wodurch sich den Zuschauerinnen und Zuschauern gut verdeutlicht, was dieser von ihnen denkt. Da wo sie Soldaten sind, werden sie in den Feuergefechten durch Polat und seine Gruppe förmlich nieder gemetzelt. Normales Leben auf israelischer Seite kommt im Film nicht vor, wie oben erwähnt, werden keine Frauen gezeigt, aber auch Kinder sind nicht zu sehen. Allein dem Unnatürlichem, dem kalten Technischen wird Raum gegeben. Wir sehen israelische Panzer, Hubschrauber, Militäranlagen, Computer, unpersönliche Hochhäuser und das Hauptquartier Avis, das im fahlen, weißen Licht erleuchtet, mit riesigen blauen Davidsternen ausstaffiert ist, ansonsten aber jegliche Einrichtung vermissen lässt. So werden die Israelis entmenschlicht und zum Abschuss freigegeben, wovon im Film ausreichend Gebrauch gemacht wird.

Endlich Gerechtigkeit


Am Ende greift der Film die Szene vom Anfang wieder auf. Zum Showdown seilen sich israelische Soldaten vom Hubschrauber ab, wie sie es zu Beginn an Bord der „Mavi Marmara“ taten. Nur diesmal werden sie von Polat und seiner Panzerfaust in Empfang genommen. Der Hubschrauber explodiert, kein Soldat erreicht lebend den Boden und Avi ist ebenfalls in der Explosion umgekommen. Am Ende bleibt nur noch Moshe übrig, der von Polat mit den Worten „stirb dreckiger Mörder“ stellvertretend für Israel seiner „gerechten Bestrafung“ zugeführt wird. Auch wird hier abschließend noch einmal der Vorwurf des „Kindesmordes“ aufgegriffen und von einer höheren türkischen Moral abgegrenzt. Denn Kinder umbringen, das machen Türken nicht. Nein, „für das Haar eines Unschuldigen opfern wir die ganze Welt“ sind die letzten Worte die Polat an Moshe richtet.

Propagandistische Tendenzen


„Tal der Wölfe - Palästina“ lebt von massiver Gewaltdarstellung, hierin ist der FSK zuzustimmen. Diese Gewaltdarstellung richtet sich aber ausnahmslos gegen Israelis, schlicht weil diese Israelis sind. Und dies wiederum ist der Ursprung jener „propagandistischen Tendenzen“, die die FSK erkannt hat, jedoch für eine Verweigerung der Freigabe des Filmes nicht ausreichend erschienen. Wie die FSK schreibt, verlange der Film „von dem Zuschauer detailliertes Vorwissen und die Fähigkeit, die politischen Zusammenhänge einzuschätzen, in die die gezeigte Gewalt eingebettet ist.“ Ein Vorwissen, das möglicherweise auch bei der FSK nicht ausreichend vorhanden ist. Wie sonst ist zu erklären, dass der enthaltene verschwörungstheoretische Antisemitismus mit seinen historischen Bezügen, die Dämonisierung und Delegitimierung Israels sowie die systematische Entmenschlichung israelischer Soldaten nicht ins Auge der Prüfenden gefallen sind? Beispielsweise die Art und Weise, wie die Figur der „guten Jüdin“ als Kronzeugin für die Aberkennung des Existenzrechts Israels herhalten muss, hätte verdächtig stimmen können. Gerade die Diskussionen und Artikel, die nach der vorläufigen Verweigerung der Freigabe und nach dem Start des Filmes auf Websiten und Blogs der türkischen Community geführt werden, könnten eine nachträgliche Verweigerung der Freigabe nahelegen. So wird in einer Besprechung auf Turkishpress.de die Rolle der „guten Jüdin“ äußerst positiv aufgenommen, durfte diese doch neben dem Top-Agenten eine bedeutende Rolle spielen, „der ja nach deutscher Lesart alle ‚Juden‘ ins Visier nahm.“ Da lässt sich nur sagen: Strategie aufgegangen. Trotz seiner vielen Handlungsinkonsistenzen und dramaturgischen Schwächen scheint „Tal der Wölfe – Palästina“ also ein Film zu sein, der für das Publikum funktioniert. In dieser Hinsicht ist er ein politischer Film mit einer ideologischen Botschaft, der beansprucht, die Situation in Palästina zu erklären und der die Lösung gleich mitliefert. Und das macht ihn nicht nur zu einem überflüssigen, sondern auch zu einem gefährlichen Film.

Foto: arabische Buchausgabe der "Protokolle der Weisen von Zion" mit "zionistischer Schlange" um die arabische Welt, Malte Gebert, c
 

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Protokolle der Weisen von Zion