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Auf die Kommune kommt es an

Wie sollen Zivilgesellschaft und ihre Bürgermeister reagieren, wenn die NPD ein Schulungszentrum errichtet, wenn mit Gewalt gegen Asylbewerber vorgegangen wird, wenn sich rechte Kameradschaften breitmachen oder reineweg zur Provokation Demonstrationen anmelden, so wie gerade in Hannover? Die Friedrich-Ebert-Stiftung bietet (nicht nur) Kommunalpolitikern in einem neuen Handbuch Tipps und Erfahrungsschätze zum Download an.

Von Julia Schörken


Hannovers Oberbürgermeister macht es gerade vor: Neonazis haben dort erneut für den 12. September zu einem Aufmarsch aufgerufen - und OB Stephan Weil verspricht Widerstand. "Diese Leute müssen endlich begreifen, dass wir mit Neonazis und ihren braunen Parolen in Hannover nichts am Hut haben." Die Stadt werde mit allen ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten versuchen, die im Wahlkampf  geplante Neonazi-Demonstration "Sturmfest und erdverwachsen" in Hannover zu verhindern, gemeinsam mit Zivilgesellschaft und Polizei. Das kündigt er in der Lokalpresse an.

So couragiert reagieren nicht viele OBs. Dabei gibt es schon viele erfolgreiche Erfahrungen auf diesen Feldern - aber sehr verstreut.  Die Friedrich-Ebert-Stiftung bietet nun ein kompaktes Handbuch mit Erfahrungsberichten in gebündelter Form an. Herausgeber sind Dr. Dietmar Molthagen, bislang Leiter der Abteilung für Rechtsextremismus in der FES und Lorenz Korgel, Koordinator des Berliner Beratungsnetzwerks.

Das Buch ist kostenlos zu erhalten und kann zudem unter folgendem Link auf der Seite der FES kostenlos heruntergeladen werden:

http://library.fes.de/pdf-files/do/06431.pdf

Vorgestellt wurde das Handbuch im Rahmen einer Diskussion in der FES in Berlin am 12.6.2009. Die Herausforderungen und Möglichkeiten der kommunalen Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus wurden mit zahlreichen Experten diskutiert. 

So stellte einleitend Dr. Rainer Strobl von der der 'proVal Gesellschaft für sozialwissenschaftliche Analyse' einige Herausforderungen dar, die durch Rechtsextremismus in der Kommune auftreten, dar. Strobl sagte, dass es unrealistisch sei, in einer demokratischen Gesellschaft ganz ohne rechtsextremistische Vorfälle leben zu können, aber um Rassismus und Rechtsextremismus zumindest zurückzudrängen, sei es jede Kraftanstrengung wert. „Wir wollen aber alle keinen Überwachungsstaat“, sagte er. Bedingt durch die Schwierigkeit, Einstellungen zu verändern, sei es daran „zu überlegen, wie man Gewalttaten verhindern und wie man Reaktionen zeigen kann“.  Ganz fatal sei es, wenn, die Gesellschaft nicht nur ihren rechten Rand nicht im Blick behalte, sondern auch die Opfer rassistischer Gewalt aus dem Blick verliert.

„Die Opfer von rechtsextremen Überfällen, denen meist psychisches und physisches Leid zugefügt wird, verlieren danach ihr Vertrauen in die Gesellschaft“, warnte Strobl. Heike Kleffner von der mobilen Beratung für Opfer rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt betonte in einem der durchgeführten Workshops, dass es auch darum gehen müsse, das Selbstbewusstsein der Opfer wieder zu stärken. Die Ignoranz des Opfers und die Verharmlosung der Tat bestärke die Täter umso mehr.

Das Handbuch der Friedrich-Ebert-Stiftung
Das Handbuch der Friedrich-Ebert-Stiftung

Dr. Albrecht Schröter sprach nun, als Oberbürgermeister von Jena, weniger analytisch als vielmehr aus Erfahrung. Schröter betonte, dass politische Akteure eine klare Stellung beziehen und vor Ort, bei Veranstaltungen, Flagge zeigen müssten. Schröter erzählte von einem runden Tisch für Demokratie, der von der Stadt Jena bereits im Jahr 2000 eingerichtet wurde. Polizei, Kirche, Bürger, Hochschulen und Initiativen gegen Rechts gehören diesem an. Zudem finanziere die Stadt Jena eine feste Stelle, die der Integration von Migranten und der Aktivität gegen Rechtsextremismus gewidmet ist. Es sei wichtig, für betroffene Menschen feste Ansprechpartner zur Verfügung zu stellen. "Natürlich“, so Schröter, „wurde die Stelle auch geschaffen, um den Ruf und die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt nicht zu schädigen.“ Auch solche Komponenten spielen also eine Rolle. Aber Schröter betonte, dass „es sich lohnt, eine solche Stelle zu finanzieren“ -  auch wenn die Dauerfinanzierung  leider immer schwierig sei.

Schröter berichtete zudem von seiner Erfahrung beim sogenannten  „Fest der Völker“ von Neonazis aus ganz Europa in Jena und der sogenannten "Randstreifendemonstration". Im Jahr 2007 sollte dieses Neonazi-Großkonzert im Zentrum der Stadt Jena auf einem Parkplatz stattfinden. Es versammelten sich jedoch auf einem kleinen Grünstreifen vor dem Parkplatz Gegendemonstranten. „Als die Nazis mit 1400 Menschen aufkamen, waren die Gegendemonstranten noch mehr“, so Schröter. Und blockierten den Weg. Die Polizei ließ die Demonstranten gewähren - denn, so Schröter, "der Bürgerwille war in der Überzahl."

Timo Reinfrank von der Amadeu Antonio Stiftung betonte, dass es immer noch viel zu wenig Bürgermeister seien, die ihre Zivilgesellschaft gegen Neonazis aktivieren und sich Motor einer solchen Bewegung zeigen. Das Buch kann Kommunalvertretern nun kräftig auf die Sprünge helfen, zeigt aber auch viele Defizite in ihren  Handlungsmöglichkeiten auf.

Die Buchautoren
Die Buchautoren

Die beiden Herausgeber des Handbuchs: Lorenz Korgel und Dietmar Molthagen

So beschreibt  Verdens engagierter Bürgermeister Lutz Brockmann, wie ihn die NPD verklagen wollte, weil er im Jahr 2005 für einen Aktionstag seiner Stadt gegen Rechtsextremismus warb. Damals habe die rechtsextreme Partei ein Verfahren gegen ihn angestrengt, um ihm und der Stadtverwaltung die Unterstützung des Aktionstages verbieten zu lassen. Das Verwaltungsgericht Stade habe festgestellt: "Ich darf das, weil ich ja einen Amtseid geleistet habe, die Demokratie zu schützen, aber ich darf in der Öffentlichkeit nicht gegen zugelassene Parteien argumentieren oder auftreten", berichtete Brockmann. Das dürften nur Bundeskanzler(innen) oder Minister.

Das Handbuch der Ebert-Stiftung zum
DOWNLOAD

Aktuell zum Thema: Bürgermeistermut aus Hannover

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www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / js,hk / Titelfoto:
Bürgerprotest gegen Neonazis in Dresden 2009 - die eigene Bürgermeisterin beteiligte sich nicht. Aufnahmen: Holger Kulick

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Bürgerwiderstand in Dresden