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Aus Nazi-Radaubrüdern werden braune Strategen


Am 20. März 2011 wird in Sachsen-Anhalt ein neuer Landtag gewählt. Die NPD rechnet sich Chancen aus, in das Parlament einzuziehen. Es wäre die dritte Landtagsfraktion der Partei. Diese könnte von den Erfahrungen aus Schwerin und Dresden profitieren. Denn hier zahlte die NPD viel Lehrgeld, wie ein Blick auf sieben Jahre NPD-Fraktionsarbeit in Sachsen zeigt.


Von Patrick Gensing

Die NPD-Fraktion in Sachsen legte wahrhaftig keinen guten Start in den Sächsischen Landtag hin. Im Jahr 2004 holte die NPD 9,2 Prozent bei der Landtagswahl im Freistaat und damit ein Dutzend Sitze im Parlament – weit mehr als befürchtet oder erhofft – je nach Blickwinkel. Dementsprechend saßen plötzlich NPDler im Landtag, die eigentlich aussichtslose Listenplätze hatten. Die mangelnde Qualität der Fraktion sorgte in den ersten Jahren für zahlreiche Skandale. Bereits Ende 2005 unkte die Öffentlichkeit, mit dem braunen Spuk sei es bald wieder vorbei, da sich die NPD-Fraktion selbst dezimierte. Drei NPDler verließen die Fraktion innerhalb nur einer Woche, aus Enttäuschung, wie es hieß. Die Neonazi-Partei verfügte plötzlich nur noch über neun Abgeordnete.
Die NPD gerierte sich im Folgenden als Opfer von Geheimdienstaktivitäten, der Verfassungsschutz soll die Abgeordneten quasi abgeworben haben; der NPD-Abgeordnete Jürgen Gansel wetterte über den „bundesdeutschen Stasi-Staat“ – und erntete dafür einen von vielen Ordnungsrufen. Für die NPD ein Arbeitsnachweis. Auch gezielte Provokationen, wie die Rede von Gansel über den „Bomben-Holocaust“ sollten für Aufsehen sorgen – und der Basis zeigen: Wir sind im Landtag, um auf die braune Pauke zu hauen.

Auch als Ausbildungszentrum setzte die NPD die Fraktion ein, so absolvierte beispielsweise der heutige NPD-Landtagsabgeordnete Stefan Köster aus Mecklenburg-Vorpommern ein Praktikum bei seinen Kameraden im Südosten. Heute wird auch die Fraktion Schwerin zur Ausbildung weiterer Kader genutzt, beispielsweise für den Wahlkampf in Sachsen-Anhalt. Das erworbene Wissen wird so weitergegeben, damit alte Fehler nicht wiederholt werden.

3. Reich als „Wohlfühldiktatur“


Der starke Mann in der NPD-Fraktion in Sachsen war zunächst Uwe Leichsenring: regional verwurzelt, gesellschaftlich nicht isoliert – und doch ideologisch knallhart. So erklärte der Fahrlehrer im Frühjahr 2006 öffentlich, das „Dritte Reich" sei „eine Wohlfühldiktatur mit 95 Prozent Zustimmung" gewesen. In einer Landtagsdebatte forderte Leichsenring, gewalttätige linke Demonstranten sollten mit Sonderzügen zur Bundesanwaltschaft nach Karlsruhe gebracht werden. Auf den Zwischenruf der Linkspartei.PDS, mit Sonderzügen kenne sich die NPD ja aus, hatte Leichsenring entgegnet: „Ja, ja, manchmal wünscht man sie sich wieder, wenn ich manchen so sehe”.

Einmal mehr wähnte die Öffentlichkeit die NPD-Fraktion am Ende, als eben jener Leichsenring im August 2006 tödlich mit dem Auto verunglückte. Dadurch verlor die Fraktion ihr Gesicht, ihr Aushängeschild, den Vorzeige-Nationalen moderner Prägung. Dazu kamen noch Skandale um den NPD-Abgeordneten Klaus Menzel, der mehrmals verkündete, dass er zum „Führer" stehe. Da dies nicht der NPD-Strategie für ein bürgerliches Auftreten entsprach, fiel er nach mehreren Ausfällen in Ungnade. Offiziell wegen finanzieller Ungereimtheiten wurde Menzel aus der Fraktion ausgeschlossen. Im November 2006 berichteten Medien dann, die verbliebenen NPD-Abgeordneten hätten nun sogar Angst vor „Kanonen-Klaus". Sie verlangten daher, dass dieser schnellstens seinen Waffenschein verliere. „Man weiß ja nie, was er noch veranstalten wird“, sagte NPD-Fraktionssprecher Holger Szymanski damals. Zwar habe man Menzel im Parlament noch nie mit Waffen gesehen, so Szymanski weiter, doch als die Fraktion ihn vor zwei Wochen rauswarf, habe er seinen Ex-Kameraden verbal gedroht. Die suchten daraufhin Schutz beim höchsten Repräsentanten des ungeliebten „Systems“.

