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„Nicht alles, was legal ist, muss man auch machen“

Dass die radikalfundamentalen Salafisten und rechtsextreme Pro NRW‘ler mehr gemeinsam haben, als sie denken, liegt vor allem an ihrem fehlenden Respekt vor Demokratie und Menschenrechten. In Köln trafen dieser Tage beide Lager aufeinander. Mut sprach mit Volker Beck, 52, über Salafisten, Islamfeindlichkeit, Mohammed-Karikaturen und die Chancen von Pro NRW bei den Landtagswahlen am Sonntag.

Mut: Ganz Deutschland blickte in den letzten Tagen auf Nordrhein-Westfalen, wo sich Rechtsextreme und Salafisten gegenüberstanden, getrennt von mehreren hundert Polizeibeamten. Wie kam es zu diesen spannungsgeladenen Konfrontationen?

Volker Beck: Wenn rechtsextreme Idioten auf religiöse Spinner treffen ist das ein explosives Gemisch. Auf der einen Seite hetzt mit Pro NRW eine selbsternannte Bürgerbewegung ohne Bürger gegen den Islam und vergiftet das gesellschaftliche Klima. Dem entgegen steht ein Teil der islamistischen Salafistenbewegung, die im Zweifel auch mit Gewalt für eine mittelalterliche Gesellschaftsordnung kämpfen möchten. Und dazwischen wir, die Demokraten und die Polizei, die ich hier um ihren Job wirklich nicht beneide. Klar ist: Wer die gewalttätige Auseinandersetzungen sucht, bekommt selbstverständlich die Härte des Gesetzes zu spüren. Salafisten, die Polizisten mit Messern angreifen, müssen vor Gericht gestellt und hart verurteilt werden.

Mut: Gewalttätige Anhänger der Salafisten griffen Polizisten an und verletzten zwei von ihnen schwer. Diese Verbrechen müssen bestraft werden – klar – aber wieso wird sofort von „Ausweisungen“ gesprochen? Wird damit nicht darauf abgezielt, die Täter als „Fremde“ „Nichtdeutsche“ „Nicht-zu-uns-Gehörende“ zu kategorisieren?

Volker Beck: Für die Union ist Verbieten und Abschieben als Antwort auf gesellschaftliche Probleme immer gerade billig genug. Das kennen wir ja vom NPD-Verbot als Antwort auf jedes rechtsextreme Problem im Land. Es wird so getan, als sei das Abschieben von Menschen eine neue Idee. Das ist aber totaler Quatsch und zudem kontraproduktiv. Passdeutsche Islamisten kann man nicht abschieben, mal ganz zu schweigen von der ohnehin furchtbaren Abschiebepraxis. Bei deutschstämmigen Salafisten ist die Forderung noch absurder. Wohin mit ihnen? Nach Helgoland oder Bayern? Deshalb werbe ich für mehr Sachlichkeit statt in den Medien einen auf starken Max zu machen.

Mut: Die Angst der Deutschen vor den Salafisten ist groß. Dabei scheint den wenigsten eine Unterscheidung zwischen Salafismus / Islam / Muslime klar zu sein.

Volker Beck: Bei aller Gefahr, die von den Salafisten ausgeht, sei doch eines betont: Diese gewaltbereiten Salafisten haben mit den Muslimen in Deutschland nichts zu tun. Es leben hier etwa vier Millionen Menschen muslimischer Herkunft, die fester Bestandteil unserer Gesellschaft sind. Dem gegenüber stehen schätzungsweise 3.800 Salafisten, was etwa einem Promill entspricht. Das macht die Salafisten nicht weniger gefährlich, aber es ist ein Argument für eine differenzierte Debatte.

Mut: Begünstigt dabei die Berichterstattung der Medien (geht es nun um Koran-Verteilung oder die Vorfälle der vergangenen Tage) die anti-muslimische Stimmung in Deutschland? Und, viel interessanter, rückt die Berichterstattung Pro NRW in den Hintergrund, sodass es erscheint, als seien dies nur aufrechte Bürger?

Volker Beck: Bereits die Sarrazin-Debatte hat gezeigt, dass es einen erschreckend großen gesellschaftlichen Bodensatz an Islamfeindlichkeit gibt. Pro NRW versucht in der Brühe zu fischen und wird trotzdem nicht in den Landtag kommen, da die Protestwähler andernorts ihr Kreuz machen. Unser Ziel muss es aber sein, Pro NRW unter ein Prozent zu drücken, damit sie nicht von der staatlichen Parteienfinanzierung profitieren. Das wird knapp. Deshalb ist es wichtig, dass am Sonntag viele Menschen wählen gehen.

Mut: Sie haben mit muslimischen Jugendlichen gesprochen, wie ist deren Sicht auf die aktuelle Situation?

Volker Beck: Am Rande einer Demonstration gegen Pro NRW in Köln wurden Jugendliche von einem Hassprediger regelrecht aufgestachelt. Ich habe dazwischen gerufen und kam so ins Gespräch mit den Jugendlichen. Da waren zum einen die rhetorisch trainierten Kader und auf der anderen jene, die sich wegen der Karikaturen auf der Pro NRW-Demo provoziert und in ihren religiösen Gefühlen verletzt fühlten. Mit Zweiteren hatte ich dann eine längere Debatte, warum man nicht den Holocaust und tote Juden leugnen dürfe, aber über den toten Propheten Witze machen. Das klingt erst mal nach einer absurden Debatte, aber diesen Diskussionen müssen wir uns stellen.

Mut: Was denken Sie persönlich: Soll es (geschützt durch die Meinungsfreiheit) erlaubt sein, die umstrittenen Mohammed-Karikaturen vor Moscheen zu zeigen?

Volker Beck: Nicht alles, was legal ist, muss man auch machen. Vor allem dann nicht, wenn man damit nur die Gefühle anderer Menschen verletzen möchte. Aber trotzdem: So, wie Mohammed-Darstellungen zur demokratischen Freiheit gehören, so sehr ist es das Recht religiöser Menschen, davon persönlich verletzt zu sein und zu demonstrieren. Dies rechtfertigt aber keine Gewalt.

Mut: Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, die von radikal-islamischen Gruppen in Deutschland ausgeht? Was müsste geschehen, um dieser Gefahr entgegenzuwirken?

Volker Beck: Die Gefahr ist da. Die Auseinandersetzung dürfen wir aber nicht nur repressiv führen. Natürlich muss der Staat dort, wo er handeln kann auch eingreifen. In den Schulen und Jugendzentren müssen wir diese Diskussionen aber auch führen. Das ist eine Debatte, die wir Pro/Contra Demokratie und Freiheit führen und nur am Rande um den Islam geht. Außerdem sind in den Gemeinden die Imame gefordert, eine klare Ablehnung zur Gewalt und gegen den Salafismus zu predigen.

Volker Beck ist seit 1994 Kölner Bundestagsabgeordneter. Er ist Erster Parlamentarischer Geschäftsführer und menschenrechtspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Das Interview führte Ulla Scharfenberg.
 

Volker Beck beteiligte sich an den Protesten gegen die rechtsextreme Pro NRW am Dienstag in Köln, Foto: privat, c