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Bremer Linke wollen Israel durch Boykott „reinigen“

 

Wie aktueller Antisemitismus in Deutschland aussieht, zeigt eine Boykott-Aktion des Bremer Friedensforums: Nazivergleiche, Apartheidsvorwurf und Juden für Antisemitismus verantwortlich machen – aber natürlich alles im Namen der Menschenrechte.

Von Jan Riebe

Nicht wenige fühlten sich an eine antiimperialistische Version der SA-Kampagne „Kauft nicht bei Juden“ erinnert als Linke und Friedensbewegte am 11. März vor einem Bremer Supermarkt mit Pappschildern und Handzetteln zum Boykott israelischer Waren aufriefen – sie sind Teil einer weltweiten Kampagne Neben dem Boykott sämtlicher Waren werden auch Künstler und Künstlerinnen, wie zuletzt Leonard Cohen und Thomas Quasthoff aufgefordert, nicht in Israel aufzutreten.

Ein Kapitän philosophiert dort über „gewisse jüdische Kreise“

Die Boykott-Aktion in Bremen wurde von verschiedenen sich friedenspolitisch, antiimperialistisch und links verstehenden Initiativen durchgeführt. Die Partei „Die Linke“ nahm zwar offiziell nicht an der Anti-Israel-Kundgebung teil, auf ihrer Internetseite begleitete sie diese Aktion jedoch mehr als wohlwollend und veröffentlichte zahlreiche zustimmende Leserbriefe. Kritisch Leserbriefe wurde entweder nicht veröffentlicht oder sie gab es schlichtweg nicht. In dem Bericht zur Aktion freute sich der Redakteur der Linkspartei am Boykotttag, dass dieser nun „endlich“ stattgefunden habe. Ohne es kenntlich zu machen, wurde der Artikel einige Tage später revidiert und zustimmende Äußerungen wie das „endlich“ entfernt. Auch sah sich die Partei nach der großen Empörung über die Aktion genötigt klarzustellen, dass Boykottaufrufe gegen Israel „von uns auch aus historischen Gründen nicht mitgetragen werden“ können. Stattdessen fordern die Linken, ein EU-Importverbot von israelischen Waren, die aus den Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten stammen. Eine explizite Distanzierung von der Aktion vor dem Bremer Supermarkt sieht anders aus.

Viel deutlicher sind da die Leserbriefe auf der Webseite der Partei. Ein Kapitän philosophiert über „gewisse jüdische Kreise“ um paar Sätze später seine Meinung zu präzisieren: „Was hat diese Nation (gemeint ist die jüdische, J.R.) erleben müssen und welche Lehren hat sie daraus gezogen! Nicht das jüdische Volk, gewisse Kreise sind neben den Amerikanern doch nach 1945 die größten Kriegstreiber und Ignoranten völkerrechtlich gegebener Gesetze/Bestimmungen“. Ein Pastor im Ruhestand nennt die Boykott-Aufruferinnen und Aufrufer sogar in einem Atemzug mit dem im KZ Flossenbürg ermordeten Theologen Dietrich Bonhoeffer und mit Jesus. Ein Ziel des Boykott sei es schließlich Israel vor sich selbst zu retten und es dadurch von seiner „mörderischen, schleichenden Apartheidspolitik“ zu reinigen. Somit wird aus der Israel-Boykott-Aktion ruckzuck eine Solidaritätsaktion mit Israel.

Die Partei „Die Linke“ streitet über Israel-Boykott

Schon im Vorfeld des angekündigten Boykotts war die Aktion auf scharfe Kritik gestoßen: Sie sei „durchzogen von antisemitischen Ressentiments“, urteilte die Bremer Redaktion der taz. Ähnlich äußerte sich auch der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, gegenüber der Jerusalem Post oder Julius Schoeps, Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam, gegenüber dem Weser-Kurier. Auf das Interview mit Schoeps bezugnehmend verurteilten bislang über 160 Mitglieder und Mitgliederinnen der Partei „Die Linke“ in einer öffentlichen Erklärung den Israel-Boykottaufruf von Bremen als antisemitisch. Diese Erklärung haben auch Parteiprominente wie der Fraktionsvorsitzende der thüringischen Linken Bodo Ramelow und die stellvertretende Parteivorsitzenden Katja Kipping und Halina Wawzyniak unterzeichnet. Sowohl dieser Aufruf, als auch die Erklärung der Bremer Linkspartei, dass sie den Israel-Boykott nicht mittragen, hat bei anderen Verbänden der Linkspartei, wie z.B. der Linksjugend ['solid] Hamburg, zu erbosten Protesten geführt.