„Sex, Gewalt, Abenteuer – die NPD“

Erneut in die Schlagzeilen geriet die Fraktion Ende 2006, als Ermittlungsbehörden das Landtags- und Bürgerbüro des NPD-Abgeordnete Matthias Paul sowie dessen Privatwohnung durchsuchten und dabei Videos, CDs und Computer beschlagnahmten. Vorwurf: Verdacht auf Kinderpornographie. Für eine Partei, die gerne mit der Parole „Todesstrafe für Kindermörder" hausieren geht, ein Gau.

Einen weiteren ungeplanten Skandal fabrizierte die Fraktion bereits Anfang 2007, als einmal mehr deutlich wurde, was hinter der bürgerlichen Fassade der NPD steckt: Auf einer Festplatte der Fraktion fanden sich nämlich NS-Verherrlichung und Pornographie: „Sex, Gewalt, Abenteuer – die NPD“. Und: „Nazis bumsen besser – Typisch deutsch – die NPD". Diese prolligen Sprüche standen auf Postkarten der Fraktion. Für den internen Gebrauch gedruckt – quasi zur Motivation der NPD-Männer, berichtete das ARD-Magazin Kontraste damals. Die NPD schob das Ganze einfach auf einen ehemaligen Mitarbeiter.

Apfel als Staatsmann


Zum neuen starken Mann in der Fraktion avancierte derweil Holger Apfel, dieser versuchte nun gezielt Schlagzeilen zu produzieren. So wandte er sich nach der Hetzjagd auf Inder in Mügeln im Oktober 2007 an Indiens Premier Manmohan Singh und versuchte sich, als Sprecher eines deutschen Volksstamms anzubieten. Nur wenig später wurde allerdings bekannt, dass Apfel und ein weiterer Funktionär der antiamerikanischen NPD ausgerechnet in einem amerikanischen Hotel nächtigen wollten. In einem Brief teilte der Hotel-Geschäftsführer den NPDlern allerdings mit, dass die beiden nicht willkommen seien. Er sei schon „erstaunt", dass Apfel und Alexander Delle „ausgerechnet ein amerikanisches Hotelunternehmen mit ausländisch klingendem Namen bevorzugen". Die Neonazis hatten laut Medienberichten über einen Internet-Reservierungsdienst ein Zimmer im Holiday Inn reserviert. Der Geschäftsführer habe jedoch hotel.de gebeten, die Buchung zu stornieren. „Sollte dies aus vertraglichen Gründen nicht möglich sein", schrieb der Geschäftsführer weiter, „darf ich Sie darauf hinweisen, dass ich sämtliche in unserem Hause durch Sie getätigten Umsätze unmittelbar als Spende an die Dresdner Synagoge weiterleiten werde". Die Herren mögen dies als kleinen Beitrag zur Wiedergutmachung für die Schäden betrachten, „die Ihre damaligen Gesinnungsgenossen der Synagoge und vor allem ihren früheren Besuchern zugefügt haben".

Langsam hatte man dann wohl bei der NPD genug von der Negativ-Berichterstattung – so versuchte sich die Partei im Jahr 2008 sogar in Medienberichte über Sachpolitik einzuklagen. Die Neonazis wollten damit erreichen, dass eine Zeitung noch einmal nachträglich über eine Parlamentsdebatte berichtet. Hintergrund der Klage war ein Beitrag, in dem die Zeitung darauf verzichtet hatte, die Haltung der NPD-Fraktion zu erwähnen. Das Gericht wies die Klage mit dem Hinweis auf die Pressefreiheit ab.

„Schlag ins Gesicht“

Nur wenige Monate später stand die Fraktion wieder ungewollt im Fokus der Öffentlichkeit, als es sogar zu internen Handgreiflichkeiten kam. Wie Medien damals berichteten, hatte es zwischen dem NPD-Abgeordneten Jürgen Gansel und dem parlamentarischen Berater der NPD-Fraktion, Peter Naumann, am 11. November 2008 zunächst eine verbale Auseinandersetzung gegeben. Ein NPD-Sprecher bestätigte den Vorfall und sagte, es sei um eine politische Streitfrage gegangen. Dann habe es „eine Tätlichkeit von Naumann gegen Gansel” gegeben, einen Schlag „ins Gesicht”.