Nicht mal ein Jahr nach der umstrittenen Teilnahme von zwei Bundestagsabgeordneten der Linkspartei an der Gaza-Flotille befindet diese sich mal wieder in einem heftigen Streit um Israel und Antisemitismus.

„Israel ist das Problem. Palästina ist die Lösung“

Die Bremer Initiatorinnen und Initiatoren des Boykottaufrufes sehen sich nicht zum ersten Mal mit dem Vorwurf des Antisemitismus konfrontiert: Nach dem Stopp der sogenannten Gaza-Flotille durch das israelische Militär mit neun Toten demonstrierten Anfang Juni 2010 in Bremen etwas 3.500 Menschen gegen die Politik Israels – mitunter auch mit Fahnen der Hamas und eindeutig antisemitischen Transparenten. Ein Transparent brachte die anscheinend bei vielen sehr einfache Weltsicht auf den Punkt: „Israel ist das Problem. Palästina ist die Lösung“. Ein anderes zeigte einen blutverschmierten Juden mit Messer, der einen Hai, welcher die Gaza-Flotille symbolisierte, erlegt hatte. Nachdem die Jüdische Gemeinde diese antisemitischen Ausfälle öffentlich kritisiert hatte, kam die Reaktion von einem Initiator der damaligen Demonstration und auch der derzeitigen Boykott-Aktion prompt: Arn Strohmeyer, Mitglied im „Bremer Netzwerk für seinen gerechten Frieden im Nahen Osten“ und im “Friedensforum“, kritisierte das antisemitische-Plakat zwar auch, spielte es jedoch herunter, um dann dem Sprecher der Jüdischen Gemeinde vorzuwerfen, in Wirklichkeit schüre dieser Antisemitismus. Juden vorzuwerfen, sie würden Antisemitismus schüren, ist nicht erst seit Möllemann eines der beliebtesten antisemitischen Klischees.

Die ebenfalls die Boykottaktion mitinitiierende antiimperialistische Gruppe Arbeitskreis Nord-Süd lud 2009 zu einer Ausstellung der besonderen Art. Anlässlich des Gazakrieges präsentierten sie die Ausstellung Guernica – Gaza. Die spanische Stadt Guernica wurde 1937 von der nationalsozialistischen Legion Condor im Zuge des spanischen Bürgerkrieges bombardiert und in Schutt und Asche gelegt. Es bedurfte nicht viel Überlegung bei den Besucherinnen und Besuchern der Ausstellung, um zu erkennen, wer in der aktuellen Situation die Rolle der Nazis und wer die der Antifaschistinnen und Antifaschisten im Israel-Gaza-Konflikt nach Ansicht der Ausstellungsmacherinnen und -macher einnahm. Auch die Gleichsetzung Israels beziehungsweise deren Armee mit dem Nationalsozialismus und der Wehrmacht ist eine beliebte Spielart des aktuellen Antisemitismus.