Ende 2008 reagierte Fraktionschef Apfel dann offenbar auf Medienberichte, welche der NPD immer wieder Passivität in den parlamentarischen Ausschüssen vorgehalten hatten. Dies kommentierte der Neonazi in der „Deutschen Stimme“ so: „An diesem – unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfindendem – Spiel namens ‚parlamentarische Demokratie‘ beteiligen wir uns in der Tat nur begrenzt. Wir werden uns auch künftig nicht an diesen Scheingefechten beteiligen, auch wenn wir natürlich präsent sind und das Geschehen beobachten.” Apfel begründete denn auch, warum die NPD überhaupt bei Wahlen antritt: „Wir waren und sind Stachel im Fleisch dieses abgewirtschafteten Systems und nutzen zugleich die Fraktion, um politische Konzepte zu entwickeln.“

Apfel tritt nach außen verbindlich und relativ moderat auf – es geht um ein gepflegtes Äußeres. Die braunen Strategen denken langfristig, streben eine Infrastruktur an und wollen neue Kader aufbauen. Für dieses Ziel investieren sie auch in ein Bildungswerk, welches durch öffentliche Gelder finanziert werden muss, da die NPD-Fraktion darauf ein Anrecht hat. Hier treffen verschiedene Lager des „Nationalen Widerstands“ zusammen und entwickeln neue Konzepte. Ein staatlich finanzierter Neonazi-Think-Tank.

Mitarbeiter bei den „Bandidos“


Doch immer wieder klafften bei der NPD Anspruch und Wirklichkeit auseinander. So wurde das Saubermann-Image der Fraktion einmal mehr auf die Probe gestellt, als bekannt wurde, dass ihr Mitarbeiter Sascha Roßmüller bei den „Bandidos“ organisiert sei. Nachdem es auch in der eigenen Szene ein hörbares Murren gab, wies die NPD-Fraktion darauf hin, dass „Kamerad Roßmüller” von vielen Abgeordneten und Mitarbeitern für seine „politische Kompetenz sehr geschätzt” werde – und es gebe auch an seiner persönlichen Integrität „keine Zweifel”.

Trotz all der aufgelisteten Skandale zog die NPD im Jahr 2009 erneut in den Landtag ein – und verwies stolz auf einen zweiten Akademiker in ihren Reihen: Neben dem „studierten Historiker Jürgen Gansel” sei auch der „Diplom-Ökonom Arne Schimmer erstmals in den Sächsischen Landtag gewählt” worden, verkündete die Partei. Die Personalie Schimmer ist tatsächlich interessant im Vergleich zur NPD-Liste im Jahr 2004: Damals war sie noch mit unberechenbaren Leuten wie „Kanonen-Klaus“ in den Landtag eingefallen. Die Strategen haben aus so manchen Fehlern gelernt und erkannt, dass ohne qualifiziertes und diszipliniertes Personal keine koordinierte Arbeit möglich ist. Nun sitzen in den Büros des Landtags geschulte Kader, welche einen langfristigen Plan verfolgen. Und so sehr die Anekdokten über die Skandale in der Fraktion zum Lachen anmuten – mittlerweile hat sich die Arbeit der Fraktion stabilisiert und professionalisiert.

Neonazi-Propaganda kein Skandal mehr


Aber auch die Medien haben dazugelernt – und erkennen oft die gezielten Provokationen der Neonazis. Bundesweite Reaktionen wie nach der „Bomben-Holocaust“-Rede von Jürgen Gansel sind mittlerweile die Ausnahme. Doch diese Entwicklung ist nicht eindeutig positiv zu bewerten, denn was vor einigen Jahren noch geeignet war, empörte Aufschreie zu provozieren, ist heute schon fast Alltag. Dies war ein Ziel der NPD, welches ein Stück weit realisiert wurde.

Die NPD konnte sich zuerst in Sachsen etablieren, dann folgte Mecklenburg-Vorpommern – und nun mobilisiert die Partei alle Kräfte nach Sachsen-Anhalt, um hier den nächsten braunen Stützpunkt zu errichten. Auch aus Sachsen wird der Wahlkampf unterstützt, wie die vorliegenden E-Mails aus der NPD zeigen. Fraktionschef Apfel ist sogar Wahlkampfleiter im Nachbarland. Da die Kader in Sachsen-Anhalt ebenfalls seit Jahren strategisch geplant vorgehen und geschulte Kader in Stellung bringen, dürfte es deutlich weniger Eskapaden geben als in der Anfangszeit der Dresdner Fraktion. Die Neonazis werden in Magdeburg im Erfolgsfall sicherlich professioneller auftreten, die Hoffnung, eine neue Fraktion werde sich – wie beispielsweise die DVU in früheren Jahren - selbst zerlegen, dürfte daher reines Wunschdenken sein.

Foto: Von 0x46616c6b, via Flickr, cc
 

Biedermänner und Brandstifter