Friedensforum wehrt sich gegen Antisemitismusvorwürfe

Strohmeyer wehrt sich gegen diese Antisemitismus-Vorwürfe: Die Boykott-Aktion richte sich nicht gegen Personen oder generell gegen die Bürger und Bürgerinnen Israels, sondern lediglich gegen die israelische Regierungspolitik. In dem Aufruf zum Boykott, in dem Stromeyer als Verantwortlicher im Sinne des Presserechts angegeben ist, heißt es dagegen ganz eindeutig: „Kaufen Sie keine Früchte aus Israel und den besetzten Gebieten“. Also ein Boykottaufruf gegen sämtliche Produkte aus Israel und somit gegen sämtliche Bürger und Bürgerinnen Israels, ganz unabhängig von ihrer Position zur israelischen Regierungspolitik. Zudem sei die Boykottaktion nicht antisemitisch, so Strohmeyer, da sich die Aktion auch nicht gegen das Existenzrecht Israels richten würde. In einem neueren Flugblatt zur Boykottaktion, downloadbar auf der Seite des Friedensforums, steht aber explizit, dass die Boykottaktion sich „gegen die über 60-jährige Besetzung Palästinas“ richtet. Die Bremer Aktivistinnen und Aktivisten erkennen also nicht einmal Israel in den Grenzen von 1948 an. Arn Strohmeyer und seine Friedensfreundinnen und -freunde verweisen gerne auf UN-Resolutionen gegen die Israel verstoße, sie haben aber anscheinend kein Problem einem UN-Mitgliedsstaat sein Existenzrecht abzusprechen.

Die Aktionen der Bremer Friedensfreunde wären das beste Beispiel für eine Einführungsveranstaltung zum Thema: „Aktueller Antisemitismus in Deutschland“. Vom lustvollen Tabubrechen bei der Boykottaktion vor Geschäften, über den Israel-Nazivergleich, Juden für Antisemitismus verantwortlich machen bis hin im Namen von Antirassismus und Menschenrechten dem Staat Israel das Existenzrecht absprechen – alles ist dabei.

Antisemitismus tritt oft verkleidet als antiliberaler Liberalismus auf. Zu ihm gehört aber seit jeher die Drohung mit Gewalt und auch deren physischer und psychischer Anwendung – so auch in Bremen. Solche Boykottaktionen sind daher weder friedlich, noch antirassistisch, noch im Namen der Menschenrechte – sie ist Teil einer Kampagne, die die Vernichtung Israels zum Ziel hat.

Arn Strohmeyer und die Bremer Friedensbewegte, für die Antisemitismus anscheinend immer noch erst an der Rampe von Auschwitz beginnt, beschweren sich, dass jegliche Kritik an Israel – auf Geheiß Israels natürlich – nun überall als Antisemitismus gebrandmarkt würde. Eine täglicher Blick in die Presse, in der es in Deutschland wie weltweit nur so von Kritik an Israel wimmelt, und dies in der Regel nicht als Antisemitismus eingestuft wird, könnte sie eines besseren belehren. Aber für sie fängt legitime „Israelkritik“ anscheinend erst mit Vernichtungsphantasien gegenüber Israel an.

Beifall von Neonazis

Da wundert es einen auch nicht, dass Neonazis sich auf ihren Portalen über die Aktion sehr gefreut haben. In einem der bedeutendsten Foren der deutschen Neonaziszene wurde nach den Vorfall in Bremen diskutiert, ob man sich beim nächsten Mal solch einer Boykottaktion anschließen oder sie exakt kopieren solle, um zu sehen, ob die Polizei und Öffentlichkeit einen Unterschied macht, wenn die selbe Aktion auch von Neonazis durchgeführt würde. Während die Nazis also noch über eine solche Aktion nachdenken, haben die Aktivistinnen und Aktivisten in Bremen schon mal angekündigt, weiter machen zu wollen. Eine günstige Gelegenheit steht direkt vor der Tür: Am 1. Mai findet ein Naziaufmarsch in Bremen statt, vielleicht die Möglichkeit im Anschluss für eine konzertierte Aktion mit den Brüdern und Schwestern im Geiste – zumindest bei dem Thema Israel.

Foto: von afps14 via flickr, cc
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In diesem Jahr beschäftigt sich ein Projekt im Vorfeld der Aktionswochen gegen Antisemitismus der Amadeu Antonio Stiftung mit israelbezogener Antisemitismus - eine, wenn nicht die derzeit gefährlichste und wirkungsmächtigste Form von Antisemitismus. Alles weitere zum Projekt, zu themenbezogenen Fortbildungen, zur Möglichkeit der Förderung eigener Projekte und vieles mehr findet Sie auf der Projektseite. Die Seite wird regelmäßig aktualisiert.
 

Die Reise ins versprochene Land

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